Vera Aebi im Gespräch mit Lilian Gehrke-Vetterkind

Talk

Sei offen für das, was anders ist. Geh gemeinsam deinen Weg.

Bleib neugierig für andere Perspektiven als deine eigene. Frag dich, was für andere Sichtweisen sie dir eröffnen können. Such dir Unterstützung, wenn du auf deinem Weg nicht weiterkommst. Finde Verbündete.

Lilian kenne ich dank der 12-wöchigen Working-Out-Loud (WOL) Frauenstärken Reise, die wir beide zusammen mit rund 3’000 anderen Menschen im Januar 2021 unternommen haben. Lilian setzt sich mit grossem Engagement dafür ein, dass Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern nicht nur rechtlich verankert ist, sondern auch faktisch Realität wird. Dieses Anliegen verbindet uns beide von Grunde auf. Mit ihrer Studie «Frauen wollen führen – aber unter anderen Vorzeichen» nimmt uns Lilian mit hinter die Kulissen. Sie zeigt auf, warum Frauen gegebenenfalls nicht in Führung gehen beziehungsweise welche Rahmenbedingungen gegeben sein sollten, damit sie dies möchten.

Lilian begegnet den Herausforderungen und Tücken im Umgang mit Vielfalt souverän und mit grosser Offenheit, bleibt bei sich und ist gleichzeitig interessiert und aufgeschlossen für andere Perspektiven. Sie schafft es, das Buzzword «Diversity», das oftmals wie ein wünschenswertes, aber auch schwer erreichbares Konstrukt in der Luft schwebt, auf den Boden zu holen und Alltagsnähe und -bezug für das zu schaffen, wofür sie steht. Das macht ihre Heldinnenkraft für mich aus.


Liebe Lilian, uns verbindet beide die 12-wöchige Erfahrung mit Working Out Loud (WOL) Frauenstärken. Bei WOL gibt es die Übung «50 Fakten über mich», die für mich wie keine andere Gemeinsamkeiten mit einem vorher unbekannten Menschen aufdeckt und Verbundenheit schafft. Daher möchte ich gerne mit einem persönlichen Fact zu dir selbst starten: Du reist gerne. Welches Land, das du bereist hast, hat dich besonders fasziniert. Und warum?

Bei meinem Diversity Hintergrund und Interesse an Vielfalt läge es vielleicht nahe an ein Land mit einem völlig anderen kulturellen Kontext zu denken. Allerdings kommt mir bei deiner Frage als Erstes Neuseeland in den Sinn. Auch wenn es quasi auf der anderen Seite der Erde liegt, ist es doch westlich geprägt und unserer Kultur sehr ähnlich. Ich war ziemlich überrascht, mich dort so weit weg von meiner Heimat so zuhause zu fühlen. Allerdings ist es trotzdem die Vielfalt, die mich an diesem Land so begeistert – nicht unbedingt die kulturelle, sondern die Vielfalt der Natur. Dass in so einem kleinen Land so viele unterschiedliche Ökosysteme anzutreffen sind, von Schweizerisch anmutenden Bergen, Fjordlandschaften denen in Island ähnelnd oder Strände mit tropischem Charakter, fasziniert mich.

 

Als Beraterin für Diversity und Unternehmenskultur interessiert dich nicht nun aber nicht nur die Biodiversität in der Natur, sondern vor allem die soziokulturelle Diversität in Unternehmen und Gesellschaft. Ein wenig ist das mit der Diversität wie mit dem Reisen: Auch dort tauchen wir in andere Kulturen ein und begegnen Werten und Verhaltensweisen, die uns selbst vielleicht fremd sind. Das kann bereichernd sein, aber auch herausfordernd.

Um dir einen Ball zuzuspielen, den du heute Morgen bei einem LinkedIn-Post verwendet hast: «Was hast du im Zusammenhang mit menschlicher Vielfalt in deinem Leben schon erlebt und wie hat dich das geprägt?

Ich bin in Freiburg im Breisgau aufgewachsen, das im Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz liegt, und damit Einflüsse von diesen drei Kulturen in sich trägt. Noch dazu bin ich in einem vielfältigen Stadtteil gross geworden, in dem Menschen unterschiedlicher kultureller Couleur lebten. Bereits im Kindergarten hatte ich eine Freundin, deren Eltern aus Südkorea stammten, und meine Grundschulklasse setzte sich zusammen aus Kindern deutscher, italienischer, türkischer und libanesischer Herkunft beziehungsweise Elternhaus. So habe ich nicht nur verschiedene kulturelle Prägungen und unterschiedliche Familienkonstellationen kennengelernt, sondern auch mitbekommen, welche sozialen und finanziellen Unterschiede existieren können. Manche Familien mussten gegen Monatsende, manche sogar schon Mitte des Monats, sehr aufs Geld schauen. Das hat meine Sicht aufs Leben natürlich beeinflusst und mir schon früh im Leben bewusst gemacht, dass ziemlich verschiedene Realitäten parallel nebeneinander existieren.

 

Nun steht bei den Diversity-Diskussionen ausser Frage, dass Vielfalt nicht nur im Sinne von Biodiversität in der Natur, sondern auch im soziokulturellen Kontext wünschens- und erstrebenswert ist. Der Umgang damit hingegen ist von zahlreichen Fettnäpfchen und Herausforderungen geprägt. Wie kann Diversität im Miteinander deiner Meinung nach gelingen?

Zum einen braucht es sicher eine grosse Aufgeschlossenheit für andere Perspektiven – Interesse und Neugier für andersartige Sichtweisen. Ein «engstirniger» Blick hilft in der Regel ebenso wenig weiter wie der Standpunkt, dass nur die eigene Meinung zählt. In gewisser Weise hängt das für mich mit menschlichem Reifegrad zusammen.

Zum anderen ist eine gute Stressresilienz nötig (Anm.: Resilienz bezeichnet die menschliche Widerstandskraft, das heisst die Fähigkeit, herausfordernde Gegebenheiten stärkend bewältigen zu können), um mit belastenden Situationen und kontroversen Diskussionen umgehen zu können. Insbesondere die Fähigkeit, sich von anderen Meinungen nicht persönlich angegriffen zu fühlen oder aufbrausend zu werden, sondern Sach- und Beziehungsebene trennen und Ruhe und eine respektvolle Kommunikation wahren zu können, ist sehr zentral im Umgang mit Diversität.

[ Interessiert sein an dem, was trennt. ]

Im Kontext von Diversität wird ausserdem oft betont, den Blick auf das Verbindende zu richten und sich Gemeinsamkeiten bewusst zu machen. Gleichermassen wichtig finde ich aber auch auf das zu schauen, was uns trennt. Was ist anders? Was ist der Blick vom Gegenüber auf die Welt? Genau das macht das Ganze doch interessant und Vielfalt aus. Vielleicht entdecke ich dabei nämlich eine neue Perspektive, die mich bereichert. Ich selbst habe das bei meinem Engagement im Bereich der Flüchtlingshilfe erlebt, als ich junge syrische Männer in Deutsch unterrichtet habe. Für mich war es sehr interessant zu erfahren, wie sie die Welt erleben, gerade weil sie von einem ganz anderen kulturellen Kontext geprägt sind.

 

Das ist ein Aspekt für mich, der Vielfalt noch einmal ganz anders wertschätzt: Sich bewusst mit Trennendem auseinanderzusetzen, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen und die Sicht des anderen verstehen zu wollen. Dann kann Trennendes trotzdem verbinden – irgendwie.

Nun trägt jede:r so genannte «Unconscious bias» mit sich herum – unbewusste Voreingenommenheiten bzw. implizite Stereotypen, die wir manchen Menschen zuschreiben. In welchen Zusammenhängen fällt dir das an dir selbst auf?

Am ehesten macht sich das bei mir vermutlich bei bestimmten Berufsbildern bemerkbar, wie beispielsweise Behördenangestellten oder Militär. Dort taucht bei mir ein bestimmtes Bild von einem Menschen auf und ich muss bewusst meine Zuschreibungen zur Seite schieben, um diesem Menschen die Chance zu geben ihm/ihr offen gegenüberzutreten. Andererseits hilft es auch mir vor Augen halten, dass diese Menschen in ihrem Beruf Qualitäten und Werte leben, die es genauso in der Gesellschaft braucht; auch wenn das nicht unbedingt das Umfeld ist, in dem ich mich wohlfühlen würde.

 

Der Kontext spielt auch bei deiner Studie «Frauen wollen führen – aber unter anderen Vorzeichen» eine ausschlaggebende Rolle. Dabei hat sich gezeigt, dass es vor allem die Rahmenbedingungen sind, die massgeblich sind, ob Frauen in Führung gehen oder nicht. Magst du ein paar Worte dazu sagen?

Der Impuls zu dieser Studie entstand vor einem Jahr im Rahmen von WOL Frauenstärken. Ich hatte reflektiert, warum die seit meinem Abitur verfolgte Vision einer Vorstandsposition in einer Bank beziehungsweise der Wunsch nach einer Führungskarriere nicht in Erfüllung gegangen ist. Meist war ich bei Bewerbungsprozessen die Nummer zwei, hinter einem Mann. Daher wollte ich mich mit anderen Frauen über ihre Erfahrung und ihre Sicht zu Führung austauschen – Frauen mit Kindern und ohne, mit Führungserfahrung und ohne, ebenso wie solchen, die eine Führungsrolle innehatten und diese wieder abgegeben haben. Ich wollte mich bei diesem Austausch ausserdem auf Frauen fokussieren, die sich in der unteren und mittleren Führungsebene bewegen, denn von C-Level-Frauen ist mehr bekannt. Mit Professor Dr. Armin Trost von der Hochschule Furtwangen habe ich mir Unterstützung für das wissenschaftliche Setting und eine entsprechend fundierte Auswertung der Ergebnisse geholt. Dann habe ich fünfzig unterschiedlichen Frauen aus meinem Netzwerk die folgende, eine Frage gestellt:

[ «Was müsste sein, damit du gerne eine Führungsposition einnimmst?» ]

Durch diese bewusst offen gehaltene Frage hat sich eine riesige Menge an Daten ergeben. Diesen Datenwust haben wir Stück für Stück geclustert und sieben Präferenzen herauskristallisiert, die allen Frauen wichtig waren, um eine Führungsposition anzustreben beziehungsweise ausfüllen zu wollen.

 

Welches Ergebnis hat dich bei dieser Studie überrascht?

Insbesondere die Tatsache, dass Frauen in der Anfangszeit als Führungskraft eine Begleitung – ein begleitendes Mentoring – wünschen, fand ich erstaunlich. Ich habe dies nämlich selbst im Zuge eines fortgeschrittenen Bewerbungsprozess für eine Führungsposition als Wunsch geäussert und dafür vom Personalchef ein überraschtes Gesicht und die Aussage «Führung müsse doch intuitiv geschehen.» kassiert. Nachdem die Wahl auf den männlichen Mitbewerber gefallen war, habe ich mich im Nachhinein gefragt, ob mir der Wunsch nach Sparringship als Schwäche ausgelegt wurde und ausschlaggebend für die Entscheidung gegen mich war. Insofern fand ich es sehr hilfreich zu wissen, dass begleitendes Mentoring nicht nur mir ein Anliegen ist, sondern Frauen durch die Bank hinweg ein Bedürfnis für den Start in Führungspositionen ist.

 

[ Beim Kinderkriegen verzichten Frauen auch nicht auf die Hebamme. ]

Auch wenn ich selbst keine Kinder habe, so finde ich das Beispiel mit der Hebamme sehr treffend und anschaulich. Schliesslich übernehme ich als Führungskraft Verantwortung für andere Menschen. Wohl die wenigsten Menschen sind in Führung explizit geschult, sondern qualifizieren sich durch eine Ausbildung fachlich-inhaltlicher Art für eine Führungsposition. Mentoring ermöglicht, in die Führungsrolle hineinwachsen zu können und verantwortungsbewusst damit umgehen zu lernen.

[ Reverse Mentoring – Austausch auf Augenhöhe. ]

In dem Zusammenhang habe ich neulich eine tolle Erfahrung gemacht: Ich hatte auf LinkedIn einen Aufruf gestartet, bei dem ich für einen regelmässigen, monatlichen Austausch eine deutlich jüngere Mentoring Partnerin gesucht habe. Als nunmehr Vierzigjährige möchte ich den Bezug zu den jüngeren Generationen nicht verlieren und ihre Sicht auf die Welt, auf die Digitalisierung, ihren Umgang mit Social Media und ihre Wahrnehmung der Klimakrise erfahren und verstehen. Die Resonanz darauf war enorm. Ich habe rund achtzig Rückmeldungen von unterschiedlichen Frauen erhalten, die interessiert an einem gegenseitigen Austausch sind. Das fand ich gewaltig.

 

In der Tat. Und es zeigt auch, dass ein sehr grosses Bedürfnis nach gegenseitigem Sparringship vorhanden zu sein scheint. Auf alle Fälle bei Frauen.

Du hast ein vierjähriges Patenmädchen, dem du sehr verbunden bist. Wenn du deinem Patenkind «Role Model» sein wolltest, welches Frauenbild möchtest du ihr vorleben?

Vor allem wünsche ich mir, dass sie in Jugendjahren, wenn sie ihre weibliche Identität entdeckt, nicht mehr mit derselben Chancenungleichheit konfrontiert wird wie heutzutage. Auch wenn suggeriert wird, dass Frauen die Welt gleichermassen offen steht, ist das in der Regel nicht der Fall. Ausserdem hoffe ich sehr, dass es dann nicht mehr dieselbe Hartnäckigkeit braucht wie aktuell, um für dieselben Rechte als Frau einzustehen.

Nichtsdestotrotz möchte ich ihr gern vermitteln, dass es sich lohnt dranzubleiben. Dranbleiben und die eigene Position, wenn’s denn sein muss, auch mit höflicher Hartnäckigkeit zu verteidigen. Für etwas stehen und sich damit nach Aussen zeigen, sich einsetzen und sichtbar werden mit dem, was einem wichtig ist; wenn ich ihr das vorleben kann, dann wäre ich mit meiner Rolle als «Role Model» zufrieden.

 

Sichtbarkeit hat aber ja zwei Seiten der Medaille. Einerseits zeigst du dich mit dem, wofür du stehst – und ziehst damit Menschen an, die diese Sicht teilen. Anderseits schreckt viele Menschen (vor allem Frauen) ab, dass Sichtbar-Sein natürlich auch Reibungs- und Angriffsfläche für Menschen bietet, die anderer Meinung sind. Wie erlebst du das, gerade im Diversity Kontext?

Seit ich sichtbarer werde mit meinen Themen, habe ich Erfahrungen in beide Richtungen gemacht. Wenn ich mit einer dezidierten Aussage zu Chancenungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen auftrete, dann bringt das Menschen auf den Radar, die das anders sehen, mir abwertende Kommentare hinterlassen oder mich anfeinden.

Und wie gehst du damit um?

Wenn es sich um einen Kommentar in den sozialen Medien handelt, dessen Intention mir nicht ganz klar ist, dann frage ich zunächst einmal nach, wie das zu verstehen sei. Denn manchmal reagieren wir auf eine Aussage, die uns triggert, vom Gegenüber aber vielleicht gar nicht so gemeint war. Schon manches Mal wurde ich so (positiv) überrascht von der Rückmeldung.

Wenn es hingegen reine Hasstiraden oder Plattitüden sind, dann ignoriere ich die Aussage einfach und reagiere gar nicht erst darauf. Letztlich hilft es sich zu überlegen, ob und in was ich Energie geben möchte und kann.

 

[ Für mich kein Grund, nicht sichtbar zu werden. ]

Die Wirkung, die ich erzielen kann – nämlich: andere Menschen mit meinen Themen zu erreichen und mein Netzwerk zu erweitern um Menschen, die dieses Anliegen teilen, überwiegt. Diversität bedeutet schliesslich auch, dass nicht alle einer Meinung sind. Indem ich mich zeige, werde ich aber immerhin sichtbar für diejenigen, die das ähnlich sehen, und biete Anknüpfungs- und Verbindungspunkte.

In 2019 gab es in deinem Leben einen «Unter-»Bruch: Du bist für einen Freiwilligendienst einen Monat lang an eine Schule in Tansania. Meistens entstehen solche Um-Brüche nicht aus dem Nichts heraus. Wie kam es dazu?

Mich hat Ende 2017 ein Burn-Out für zwei Monate in eine Ruhepause geschickt, in der ich Zeit hatte, mich zu fragen, warum das passiert ist und wo mein Leben künftig hingehen soll. In dieser Zeit habe ich Wünsche und Ideen, die ich vor langer Zeit in den Keller gestellt hatte, wieder hervorgeholt – und damit auch die Idee eines Freiwilligendienstes, die ich bisher immer als unrealistisch abgetan hatte, da eingebunden im Arbeitsleben und orientiert an Leistung und Karriere.

 

Der Schubs raus aus der Komfortzone. Das ist der grosse Benefit von (persönlichen) Krisen, den wir meist erst im Nachhinein sehen. Und dann hast du es dir einfach möglich gemacht?

Einfach … bis ich mir diesen Wunsch realisieren konnte, gingen noch einmal 1,5 Jahre ins Land. Ich habe einen Konversationskurs in Englisch belegt, um meine Englischkenntnisse zu verbessern. Und Urlaubstage gespart beziehungsweise zugekauft, um mir einen Monat Sabbatical zu ermöglichen. Als ich dann im Flugzeug sass, wäre ich am liebsten wieder ausgestiegen. Das war das erste Mal, dass ich ganz allein unterwegs war – noch dazu in ein Land, das ich so gut wie nicht kannte. Aber ich bin heilfroh, dass ich sitzengeblieben bin; bin ich so doch um eine Riesen-Erfahrung reicher.

Die afrikanische Kultur unterscheidet sich ziemlich von der westlichen Mentalität. Anderes Land – andere Sitten, heisst es. Sicher ist dir da das ein oder andere sehr fremd erschienen. Was ist dir besonders «fremd» in Erinnerung?

Mir ist der Umgang mit Geld und Leistung aufgefallen; beides so ganz anders als in unseren Breitengraden. Einerseits wurde ich von einigen Schüler:innen in der Schule wohl als «wandelnder Geldbeutel» gesehen; sie zeigten kein Interesse an mir als Mensch, sondern vorwiegend, ob ich ihnen finanziell weiterhelfen kann. Das hat mich irritiert und gestört, weil ich damit statt als Mensch gesehen lediglich auf mein finanzielles Potential reduziert wurde.

 

[ Zufrieden mit dem, was da ist. ]

Gleichzeitig scheint Leistung und Arbeit dort einen anderen Stellenwert zu haben. Ich habe weniger «Drive» wahrgenommen, unbedingt etwas aus dem eigenen Leben machen zu wollen; aber auch weniger Druck, es zu sollen. Wenn Menschen in Tansania genug Geld verdient haben für den Tag, dann kann es sein, dass sie für diesen Tag aufhören zu arbeiten. Die bei uns präsente Leistungsorientierung und Sparmentalität scheint dort wenig existent. Es wird eher von Tag zu Tag gelebt. Zufrieden, wenn für den Moment alles da ist, was es zum Leben braucht. Das hat mich fasziniert.

[ Wenig zielführend: «Macht’s wie wir und alles wird gut.» ]

Dieser Umgang mit Geld besteht wohl auch, weil erwartet wird, dass Materielles mit der Gemeinschaft geteilt wird und daher der Anreiz, sich persönlich (über-)anzustrengen, nicht besonders gross ist. Letztlich müssen wir uns aber auch fragen, inwiefern dieses Verhalten auf die Jahre der Kolonialisierung zurückzuführen ist, bei der die dort lebenden Menschen bewusst gebrochen und entmachtet wurden.

 

Na, zugegeben wäre das schon eine praktische Zauberformel, wenn es ein einziges Patentrezept für’s Gelingen gäbe. Wenn wir uns hingegen den aktuellen Zustand in Europa anschauen, dann stellt sich schon die Frage, was letztlich wünschenswert ist und welchen Wert wir Gemeinschaft und Gemeinwohl zuschreiben.

Und wie sieht jemand mit Diversitybrille wie du den Begriff «Heldin»?

Wenn ich dieses Wort höre, dann habe ich definitiv keine Superheld:innen im Blick. Sondern vielmehr Alltagsheld:innen, die für etwas stehen, ihr Ding durchziehen, eine Vision haben und kontinuierlich an ihrer Mission dranbleiben.

Held:innen können für mich ganz unterschiedliche Gestalt annehmen – die Pflegekraft, die sich im Gesundheitswesen für das Wohl der Menschen einsetzt; die Mutter, die ihren Kinder Liebe schenkt und ihnen wertvolle Ideen und Werte mit auf ihren Lebensweg gibt; oder jemand im Diversitykontext, die sich für Chancengleichheit engagiert.

Vor allem taucht bei mir nicht das Bild einer einzelnen Heldin auf. Held:innen sind für mich nicht allein auf weiter Flur unterwegs, sondern im Team, in einer Gruppe. Eine allein kann die Welt ja gar nicht retten 😉

 

Sehr divers, dein Heldinnenbild. Besonders gefällt mir der Aspekt von gemeinsam unterwegs sein.

Was möchtest du den anderen Menschen, den Frauen da draussen, jetzt noch mit auf den Weg geben?

Seid gemeinsam unterwegs 😉

Du kannst und musst nicht alles allein können. Bitte um Unterstützung, wenn du merkst, dass du Hilfe brauchst. Such dir Mithelfer:innen oder Mentor:innen, wenn du nicht weiterkommst. Teile deine Ideen mit anderen und halte die Augen auf nach Gleichgesinnten, die diese Idee mit dir weiterentwickeln wollen. Finde Verbündete, mit denen du gemeinsam an einem Strang ziehen kannst.

Ein wichtiges Learning für mich war, dass es keine Schwäche ist um Hilfe zu bitten. Denn wir können dabei nur gewinnen.

Auch eine Heldin braucht ein Team und immer mal wieder Unterstützung. Andere Menschen, die ihre Flügel halten und aufrichten, damit sie los- und weiterfliegen kann.

Im Gemeinsam-Gang geht es nicht immer schneller, aber dafür weniger allein!

Danke, liebe Lilian, dass du uns mit auf eine Reise zur Vielfalt deines Lebens genommen hast und gleichermassen die Herausforderungen im Umgang mit Diversität so ehrlich benennst und auf den Boden der Tatsachen bringst.

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