Stephanie Briner im Gespräch mit Linda Trapletti und Gwendolyn Gisler

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Führungsposition oder Weiterbildung? Topsharing ermöglicht beides.

Im Jobsharing teilen sich zwei Personen die Verantwortung für eine Stelle. Dies entlastet und lässt Raum und Zeit für die persönliche Weiterentwicklung, beispielsweise mit einer berufsbegleitenden Weiterbildung. Diese Chance haben Linda Trapletti und Gwendolyn Gisler gepackt. Sie sind im Topsharing tätig und absolvieren neben ihrer Teilzeit-Führungsposition eine Weiterbildung.

Wie das geht und was die beiden als Erfolgsfaktoren für die Arbeit im Jobsharing betrachten, darüber haben sie mit Stephanie Briner von WEshare1 gesprochen.

Linda Trapletti und Gwendolyn Gisler sind erfahrene Jobsharerinnen. Seit bald drei Jahren sind sie in der Co-Leitung bei der SBB. Sie haben dabei die Verantwortung über mehrere Standorte und führen zusammen 8 Mitarbeitende. Linda arbeitet in einem 60 % Pensum und studiert nebenbei Wirtschaftspsychologie. Gwendolyn arbeitet 50 %, absolviert eine Coaching-Ausbildung und ist Familienfrau.

Stephanie: WEshare1 hat eine Masterarbeit der Uni St.Gallen begleitet, in welcher verschiedene Vorgesetzte von Job-Tandems befragt wurden. Dabei hat sich herausgestellt, dass ein Job- oder Topsharing oft von den Mitarbeitenden angestossen wird. Wie ist euer Topsharing zustande gekommen?

Linda: Die Stelle «Leitung Reisezentrum Baar, Cham und Rotkreuz» wurde als 100 % Position ausgeschrieben. Dieser Ausschreibung ging eine Organisationsanpassung voraus, denn die drei Reisezentren wurden früher alle einzeln geführt. Gwendolyn hatte schon früh bei unserem Vorgesetzten eingebracht, dass sie sich für die Arbeit im Jobsharing interessiert und auch, dass sie gerne eine Führungsaufgabe übernehmen möchte. Es war dann unser Chef, welcher vorgeschlagen hatte, diese Position im Jobsharing zu besetzen. Er hatte erfahren, dass auch ich aufgrund einer Weiterbildung mein Pensum reduzieren möchte. Wie auch in eurem Blogbeitrag über Alexander und Rahel beschrieben ist, war auch bei uns entscheidend, dass sich unser Vorgesetzter stark für die Akzeptanz und Verbreitung von Job- und Topsharing einsetzte.

Gwendolyn: Linda und ich kannten uns. Wir waren beide schon am Standort Zug tätig und fanden die Idee gut. Wir haben uns intensiv Gedanken zu einer möglichen Co-Leitung gemacht, dabei unsere Werte verglichen und festgestellt, dass unser Werteverständnis übereinstimmt. Wir waren zu diesem Zeitpunkt beide Berufsbildnerinnen, hatten jedoch noch keine Führungsrolle inne.

L: Ich denke, ich hätte mir die Führungsaufgabe in alleiniger Verantwortung nicht zugetraut.

«Ich denke, ich hätte mir die Führungsaufgabe in alleiniger Verantwortung nicht zugetraut.»

S: Von eurem damaligen Vorgesetzten, welcher in diesem Fall eine Schlüsselperson für euer Topsharing war, habe ich aus einem Video über Jobsharing folgende Aussage entnommen: «Jobsharing verbindet Generationen». Ihr beide seid nicht in derselben Lebensphase und verfügt über unterschiedlich viel Berufserfahrung. Bei einem Altersunterschied von 10 oder mehr Jahren spricht man von einem intergenerationellen Jobsharing. Könnt ihr euch immer auf Augenhöhe begegnen?

L: Gwendolyn bringt viel mehr Berufs- und Lebenserfahrung mit, auch aus ihrer Rolle als Mutter. Dass wir beide unseren Erfahrungsrucksack unterschiedlich bestückt haben, haben wir aber nie als Nachteil empfunden. Wir können gerade aufgrund dieser Unterschiede verschiedene Standpunkte und Ansichten in Diskussionen einbringen. Diese wägen wir zusammen ab und entscheiden uns für die Variante, die im Moment gerade besser passt.

G: Für mich ist nicht relevant, wer jünger oder älter ist. Menschen zu respektieren und auf Augenhöhe zu begegnen, ist eine Grundhaltung von mir. Linda bringt Impulse aus ihrer Weiterbildung in den Arbeitsalltag ein. Ich profitiere im Berufsalltag von meiner Erfahrung als Mutter. In unserem Betrieb werden auch ausserberufliche Kompetenzen berücksichtigt und wertgeschätzt.

«Linda bringt Impulse aus ihrer Weiterbildung in den Arbeitsalltag ein. Ich profitiere im Berufsalltag von meiner Erfahrung als Mutter.»

S: Hat die berufsbegleitende Weiterbildung eure Zusammenarbeit verändert?

G: Die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, hat sich dadurch nicht verändert. Mich hat es aber angeregt, selber eine Weiterbildung anzufangen. Linda hat sich aufgrund der berufsbegleitenden Weiterbildung für eine Teilzeitanstellung entschieden. Bei mir war der Grund für die Teilzeittätigkeit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Umstand, dass Linda eine Weiterbildung absolviert, hat mich bewogen, selbst auch über eine Weiterbildung nachzudenken. Früher dachte ich: wenn die Kinder grösser sind und ich aufgrund der familiären Situation wieder mehr zeitliche Ressourcen habe, dann stocke ich mein Pensum auf. Inspiriert durch die Weiterbildung von Linda habe ich jetzt nicht mein Pensum aufgestockt, sondern selber eine Weiterbildung angefangen. Ich finde auch den Ansatz der Portfolio-Karriere spannend, welcher insbesondere unter jüngeren Arbeitnehmenden vermehrt diskutiert wird. Wieso neben einer Jobsharing-Stelle nicht in eine zweite berufliche Karriere investieren? Es lassen sich auch innerhalb eines Unternehmens verschiedene Berufsprofile miteinander verbinden. Wäre ich nicht im Jobsharing, hätte ich nie daran gedacht.

«Inspiriert durch die Weiterbildung von Linda, habe ich jetzt nicht mein Pensum aufgestockt, sondern selber eine Weiterbildung angefangen.»

S: Ihr teilt euch zusammen 110 Stellenprozente. Wie seid ihr organisiert? Viele Job-Tandems, beispielsweise Yvonne und Ilona oder Alexander und Rahel, verfügen über eine überlappende Arbeitszeit. Ihr auch?

G: Wir sind sehr schmal unterwegs. Unser Topsharing funktioniert mit extrem wenig überschneidender Arbeitszeit. Wir haben eigentlich nur einen gemeinsamen Bürotag pro Monat. Meistens arbeiten wir zeitlich und örtlich getrennt voneinander. Grundsätzlich ist in unserem Reglement festgehalten, dass für ein Topsharing ein 120 % Pensum zur Verfügung steht. Wir arbeiten beide zu einem grossen Teil operativ und kommen mit wenig überschneidender Zeit durch.

Wenn wir mehr Zeit zur Verfügung hätten – was wir grundsätzlich begrüssen würden – würden wir diese in die Führungsarbeit stecken, beispielsweise in die individuelle Förderung der Mitarbeitenden.

L: Unser Abgleich passiert hauptsächlich schriftlich (E-Mails, Teams-Chats, One Note) und zwischendurch auch telefonisch. Wenn wir ausserhalb der Arbeitszeit telefonieren, dann ist es hauptsächlich diejenige Person, die frei hat, die sagt: lass uns heute kurz austauschen. Diejenige, die arbeitet, «stört» die andere nicht einfach am arbeitsfreien Tag.

«Unser Topsharing funktioniert mit extrem wenig überschneidender Arbeitszeit.»

S: Ihr arbeitet oft zeitlich und örtlich getrennt. Wie funktioniert ihr in der Führung? Wie beschreibt ihr euer gemeinsames Führungsverständnis?

L: Wir fällen viele Entscheide alleine, welche aber auf einem gemeinsamen Werteverständnis basieren. Das gegenseitige Vertrauen ist sehr gross.

G: Wir können beide gut akzeptieren, dass es meist verschiedene Lösungsansätze gibt. Dabei orientieren wir uns am Allgemeinwohl bzw. an der Wirkung für das ganze Team. Passt diese Entscheidung für alle, können wir diese gut akzeptieren. Wenn dir dein Ego und die persönliche Profilierung sehr wichtig ist, dann wird das schwierig in einer Co-Leitung. Wir leben in unserem Betrieb den transformationalen Führungsansatz, welchen ich als sehr passend für die Führung im Topsharing empfinde. In diesem Führungsansatz wird die Eigenverantwortung gefördert. Wir delegieren, lassen den Mitarbeitenden viel Handlungsspielraum und motivieren sie, Verantwortung zu übernehmen.

Linda: Wir schaffen Rahmenbedingungen, damit die Mitarbeitenden, welche übrigens fast alle Teilzeit arbeiten, sehr selbständig arbeiten können. Ich nehme mich mehr als Coach wahr und leite die Mitarbeitenden an, alleine oder im Team eine Lösung zu finden. Ich finde es nicht immer einfach, Theorien aus meiner Ausbildung in die Praxis zu übertragen. Transformationale Führung war jedoch auch ein grosses Thema in der Schule. Parallel dazu hatten wir im Geschäft mehrere Schulungen dazu. Diese unterschiedlichen Perspektiven waren sehr wertvoll.

«Wir leben in unserem Betrieb den transformationalen Führungsansatz, welchen ich generell als sehr passend empfinde für die Führung im Topsharing.»

S: Wie lange hat euer Team gebraucht, um euch in der Doppelleitung zu akzeptieren?

L: Bei unserem HR-System ist es so, dass die Mitarbeitenden nicht beiden von uns Co-Leiterinnen zugeteilt werden können. So haben wir gewisse Mitarbeitende Gwendolyn und die andern mir zugeordnet. Obwohl wir kommuniziert hatten, dass sie auf beide von uns zugehen können, hat die Realität gezeigt, dass sie mit ihren Anliegen jeweils nur auf diejenige Führungsperson zugingen, die ihnen im System zugeteilt war.

G: Wir mussten mehrmals ansprechen, dass wir in der Co-Leitung zusammen für alle verantwortlich sind. Wir haben dann die Qualifikations-Gespräche gemixt, d.h. die Gespräche mit denjenigen Personen geführt, welche im System bei der anderen Person eingetragen sind. Als weitere Massnahme haben wir mit allen Mitarbeitenden einen Teams Chat eröffnet, in welchem alle drei – also Mitarbeiter oder Mitarbeiterin und wir als Führungsduo – drin sind

L: Dieses Beispiel zeigt, dass die systemischen Rahmenbedingungen sehr wohl einen Einfluss darauf haben, wie das Jobsharing in der Praxis gelebt wird.

«Dieses Beispiel zeigt, dass die systemischen Rahmenbedingungen sehr wohl einen Einfluss darauf haben, wie das Jobsharing in der Praxis gelebt wird.»

S: Und wie lange habt ihr gebraucht, um in der Co-Leitung anzukommen? Was hat euch dabei geholfen?

G: Wir haben zu Beginn der Corona-Pandemie gestartet und am Anfang einfach losgelegt. Das hat eigentlich ganz gut funktioniert. Bei uns ist es so, dass uns ein Coaching zum Topsharing angeboten wurde. Wegen Corona haben wir dies erst später in Anspruch genommen.

L: Erst dachten wir «das klappt ganz gut» und wir brauchen gar kein Coaching. Dann haben wir doch davon Gebrauch gemacht, was eine gute Entscheidung war. Wir haben wertvolle Inputs erhalten und durch das Coaching realisiert, dass wir zu Beginn zu stark im «Jobsplitting» und gar nicht im eigentlichen «Sharing» waren.

«Wir haben wertvolle Inputs erhalten und durch das Coaching realisiert, dass wir zu Beginn zu stark im «Jobsplitting» und gar nicht im eigentlichen «Sharing» waren.»

S: Ihr habt ein Reglement, in welchem Rahmenbedingungen für ein Jobsharing festgehalten sind. Gibt es eine vertragliche Regelung, die beschreibt, wie im Falle eines Austrittes einer Person vorgegangen werden soll?

G: Ja, unser Jobsharing ist vertraglich geregelt. Wenn beispielsweise Linda ihre Ausbildung beendet hat, ihr Pensum wieder erhöhen möchte und/oder eine andere Position übernimmt, dann habe ich die Möglichkeit a) mein Pensum zu erhöhen auf 70 %, denn mit 70 % ist bei uns möglich, eine Führungsposition auszuüben b) eine:n neue:n Partner:in für ein Jobsharing zu suchen oder c) in eine Tätigkeit ohne Führungsverantwortung zu wechseln.

S: Welchen Tipp würdet Ihr Personen mitgeben, die sich ebenfalls für ein Topsharing interessieren?

G: Sie sollen keine Angst haben vor dem Neuen und Topsharing eine Chance geben. Zurück auf «alt» geht immer.

L: Auch wichtig erscheint mir, dass man sich bei Interesse an einem Sharing dafür stark macht, darüber spricht und dies bei der Führungsperson anmeldet. Und anschliessend auch die Erfahrungen mit anderen teilt. Wir haben jetzt intern einen Jobsharing-Yammer-Kanal.

Das Interview auf WEshare1

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