«Wir müssen jetzt einen anderen Ton anschlagen, weniger gehässig»

Medien

BLICK – Rebecca Wyss – 
Monique Bär (66) stammt aus der bekannten Zürcher Bankiersfamilie Bär. Lange haderte sie mit ihren Privilegien. Bis sie eine Stiftung gründete. Gerade ist deren neuestes Projekt gestartet: «Geschlechtergerechter». Wir blicken in die Schweizer Philanthropie-Szene.

Samstagmorgen, Stapferhaus, Lenzburg AG. Über ein Dutzend Frauen und Männer, 50 bis 70 Jahre alt, aus Uri und Aarau, Handwerker und Akademikerinnen, alle sitzen sie an einem Tisch. Und diskutieren: Was ist Geschlecht?

Manche sagen, sie kämen nicht mehr mit, worum es eigentlich gehe: Was soll dieses Gschtürm um den Genderstern? Andere finden, Gleichstellung sei noch lange nicht erreicht, die Frauen stünden während der Corona-Zeit wieder allein am Herd.

Die Gruppe ist Teil des Projekts «Geschlechtergerechter».

Wo jede spricht, jeder zuhört. Das ist ungewohnt dieser Tage. Aber genau so hatte sich das Monique Bär (66), Mäzenin, Stifterin, vorgestellt. Wir treffen sie ein paar Wochen später in Zürich, nach einem durchgearbeiteten Wochenende für das Projekt. Sie sagt: «Wenn wir in der Geschlechterfrage etwas erreichen wollen, müssen wir jetzt einen anderen Ton anschlagen, weniger gehässig.»

Sie wuchs in der bekannten Zürcher Bankiersfamilie Bär auf. Die Rollen waren damals in den 50er-Jahren klar verteilt. Vater Hans J. Bär baute die Bank auf, sass in vielen Gremien, war selten daheim. Mutter Ilse kümmerte sich um die Kinder, den Haushalt. Buben trugen Hosen, Mädchen Jupes und die älteren Töchter aus gutem Haus ein Deuxpièces. Die kleine Monique streunte aber viel lieber in Hosen herum, half mit ihrer besten Freundin, der Bauerntochter Erika, im Stall aus, war ein Pfadi-Meitli. Sie war anders. «Ein schräger Vogel», sagt sie. «Ich fühlte mich fremd in der Familie.»

Damals war das Geschlecht kein Thema. Heute ist es eine Kampfzone, wo mit Begriffen wie «alter weisser Mann» und «Genderwahnsinn» um sich geworfen wird. Monique Bär sieht es so: «Viele versteifen sich auf ihre Position, verstecken sich in ihren sozialen Bubbles, werfen einen Hatespeech ins Netz und lassen sich von ihren Anhängern feiern.»

Hier setzt die Plattform Geschlechtergerechter an, online als Website und im realen Leben mit Veranstaltungen wie jener im Stapferhaus. Die Vision von Bär und ihrem Team: Menschen zusammenbringen, Konsens ermöglichen. Das Projekt ist breit abgestützt, von Pro Juventute bis zum Kaufmännischen Verband. Und wird wissenschaftlich begleitet. Auch um der Politik Grundlagen zu liefern. Wenn man in Fragen wie der Individualbesteuerung, Altersvorsorge, Kinderbetreuung weiterkommen wolle, müsse man gründlich über alles nachdenken, was mit Geschlecht zu tun hat. Reflektieren, wo man selbst stehe, sagt Bär, die in einer eingetragenen Partnerschaft mit einer Frau lebt.

 

Philanthropie füllt eine Lücke

Die Ziele sind hochgesteckt. Darum geht es aber auch bei solchen Projekten: Sie sollen visionäre Dinge wagen. Dort etwas anstossen, wo der Staat nicht kann. Und Unternehmen nicht wollen, weil kein Geld zu holen ist. Solche Projekte füllen eine Lücke. Sie zielen auf das Gemeinwohl. Philanthropie halt.

Und darum geht es im Kern auch bei der aktuellen Debatte über Reichtum und Umverteilung. Das SRF widmete sich auf allen Kanälen dem Thema Erben. Der Frage: Ist es fair, wenn hierzulande im Jahr 2020 rund 95 Milliarden Franken vererbt wurden?

Angestossen hat die Debatte eine Österreicherin: Marlene Engelhorn (29). Im Frühling wurde sie zum Shootingstar, weil sie bald einen zweistelligen Millionenbetrag erbt und fast alles spenden will. Sie fordert lautstark neue Steuern für Superreiche, die für wohltätige Zwecke eingesetzt werden sollen. Der Zeitung «Der Standard» sagte sie: Sie habe nichts für dieses Erbe getan. Es sei pures Glück im Geburtslotto. Die Menschen, die das erarbeitet hätten, hätten nicht viel davon gehabt. «Es kommt somit eigentlich aus der Gesellschaft, und dorthin soll es zurück.»

Auch wenn sich die beiden nicht kennen: Monique Bär und Marlene Engelhorn sind Gleichgesinnte. Sie sind Stimmen einer neuen Bewegung innerhalb jener, die viel besitzen. Sie wollen nicht einfach ihren Reichtum vermehren, auch nicht einfach nur ein paar Franken verteilen, um das eigene Gewissen zu beruhigen und gut ist. Sie packen mit an.

 

Die Familie Bär gehört zu den 300 reichsten Schweizern. Das war für Monique Bär lange eine Bürde. Sie sagt: «Ich bin privilegiert. Es war ein langer Weg, bis ich damit umgehen konnte.» Weil es Verantwortung mit sich bringt, ein schlechtes Gewissen. Und mehr.

Als junge Frau lehnte sie ihre Herkunft ab, fuhr das Kontrastprogramm zu ihren Eltern.
Sie studierte nicht Kunstgeschichte, nicht Finance, wie erwartet, sondern Agronomie an der ETH. Arbeitete danach in der Entwicklungshilfe. Weit weg vom Namen Bär. Dieser Hypothek, derentwegen sie sich nie sicher sein konnte, ob man sie lieb hatte oder nur «den Stutz». Das habe sie für eine ganze Weile zu einem skeptischen Menschen gemacht. Sie, die so optimistisch, neugierig wirkt, schnell das Du anbietet.

Mit 50 kam die Wende. Sie packte ihren Rucksack, wanderte drei Wochen lang auf dem Jura-Höhenweg, dachte nach. Sie sagt: «Ich stand vor der Wahl, alles zu verschenken und ins Kloster zu gehen, oder es als Teil von mir anzunehmen und etwas Gescheites damit zu machen.» Sie gründete die Arcas Foundation, die das Projekt Geschlechtergerechter unterstützt.

Mit der Herkunft versöhnt

Seither ist Bär Mäzenin – und folgt damit einer Schweizer Tradition, ohne die es eine Tonhalle in Zürich oder eine Museumslandschaft in Basel nicht gäbe. Doch die Szene ist gerade im Umbruch. Der Roche-Erbe André Hoffmann (63) sagte kürzlich der «NZZ am Sonntag»: «Die traditionelle Form der Philanthropie hat versagt.» Projekte, die es nur gebe, solange eine Stiftung zahle, und die aufhörten, wenn diese sich zurückziehe, seien fehlgeleitet. Es brauche nachhaltige Business-Modelle. Die Erben schliessen ihre Mava-Stiftung.

Wie steht Monique Bär dazu? Sie sagt: «Ich sehe das anders als André.» Die Gesellschaft brauche Stiftungen, die Risiken eingingen und Experimente zuliessen. «Wer sonst würde ein Projekt wie Geschlechtergerechter finanzieren?» Und einen Wandel anstossen?

Monique Bär hat mit ihrer Herkunft, mit den Eltern, mit sich Frieden geschlossen. Sie lebt in Urnäsch AR, «mitten auf der Kuhweide». Denkt aber oft an ihre Eltern. «Ich würde gerne noch einmal mit meinem Vater reden», sagt sie und schaut zur Decke. «Leider ist das nicht mehr möglich.» Als Kind habe er ihr sehr gefehlt. Heute wisse sie: Dahinter steckte viel Engagement, auch philanthropisch. So wie bei ihr.

Was würde sie ihm sagen wollen? «Vater, ich habs begriffen.»
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