Post-Traumatic Growth?

Sandra

Ladies Drive – Sandra Stella Triebl

Ich glaube, ich werde das nächste Mal bei einem Apéro (statt oberflächlichem Gerede beim Cüpli-Schlürfen) einfach mal Folgendes in die Runde werfen: Und was ist so dein letztes richtig traumatisches Erlebnis?

Ich wäre gespannt, welche Art und Tiefe von Diskussion sich aus dieser Frage ergibt. Sind andere bereit, ihre traumatischen Erfahrungen und Krisenmomente zu teilen? Wann ist etwas überhaupt ein Trauma – und wann einfach ein Schluckauf des Universums? Eine kleinere Verstimmung? Eine übliche Herausforderung im Berufsalltag? – Ich denke, dass wir mehr Traumata erleben, gerade auch im Business, als uns manchmal bewusst ist. „There is no free lunch“ und „das Leben ist kein Ponyhof“ sind nur zwei von vielen Sprüchen, die man im Geschäftsleben hört und die uns sagen: Du hast gefälligst noch mal zu funktionieren! Stell dich nicht so an! Und genau in diesen Momenten gehen wir wohlmöglich das eine oder andere Mal über unsere Grenzen. Dabei können wir herausfinden, dass wir besser sind, als wir denken, weil wir uns bei dieser Grenzüberschreitung überraschen können. Aber es besteht auch die Gefahr, dass wir Stück für Stück Raubbau an unserer Seele und unserem Körper betreiben – ohne dass wir das bemerken, bis es uns auf den Hintern setzt.

Was ich durch all die Interviews, die ich für diese Ausgabe hab führen dürfen, gelernt habe: Jede Herausforderung, jede Krise verändert unser Gehirn. Aber in 75 Prozent der Fälle schaffen wir es, all das zu bewältigen. Wichtig scheint bei jeder Krise: hinzuschauen. „There is no growth in denial“ sagte mir Dr. Maria Sirois. Doch gerade das Hinschauen kann aufwühlend sein, das Zugeben, dass man überfordert ist, schmerzvoll. Und doch ist es der einzige Weg, damit umzugehen.

Mein schlimmstes und traumatisierendstes Erlebnis, welches ich erst als Erwachsene begreifen konnte, war die Situation, dass ich in der Schule ein Aussenseiter und äusserst unbeliebt war. Heute würde man das wohlmöglich Mobbing nennen. Das führte sogar mal dazu, dass mich eine Mitschülerin im Turnunterricht so lange mit einem Handball bewarf, bis ich mir den Finger brach. Wenn ich die Klasse betrat, wurde ich ausgebuht. Man spukte auf den Sitz meines Mofas, man versuchte mich zu veräppeln und mir Streiche zu spielen. Ich war anders, und das fand ich echt doof. Ich wollte doch nur mitspielen dürfen – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ich war eine gute Schülerin, Liebling der Lehrer, war ambitioniert und liebte es zu lernen. Allein das machte mich zur Aussenseiterin. Das führte dazu, dass ich mich abschottete – andere hielten das für arrogant, während es für mich Schutz bedeutete. Zum Glück hatte ich diese soziale Naivität, dieses Licht im Herzen, das dazu führte, dass mich das alles nicht brechen konnte. Denn zu Hause sass eine gestrenge Mutter, die mich mit ihrer an Bedingungen geknüpften Liebe nicht beschützte, und ein Vater, der unfassbar liebevoll war und ist, der aber Konflikte scheut wie der Teufel das Weihwasser. So war ich mir selbst überlassen. Das Einzige, was ich wusste: Wenn ich schnell voranlaufe und vorne bin, bin ich sicher. So sah ich zu, dass mich niemand einholte. Begriffen hab ich diese tief sitzende Trauma faszinierenderweise beim Anschauen vom „Sommerhaus der Stars“ – einem trashigen Reality-TV-Format. Als ich sah, wie jemand zu Unrecht zur Aussenseiterin wurde, hab ich nur noch geheult. Und ich fragte mich: Woher kam das gerade? Ich begann zu graben, zu reden, zu spüren – und es tat wieder weh, an diesem Punkt, in diese Energie von damals reinzugehen. Aber es war bitter nötig, um mich zu erkennen. Ich war nie wirklich böse auf meine Mitschüler – ich war böse auf mich selbst. Das Ganze hat mich gelehrt, wie eine Gruppendynamik funktioniert – oder das Phänomen des Sündenbocks –; ein Umstand, der mich auch während der Pandemie wieder eingeholt hat. Ich war ein talentiertes Mädchen, aber aufgrund der vielen Talente nicht so empathisch, wie ich es hätte sein können, weil vieles für mich keine Herausforderung darstellte. Das ist das, was mir dieses Trauma beigebracht hat. Es hat mich auf meine weiche, mildere Seite aufmerksam gemacht und dazu geführt, dass ich meine Sinne für andere Menschen und Umstände öffnen konnte. So wie ich gerade mein Trauma mit euch geteilt habe, machen das eine ganze Reihe von Menschen in dieser Ausgabe. Sie erzählen aber auch, wie sie nach ihrer Krise Wachstum spüren konnten. Ich hoffe inständig, dass diese Ausgabe euch bewegt, inspiriert und sie euch Mut macht – und euch zum Lachen bringt. Zum Beispiel bei der Lektüre der Kolumne von Patti Basler – oder Sabrina Schenardi, die einfach mal ChatGPT gebeten hat, ihre Kolumne zum Thema Post-Traumatic Growth zu schreiben.

Einmal mehr bedanke ich mich aus tiefstem Herzen bei allen Kreateurinnen und Kreateuren dieser Ausgabe, und ich selbst hab beim Lesen eine ganze Packung Taschentücher gebraucht. Ging es euch ebenso? Ich freu mich auf eure Rückmeldung: sst@swissladiesdrive.com 🙂

Wer in dieses Thema noch tiefer eintauchen, aber auch die Werkzeuge für Post-Traumatic Growth lernen möchte: Schaut euch doch bitte unsere League of Leading Ladies Conference an (12. und 13. Juni in Bad Ragaz, www.leagueofleadingladies.com). Danke schön!

Und last, but not least: Was uns bei allen schwierigen Lebenslagen hilft, ist ein tragfähiges Netzwerk mit Menschen, mit denen wir wahrhafte Beziehungen pflegen. Es ist das, worin ich seit der Lancierung von Ladies Drive 2007 investiere und woran ich aus tiefstem Herzen glaube. Danke, dass ihr Teil dieses „Ladies Drive Soul Tribes“ seid!

#YesWeShare

Herzlichst,

Sandra-Stella

Zum Artikel von Sandra stelle Triebl

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