Martina Fehr – Präsidentin des Stiftungsrates vom Schweizer Presserat

Medien

persoenlich – «Wir brauchen Zusagen für 100’000 Franken bis Ende Mai»

Nach dem Nein zum Mediengesetz ist der Presserat in akuter Geldnot. Nun ist ein Gönnerverein in Gründung. Martina Fehr, Präsidentin des Stiftungsrates, über den Aufruf zu Spenden, einen möglichen «Rettungsring» von den Trägern und Ideen für die Zukunft.

Frau Fehr*, der Presserat kämpft seit Jahren mit Geldproblemen. Nach dem Nein zum Mediengesetz ist ein Hoffnungsschimmer verflogen. Wie ernst ist die Lage?
Die Finanzlage ist wirklich sehr schwierig. Wir haben lange versucht zu überbrücken – in der Hoffnung, dass die Unterstützung vom Bund kommt. Seit der Abstimmung im Februar ist klar, dass wir darauf nicht setzen können. Wir brauchen aber dringend Geld – und zwar lieber heute als morgen.

Wofür brauchen Sie konkret mehr Geld?
Unsere Geschäftsstelle mit 140 Stellenprozenten ist aufgestellt, um etwa 80 Beschwerden im Jahr in nützlicher Frist zu bearbeiten. Seit 2017 waren wir immer darüber. 181 Fälle im ersten Coronajahr, 159 im Jahr 2021 und heuer sieht es bis jetzt nicht nach weniger aus. Wir müssen die Geschäftsstelle dringend aufstocken. Zudem würde sich der Presserat gerne stärker in öffentliche Debatten um medienethische Fragen einbringen. Und unser Pendant in Deutschland zeigt, was die Digitalisierung der Prozesse bewirkt – die können seither doppelt so viele Beschwerden behandeln wie zuvor. Da sehen wir grosses Potenzial für uns.

Wie gross ist das Loch in der Kasse?
Wir brauchen Zusagen für mindestens 100’000 Franken bis Ende Mai, um den laufenden Betrieb für dieses Jahr aufrechterhalten zu können. Wenn wir das Geld nicht beschaffen können, werden wir die Dienstleistungen des Presserates nicht in dieser Form weiterführen können.

Was heisst das genau?
Da gibt es mehrere Überlegungen. Ein Weg wäre, dass wir uns auf 80 Fälle im Jahr beschränken – also einfach aufhören, wenn das Soll erreicht ist. Oder wir behandeln nur noch jede zweite Beschwerde. Ein anderer Weg wäre, dass wir unsere Arbeit kostenpflichtig machen. Bisher kann jede Privatperson drei Beschwerden kostenlos einreichen. Da könnten wir früher ansetzen. Das sähen wir allerdings sehr ungern. Das niederschwellige Angebot ist wichtig – bevor jemand zum Anwalt rennt, kann sich wirklich jede und jeder an den Presserat wenden, wenn er oder sie sich von einem Medium unrecht behandelt fühlt.

 

«Mit dem Gönnerverein schaffen wir ein Instrument, um jedem und jeder eine finanzielle Unterstützung zu ermöglichen»

 

Nun setzt der Stiftungsrat auf einen Gönnerverein, um Geld reinzuholen. Wie kam die Idee auf?
In der Verzweiflung wird man kreativ (lacht). Im Ernst: In der Politik mahlen die Mühlen langsam. Nach dem Nein im Februar war uns klar, dass wir nun wirklich in die Gänge kommen müssen. Die Presseratspräsidentin Susan Boos hat die Idee eingebracht. Als sie Chefredaktorin bei der WOZ war, wurde dort ein Förderverein gegründet, um weitere Mittel reinzuholen. So kam damals in kürzester Zeit viel Geld zusammen. Ob das bei uns auch funktioniert, wissen wir natürlich nicht.

100’000 Franken in fünf Wochen ist ambitioniert: Wen haben Sie als Gönnerin oder als Gönner im Visier?
Aus Gesprächen in der Branche wissen wir, dass der Presseverein viele Sympathien hat. Mit dem Gönnerverein schaffen wir ein Instrument, um jedem und jeder eine finanzielle Unterstützung zu ermöglichen. Seit Februar sind wir zudem mit unseren Trägerorganisationen für eine kurzfristige zusätzliche Beschaffung von Mitteln im Gespräch, verschiedenste Möglichkeiten werden geprüft.

Der Presserat wird von Impressum, SSM, Syndicom, der Konferenz der Chefredaktorinnen und Chefredaktoren, dem VSM sowie der SRG getragen. Sie alle sollen mehr zahlen?
Nein, die regulären Beiträge bleiben bestehen. Wir sind aber im Austausch bezüglich einer kurzfristigen Zusatzfinanzierung für den laufenden Betrieb, sozusagen eines «Rettungsrings». Definitiv ist noch nichts, aber sagen wir es so: Ich bin optimistischer als noch vor zwei Wochen.

 

«Es gilt, den Spendenaufruf geschickt gegen aussen zu kommunizieren»

 

Die Konferenz der Chefredaktorinnen und Chefredaktoren wollte austreten, bleibt aber nun an Bord. Wie haben Sie sie überzeugt?
In vielen Gesprächen. Der Frust stammt aus einer Zeit vor Susan Boos und mir, darum kann ich darüber nicht sehr viel sagen. Aber offenbar ist der Eindruck entstanden, dass der Presserat eher gegen die Medien ist, anstatt sie zu stützen. Wir konnten das in mehreren Gesprächen mit dem Vorstand klären. Am Schluss gab es an der GV des Vereins ein klares Zeichen für den Presserat, was uns natürlich sehr gefreut hat.

Zurück zum Gönnerverein. Was ist der aktuelle Stand?
Zurzeit sind wir in der Gründungsphase. Es wird Aktiv- und Passivmitgliedschaften geben. Wir sind daran, alles umzusetzen. Dann gilt es, den Spendenaufruf geschickt gegen aussen zu kommunizieren.

Wie wollen Sie den Presserat mittel- bis langfristig auf stabile Beine stellen?
Die Politik und die Medienförderung haben wir noch nicht ganz abgeschrieben, das wird aber lange dauern. Mittelfristig soll der Gönnerverein ein zusätzliches Instrument für Spenden sein. Zudem wollen wir ein professionelles Fundraising aufbauen – aber auch das kann unsere notorisch überlastete Geschäftsstelle aktuell nicht leisten.

Sind Sie mit Stiftungen in Kontakt?
Ja, jedoch ist die Finanzierung durch Stiftungen schwierig. Die meisten unterstützen konkrete Projekte, nicht aber den laufenden Betrieb.

 

«Susan Boos hat viele wichtige und konkrete Ideen»

 

Wichtig ist, dass der Presserat unabhängig bleibt. Ist diese durch den Gönnerverein nicht in Gefahr?
Nein, denn die Stiftung ist dadurch nicht tangiert. Der Stiftungsrat ist mit den Sitzen der Trägerorganisationen sehr gut austariert.

Sie sagten es zuvor: Der Stiftungsrat sähe gerne, wenn sich der Presserat mehr in öffentliche Debatten einbringt. Sind Sie diesbezüglich zufrieden mit Susan Boos, die seit bald zwei Jahren Präsidentin ist?
Die letzten zwei Jahre waren nicht einfach. Nicht zuletzt erschwerte die Pandemie den direkten Diskurs oder die Teilnahme an medienethischen Debatten. Und im Vorfeld der Abstimmung über die Medienförderung war meine Präsenz als Präsidentin des Stiftungsrates, der sich um die Finanzierung des Presserates kümmert, stärker gefragt. Susan Boos hat viele wichtige und konkrete Ideen, für die wir sie ja auch geholt haben. Nun ist es an uns, die Mittel zu beschaffen, damit sie diese auch umsetzen kann.

Und wie sehen diese Ideen aus?

Grundsätzlich geht es darum, stärker in einen Dialog treten zu können und die medienethischen Diskussionen innerhalb des Presserates öffentlicher und die Stellungnahmen dadurch auch nachvollziehbarer zu machen. Konkret ist zum Beispiel ein regelmässiger Newsletter zu medienethischen Fragestellungen und Entwicklungen angedacht.

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Bild: Patrick Hürlimann

 

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