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Noch selten war die Unternehmenskommunikation derart herausgefordert wie dieses Jahr. Ein Interview mit der Expertin Albena Björck über einen neuen Normalzustand, die Bewegung Corporate Aktivismus, die Balance zwischen zu viel und zu wenig Kommunikation und das Krisenszenario «Blackout».
«Im Gegensatz zur Coronakrise finde ich nun sehr positiv, dass die Energiekrise und ihre Auswirkungen von Behörden und Unternehmen seit Monaten thematisiert werden und die Öffentlichkeit an dieser Diskussion teilnimmt», sagt Albena Björck, die an der ZHAW über Management in Unternehmen in Zeiten der Krise und des Wandels forscht.
Was für ein Jahr! Ich begann das Jahr 2022 mit der Hoffnung auf die baldige Entspannung der Coronakrise. Gerade dann kam der Schock mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs. Die kumulative Wirkung dieser beiden Krisen führte zu weiteren ökonomischen und sozialen Krisen wie Lieferengpässen und Migrationsströmen, Energiemangel- und Lebenskostenkrise. Die mehr als jahrzehntelange lockere Geldpolitik hat auch das System anfälliger für Verwerfungen gemacht. Aus Sicht des Krisenmanagements waren diese Krisentypen nicht neu und überraschend.
Neu an der Situation ist, dass die Lage verwoben und nicht linear verläuft – wir haben mit mehreren unterschiedlichen Krisen zu tun, die sich gleichzeitig ereignen und parallel entwickeln. Und eine Entwarnung gibt es nicht – dies scheint der neue Normalzustand zu sein.
Die Bewältigung einer Mehrzahl von Krisen verlangt neue Kompetenzen, auch im Bereich der Kommunikation. Behörden und Unternehmen müssen wie selten zuvor mit ihrem strategischen Risiko- und Krisenmanagement den direkten und aufrichtigen Dialog zu Kunden, Mitarbeitern und Öffentlichkeit suchen. Die Krisenkommunikation ist nicht mehr eine Episodenaufgabe, sondern ein Instrument für den Aufbau des langfristigen Vertrauens. Anders gesagt: Vertrauen ist für die operative Bewältigung einer Krise zentral. Je besser eine Krise bewältigt wird, desto mehr Vertrauen wird geschaffen und gefestigt.
«Es braucht Krisen, um Menschen und Organisationen wachzurütteln»
Nach zwei Jahren einer globalen Notfallsituation mit Covid kann man festhalten: Es braucht Krisen, um Menschen und Organisationen wachzurütteln. Das Bewusstsein und die Bereitschaft in die eigene Krisenresilienz zu investieren, sind stark gestiegen. Niemand zweifelt mehr an der Wichtigkeit: Die Krisenkommunikation ist eine Chefsache und braucht Ressourcen.
Sich von einem ausländischen Markt zurückzuziehen, ist eine gravierende Entscheidung und auch in Friedenszeiten mit grossen Risiken und Verlusten verbunden. Insbesondere wenn es sich um die Schliessung von Produktionsstätten und die Unterbrechung ganzer Wertschöpfungsketten handelt. Eine Organisation muss dabei zwischen unterschiedlichen Interessen (Kunden, Investoren, Öffentlichkeit, Mitarbeiter et cetera) und Kosten abwägen und eine Führungsentscheidung treffen. Mit all den Risiken. Man kann ein Unternehmen nicht wie ein TikTok-Video führen. Aber um die Brücke zwischen dem TikTok-Video und der nachhaltigen Unternehmensführung zu schlagen, braucht es Krisenkommunikation.
Eindeutig. Diese Entwicklung hat schon vor dem Krieg begonnen. Bereits zu Themen wie «Me Too» oder «Black Lives Matter» haben sich Unternehmen aktiv positioniert. In der Wissenschaft nennen wir diese neue Bewegung Corporate Aktivismus. Sie geht mit der steigenden Bedeutung eines breit abgestützten Unternehmenszwecks, «Purpose», einher – dabei streben Unternehmen Werte wie Kundenorientierung und Qualitätsbewusstsein an, aber auch soziale Verantwortung, Inklusivität oder Sorge für die Umwelt.
«Die grosse Schwierigkeit besteht in der heterogenen persönlichen Betroffenheit und der Krisenmüdigkeit»
Die Antwort hier ist Balance: Unternehmen müssen die Brücke schlagen zwischen einer nachhaltigen Entscheidung, die alle Anspruchsgruppen berücksichtigt, und dem medialen Druck, vor allem dank Social Media. Unternehmen sollen sich vor allem auf ihre Kernkompetenzen fokussieren. Das ist nicht immer einfach in Extremfällen, wie bei Verstössen und Ungerechtigkeiten, die eine breite Öffentlichkeit als schwerwiegend einschätzt.
Ja und nein. Technisch und methodisch gesehen nein. Das Thema ist uns seit Monaten bekannt und sollte bei den Unternehmen bereits vorbereitet sein. Wie bei der Coronapandemie geht es hier zuerst um eine Risiko- und dann um eine Notfallkommunikation, bei der Instruktionsbotschaften und Schutzmassnahmen einen echten Mehrwert für die Öffentlichkeit schaffen. Auch hier gilt es, Szenarien zu entwickeln mit einem möglichst kritischen Verlauf und Ausgang. Also neben der Senkung der Raumtemperatur und des Energiebedarfs sollten nun vor allem der Stromausfall und ein totaler Blackout vorbereitet werden.
… und zwar aus psychologischen Gründen. Die grosse Schwierigkeit besteht in der heterogenen persönlichen Betroffenheit und der Krisenmüdigkeit. Zum Beispiel findet der Ukrainekrieg nicht in einem Nachbarland statt, wir hören die Kriegshandlungen nicht mit den eigenen Ohren, aber mittels der Energiekrise ist der Krieg in unserem Alltag angekommen. Unterschiedliche Teile der Gesellschaft fühlen sich anders betroffen – aufgrund von ökonomischen Voraussetzungen aber auch generationenbedingt. Die einen sind seit Monaten gestresst und verzichten auf Nachrichtenkonsum, andere möchten ausbrechen und trotz Krise das Leben geniessen.
«In der Krise führen Persönlichkeiten – es braucht nicht nur Kommunikation, sondern auch starke Kommunikatoren»
Ich sehe aktuell drei grosse Herausforderungen: Erstens: Nach zwei Jahren Coronakrise ist die Öffentlichkeit krisenmüde und weniger empfänglich für die vorbereitende Risikokommunikation. Zweitens: Die Balance zwischen zu viel und zu wenig Kommunikation – zu viel kann überfordern, zu wenig blockieren. Es ist eine komplexe Situation, die in einfache Botschaften und Instruktionen übersetzt werden muss. Drittens: In der Krise führen Persönlichkeiten – es braucht nicht nur Kommunikation, sondern auch starke Kommunikatoren. Das schafft Vertrauen.
In einer Studie haben wir die wellenförmige Entwicklung der Coronakrise und die Krisenkommunikation untersucht: Im Gegensatz zur Coronakrise finde ich nun sehr positiv, dass die Energiekrise und ihre Auswirkungen von Behörden und Unternehmen seit Monaten thematisiert werden und die Öffentlichkeit an dieser Diskussion teilnimmt. Um die Krisenmüdigkeit zu überwinden, soll sich die Kommunikation nicht nur auf Erklärungen und Instruktionen beschränken.
Sie muss versuchen, Nähe und persönliche Betroffenheit zu schaffen. Dazu braucht es Szenarien, welche die bereits erwähnten unterschiedlichen Verhaltensweisen der Anspruchsgruppen einbeziehen. Interdisziplinär zusammengesetzte Krisenstäbe sollten die Führung in dieser vielschichtigen Situation unterstützen.
«Krisen sind selten neu und überraschend, vieles wiederholt sich, und zwar täglich»
Dieses Krisenszenario soll von Behörden und Unternehmen bereits entwickelt sein und es sollte eine vorbereitende Risikokommunikation erfolgen. Dabei kann man von Ländern lernen, die aufgrund schwieriger Naturbedingungen oder schlechter Infrastruktur mit Stromunterbrechungen leben. Es braucht sehr gute Vorbereitung und viel Kommunikation, vor allem persönliche Kommunikation.
Ja und nein. Ja: Wenn man in der Krise führt, besteht die Gefahr, einen Tunnelblick zu entwickeln. Aus interner Sicht kann eine Krise schnell unter-, aber auch überschätzt werden. Man verliert schnell den Blick aufs Ganze. Meine heutige Tätigkeit erlaubt mir, mit Distanz die Geschehnisse zu analysieren und so Organisationen besser zu unterstützen. Zum Beispiel: Krisen sind selten neu und überraschend, vieles wiederholt sich, und zwar täglich.
Die intensiven Krisenzeiten waren für mich persönlich die lehrreichsten. Eine Krise fordert und fördert und ist eine einmalige Chance, Etabliertes zu hinterfragen und die wahren Werte und den Zweck (Purpose) zu erkennen. Was uns nicht bricht, macht uns stärker. Ein Slogan, den wir alle nach der Coronakrise verinnerlichen und trotz mehrfacher Krisen mit mehr Zuversicht in die Zukunft blicken sollten.
Bild: ZAHW