«Es gibt keine Arbeit, die ein Mann machen kann, eine Frau aber nicht»

Medien

Handelszeitung – Tina Fischer – 

Zum internationalen Frauentag spricht Severina Pascu, COO von Sunrise UPC, über Frauen als Rückgrat der Wirtschaft und über Diversity im Unternehmen.

Frau Pascu, der Ukraine-Krieg überschattet alle aktuellen Ereignisse – so auch den heutigen Frauentag. Möchten Sie etwas dazu sagen?
Es ist eine Tragödie. In den Nachrichten sieht man immer viele Frauen – und viele Kinder – auf den Titelseiten. Sie sind gezwungen, aus dem Land zu flüchten, während die Männer zurückbleiben.

Die Frauen spielen in dieser entsetzlichen Geschichte eine ebenso wichtige Rolle, und ihre Geschichten sind genauso berührend wie die der Männer, die an der Front kämpfen. Doch es flüchten nicht alle Frauen, es gibt auch die, die sich für die Armee melden. Es ist schlicht überwältigend, wie viele verschiedene Rollen die Frauen in der Ukraine übernehmen.

Die Männer könnten also gar nicht kämpfen ohne die Frauen, die ihre Männer unterstützen?
Ganz genau. Die Frauen kämpfen an zwei Fronten: in der Armee und im Hintergrund. Besonders stark imponieren mir dabei die ukrainischen Politikerinnen. Es ist beeindruckend, welche weiblichen Vorbilder es in der politischen Landschaft der Ukraine gibt. Sie wurden ungewollt Teil dieser unerwünschten, unaussprechlichen Ereignisse, und statt zu fliehen, unterstützen sie ihre Leute, wo es nur geht.

Inwiefern beeinflusst die Anwesenheit von Frauen in der politischen Szene andere Frauen?
Sie sind extrem wichtig, gerade wenn wir über die Stärkung der Frauen im Allgemeinen sprechen. Eines der wenigen Dinge, das Frauen Kraft gibt und sie motiviert, mehr zu wagen, sind die richtigen Vorbilder. Es ist deshalb für Frauen und Mädchen sehr wichtig, starke Frauen zu sehen. Das können Politikerinnen, Journalistinnen, Frauen aus dem kulturellen Bereich oder Mütter sein, die für ihre Familien kämpfen und ihre Kinder beschützen. Nur mit solchen Vorbildern können Frauen Erfolg haben, und es freut mich, dass heute immer mehr starke Frauen auftreten und brillieren.

Wer war Ihr Vorbild?
Ich bin mit zwei Vorbildern aufgewachsen: mit meiner Grossmutter und meiner Mutter. Man muss nicht weit schauen, um starke Vorbilder zu finden. Ihre Werte gaben für mich den Ausschlag: fleissig, freundlich, sehr beschützend. Vor allem aber vermittelten sie mir den Glauben, dass es nichts gibt, das ich nicht kann.

So haben Sie es zu einer der höchsten Positionen in der Telekommunikationsbranche geschafft und wurden selbst zu einem Vorbild für andere. Wie sieht Ihr Weg hierhin aus?
So würde ich es nicht sagen. Wir alle können Vorbilder sein. Mütter, Freundinnen, Verwandte, nicht zwingend ich. Ich hatte keine Vorbilder im Telekom-Bereich, denen ich nacheiferte. Ich bin in Rumänien geboren und aufgewachsen und das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, hat mich eines gelehrt: Es gibt keine Arbeit, die ein Mann machen kann, eine Frau aber nicht. Es wurde nie infrage gestellt, ob eine Frau als Ärztin praktiziert, einen Kran auf einer Baustelle führt, als Wissenschaftlerin forscht oder eben in der Telekommunikation arbeitet. Für mich ging es also bezüglich meiner Arbeitswahl mehr um meine Erziehung und den Einfluss der Gesellschaft als darum, ein Vorbild in der Branche zu haben.

Wie versuchen Sie nun, Ihr Wissen jungen Frauen zu vermitteln und sie für die Branche zu begeistern?
Das ist die Frage. Einerseits möchte ich meinen zwei Kindern den gleichen Spirit mitgeben, dass sie alles erreichen können. Anderseits stand ich während meiner gesamten Laufbahn schon immer in Kontakt mit Kindern und insbesondere Mädchen, um ihnen die Technik und die Wissenschaft näherzubringen. Mit der Sunrise UPC entwickeln wir nun ein Programm, das die Ausbildung von Mädchen unterstützt und sie ermutigt, eine Karriere in der Technologie zu verfolgen. Wir zeigen ihnen unsere Welt und machen diese abstrakte Welt greifbar.

Die junge Generation wächst bereits mit der Technologie auf. Smartphones, Computer, Streaming – das alles ist für sie völlig normal. Wie erreichen Sie die anderen, die älteren Generationen?
Das ist eine der Herausforderungen für unsere Branche. Wenn ich mir unser Lernendenprogramm anschaue, erreichen wir fast eine Fünfzig-fünfzig-Quote. Das ist ein hervorragender Wert. Wenn ich mir aber die verschiedenen Ebenen anschaue, liegt unser Problem nicht unbedingt auf der Einstiegs- oder Ausbildungsebene, sondern beim Verbleib der Frauen während ihrer Karriere. Je höher oben im Unternehmen, desto weniger Frauen sind zu sehen.

Woran liegt das?
Es ist eine Kombination verschiedener Faktoren. Ausschlaggebend ist aber meistens die Gründung einer Familie. Das ist der Zeitpunkt, an dem Frauen den Job verlassen. Einige kommen in Vollzeit, andere in Teilzeit zurück. Und ein Teil kommt gar nicht zurück. Das ist aber nicht nur ein Problem der Telekom-Branche, sondern branchenübergreifend zu beobachten.

Was tun Sie bei Sunrise UPC, um die Frauen nach der Familiengründung zurückzuholen?
Wir versuchen herauszufinden, wie wir junge Familien unterstützen können. Denn es geht nicht nur um die Unterstützung der Frauen, sondern auch um die Unterstützung der Familie. Diesbezüglich haben wir bereits zwei wichtige Schritte unternommen: Nebst dem verlängerten Mutterschaftsurlaub bieten wir auch einen längeren Vaterschaftsurlaub an. Denn auch die Männer erhalten eine neue Rolle, sobald sie eine Familie mitgründen. Und dann liegt es an uns als Arbeitgeber, dass wir für Rückkehrende Stellen schaffen, die zum neuen Leben passen. Eine Familie birgt Verpflichtungen, die wir als Sunrise UPC verstehen und auf sie reagieren müssen, beispielsweise mit flexiblen Arbeitszeiten.

Sie nannten Vorbilder als Generator für weiblichen Erfolg und raten Arbeitgebern, neue Möglichkeiten zu schaffen. Das klingt einfach, ist es aber in der Praxis nicht. Was sollten Frauen sonst noch mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Wir leben in einer Welt, in der alle Menschen Vorurteile haben. Es gibt aber niemanden, der mehr Einfluss auf die eigene Karriere hat als man selbst. Wir müssen uns also dieser Vorurteile bewusst sein und sagen können: «Das ist es, das will ich.» Die Frauen müssen an sich selber glauben und ihre Absichten laut äussern. Ich kann hier eine kleine Geschichte erzählen.

Bitte.
Als ich CEO von UPC Rumänien war, eröffneten sich durch interne Umstrukturierungen neue Möglichkeiten und Herausforderungen. Nur: Ich war zu diesem Zeitpunkt im achten Monat schwanger. Im achten Monat! Doch nichtsdestotrotz rief mich mein damaliger Chef an und sagte: «Ich weiss, du bist schwanger, und in einem Monat ist es so weit. Aber ich möchte, dass du zusätzlich zu Rumänien CEO von UPC Ungarn wirst.» Das ist ein Beispiel dafür, dass jemand an mich glaubte; dass ich es trotz meiner Schwangerschaft schaffen kann. Andere Leute würden sagen, dass das unmöglich sei, doch das sind eben die Vorurteile. Hier gilt es, aufzustehen und zu sagen, dass es das ist, was man will. Die richtigen Vorgesetzten kennen ihre Leute, haben Vertrauen in sie und befördern sie in höhere Positionen, ungeachtet der Umstände.

Es war Ihr Vorgesetzter, also ein Mann, der an Sie glaubte. Muss immer erst ein Mann überzeugt werden, bevor Frauen neue Herausforderungen übernehmen können?
Das stimmt ein Stück weit, aber ich möchte etwas hinzufügen: Eine Führungskraft, egal ob Mann oder Frau, muss das Potenzial ihrer Mitarbeitenden erkennen und ihnen zuhören. In meinem Fall hatte ich meinem Chef ein Jahr vor der Geburt meines Kindes mitgeteilt, dass ich mehr machen kann und möchte. Er glaubte mir und bot mir dann die Möglichkeit dazu. Ich ermutige alle Frauen, an sich selbst zu glauben und laut zu äussern, was sie in beruflicher Hinsicht wollen.

Sie erwähnten Vorurteile gegenüber Frauen. Welche sind das – und wie gehen Sie damit um?
Als Arbeitgeber haben wir die Pflicht, Vorurteile zu beseitigen. Das geht nur, indem wir Leute auf eben diese aufmerksam machen. Dabei unterscheiden wir zwei Arten von Vorurteilen: bewusste und unbewusste. Bewusste liegen vor, wenn Menschen wissen, dass sie etwas nicht tun sollten und es trotzdem tun. Unbewusste hingegen sind schwieriger zu erkennen. Als Beispiel wird in einem Board-Meeting mit mehrheitlich Männern nur über Autos gesprochen. Dabei sollten wir über anderes reden, über Taschen vielleicht. Dinge, die auch für Frauen relevant sind!

Das heisst, in ihrem 14-köpfigen Gremium bei Sunrise UPC, bei dem drei Frauen dabei sind, sollten die elf Männer mit Ihnen über Taschen reden?
(Lacht) Lassen Sie sie erst über Autos reden, und dann wechseln wir zu Taschen. Nein, ich will damit sagen, dass wir als Arbeitgeber das Bewusstsein für diese bewussten und unbewussten Vorurteile schärfen müssen. Nur so werden wir den richtigen Dialog führen, um einige der Verhaltensweisen zu beseitigen, die man derzeit am Arbeitsplatz antrifft. Ich hoffe, dass wir mit unseren Bemühungen und denen anderer Unternehmen einige dieser Verhaltensweisen beseitigen und immer weniger über das Können oder eben Nichtkönnen von Frauen und Männern sprechen.

Wie messen Sie die Fortschritte in Bezug auf Diversity bei Sunrise UPC?
Wir führen jedes Jahr eine Studie zum Thema Vielfalt durch. Damit verfolgen wir zwei Ziele: Erstens wollen wir die Vielfalt unserer Mitarbeitenden kennenlernen und zweitens herausfinden, was die Ausgangsposition ist, um die Vielfalt weiter auszubauen.

Als Sie den Bericht zum ersten Mal sahen, was fiel Ihnen da positiv auf und wo erschraken Sie? Wo liegt das Verbesserungspotenzial?
Ich bin eine Optimistin, also fangen wir mit dem Positiven an. Die erste Erkenntnis war, wie vielfältig wir bereits sind. Bei Sunrise UPC sind beispielsweise über siebzig Nationen vertreten. Wir sind also bereits eine sehr diverse Organisation und haben eine solide Ausgangsposition. Das heisst jetzt aber nicht, dass wir selbstgefällig sein und sagen können, es gäbe nichts zu tun. Vielfalt ist das eine, Integration und Zugehörigkeit das andere. Man kann eine vielfältige Organisation sein, dann aber die Chancen nicht nutzen und die Vielfalt wieder verlieren. Bei uns haben jedoch drei von vier Mitarbeitenden das Gefühl, dass sie sich bei der Arbeit einbringen können. Sie fühlen sich einbezogen und gehören dazu. Das widerspiegelt nicht nur Diversität, sondern eben auch die Inklusion, was mich unglaublich freut.

Aber?
Eine Erkenntnis war, dass auf die Frage nach Hindernissen beim beruflichen Aufstieg von weiblichen Führungskräften acht von zehn sagten, dass es keine Hindernisse gäbe. Fragten wir aber Frauen ohne Führungsposition, war es nur noch die Hälfte, die keine Hindernisse sah. Es besteht also eine grosse Diskrepanz zwischen dem, was wir in den Führungsetagen glauben, und dem, was Frauen im Unternehmen denken. Hier haben wir eine Menge Arbeit vor uns.

Wie gehen Sie das nun an?
Wir haben bereits einige Schritte unternommen. Wir haben unsere Anstellungspolitik überarbeitet, die Talentmanagementsuche ausgefeilt. Dazu kommt unser «Youbelong!»-Programm mit den verschiedenen Themengruppen zu Gender, Neurodiversity, Nationalität oder LGBTQ. Es soll sich jeder und jede, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung, bei Sunrise UPC wohlfühlen. Dafür feiern wir auch bestimmte Tage, wie heute den internationalen Frauentag, um allen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln.

Und es besteht nicht die Gefahr, dass es zu viele Initiativen sind?
Nein. Nein! Es sind nicht genug! Wir müssen viel mehr tun. Ich möchte, dass wir uns speziell mit weiblichen Talenten und der Karriereentwicklung von weiblichen Führungskräften durch Mentoren und Mentorinnen befassen, um den Dialog zu intensivieren und mehr von den Frauen zu erfahren. Welche Hindernisse treffen sie bezüglich ihrer Karriere an? Wie können wir helfen? Es ist alles erst am Anfang und ich hoffe, dass wir noch viel mehr leisten können. Wir müssen aber auch bedenken, dass alles eine Wirkung haben muss. Oft ist mehr nicht gleich mehr, doch das soll es eben sein. Wir müssen das richtige Gleichgewicht finden zwischen genug, aber mit Wirkung.

Apropos Wirkung: Wie sieht es bei den harten Faktoren, der Bezahlung, aus?
Das ist auch für uns ein sehr wichtiges Thema und wir sind in einer sehr glücklichen Lage, denn wir sind als Arbeitgeber mit Equal Pay zertifiziert. In einer Welt, in der es immer noch Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, sind wir stolz darauf, ein Unternehmen zu sein, das für gleiche Bezahlung steht. Für uns ist das sehr wichtig, und das müssen wir beibehalten.

Youbelong, Equal Pay, Talentmanagement – welche dieser Initiativen ist Ihr «Darling»?
Im vergangenen September starteten wir mit dem internen Anerkennungsprogramm #InspireMe von Frauen. Es ist noch ein Baby, ein Darling, von mir. Ich hoffe aber, dass es im Laufe der Zeit immer mehr wachsen wird. Das Programm zielt darauf ab, inspirierende Geschichten und Vorbilder in der Organisation zu fördern. Egal, wo im Unternehmen, denn Vorbilder müssen nicht unbedingt in der Führungsetage sitzen. Dabei suchen wir nach aussagekräftigen Geschichten persönlicher oder beruflicher Art, die andere Frauen und Männer in der Organisation dazu inspirieren, mehr zu tun und ihre Träume zu verwirklichen.

Leidenschaft also?
Ja, genau. Das ist auch das, was wir bei Sunrise UPC sehen: ohne Leidenschaft kein Erfolg. Jeder und jede von uns arbeitet bereits 120 Prozent, und alles, was mit Diversity zu tun hat, kommt noch dazu. Man kann diesbezüglich keine Energie und Mühe investieren, wenn man nicht wirklich mit Leidenschaft bei der Sache ist. Damit wir erfolgreich sind, müssen wir diese leidenschaftlichen Menschen finden, die dann die «Diversity-Fahne» tragen. Wir unterstützen sie, denn wenn die Projekte nicht von oben kommen, sondern mit Passion im Team getragen werden, dann gewinnen sie an Momentum.

Der ganze Artikel von Tina Fischer

Bildquelle: Quelle: Keystone

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