«Den Frauen entstehen Lücken im Finanzleben»

Medien

persönlich.com – Michèle Widmer

Patrizia Laeri, Nadine Jürgensen und Simone Züger haben eine Finanzmedienplattform für Frauen lanciert und dafür ein frauengerechtes und nachhaltiges Aktienprodukt mit der Migros Bank mitdesignt. Im Interview sprechen die drei über das Finanzierungsmodell, die Investorensuche und ihre Motivation.
«Wir bereichern Frauen», lautet der Slogan von ElleXX. Was hat Sie motiviert, dieses Projekt in Angriff zu nehmen?
Patrizia Laeri:Als langjährige Wirtschafts- und Börsenjournalistin hat es mich beelendet, dass die Anlagen der Männer über all die Jahre florierten und die Frauen gar nie richtig dabei waren. Frauen investieren kaum. In den letzten Jahren hat dies die Vermögenslücke zwischen den Geschlechtern, den Gender Wealth Gap, nochmals vergrössert. Denken Sie an die Pandemie: Viele Männer sind an der Börse noch reicher geworden, viele Frauen haben ihre Jobs verloren. Das muss sich ändern. Für mich ist ElleXX eine Lebensaufgabe. Ich habe bereits 2017 den ersten Businessplan für ElleXX geschrieben. Als dann 2019 Nadine Jürgensen und Simone Züger mit an Bord kamen, nahm die Idee richtig Fahrt auf. Ich war im Übrigen frustriert, als Journalistin seit zwei Jahrzehnten über finanzielle Gleichstellungsthemen zu schreiben und aufzurütteln, aber nie Teil der Lösung zu sein.
Nadine Jürgensen: Das ging mir genauso. Seit Jahren schreibe ich zum Thema rechtliche Gleichstellung und Gender Gaps. Viele Frauen haben mich über die Jahre aufgrund meiner Texte immer wieder um Rat gefragt. Als ich 2019 den ersten Plan von ElleXX sah, war mir klar, dass ein grosses Bedürfnis der Frauen da ist. Frauen entstehen grosse Lücken in ihrem Finanzleben, weil sie länger leben, weniger verdienen, sie die meiste unbezahlte Arbeit für die Familie leisten und zudem oft nur Teilzeit erwerbstätig sind. Der Gender Overall Earnings Gap in der Schweiz beträgt für das Jahr 2018 43,1 Prozent, das sind rund 100 Milliarden Franken weniger Einkommen pro Jahr für die Frauen. Wir möchten Frauen ermutigen, ihre finanzielle Situation zu überprüfen. Altersarmut ist weiblich. «Close the Gaps!» heisst deshalb unser Wahlspruch.
Simone Züger: Ich sah sofort das grosse Potenzial und fühlte mich auch gleich angesprochen. Als Unternehmerin war ich direkt damit konfrontiert, die passende Vorsorgelösung zu finden. Ich fühlte mich aber bisher von der Tonalität der Finanzwelt nie wirklich adressiert. Ich möchte nun helfen, insbesondere diejenigen anzusprechen, denen es ähnlich ergeht, und Finanzthemen zugänglicher machen. Ich bin überzeugt, dass solange die Geldwelt männlich dominiert ist, Gleichstellung schwierig zu erreichen ist.
Sie wollen Frauen helfen, geschlechterbedingte finanzielle Lücken zu schliessen. In welchen Bereichen finden sich diese vor allem?
Laeri: Wir haben insgesamt neun Finanzlücken herausgearbeitet, die sich entlang des finanziellen Lebens der Frauen kumulieren. Die Finanzlücken beginnen schon im Kindesalter, beim Taschengeld. Der Gender Pocket Money Gap beträgt je nach Studie zwischen 12 bis 20 Prozent, am Ende des Lebens beträgt der Gender Pension Gap dann bis zu 56 Prozent.
Jürgensen: Grosse Lücken entstehen natürlich auch durch tiefere Löhne, durch Teilzeitarbeit und ganz besonders, wenn Frauen Mütter werden. Indem viele Frauen beruflich zurückstehen, wenn ihre Babys da sind, was ich sehr gut nachvollziehen kann, sind sie gleichzeitig finanziell schlecht abgesichert, besonders, wenn es zu einer Trennung oder Scheidung kommt.
Sie drei beschäftigen sich seit Monaten mit diesem Start-up. Wie haben Sie die Aufgaben verteilt? Und was waren je die grössten Herausforderungen?
Laeri: Mit minimalen Ressourcen Maximales erschaffen. Wir arbeiten seit Monaten rund um die Uhr. Und Monate ist leicht untertrieben. Von der Vision bis zur Plattform dauerte es Jahre. Für die Integration einer grösseren Partnerschaft muss ein Start-up mit 12 bis 18 Monaten Arbeit rechnen. Und ich will jetzt gar nicht über die lange Reise bis hin zum Funding und Aktionärsbindungsvertrag sprechen. Ich bin dankbar, dass wir eine Anwältin im Gründungsteam haben.
Jürgensen: Ich wurde immer gefragt, warum ich als Anwältin in den Journalismus ging. Voilà! Jetzt waren wir sehr dankbar um meine Ausbildung, denn der juristische Aufwand bei einem Start-up ist nicht zu unterschätzen. Vor lauter Rechtlichem bin ich noch gar nicht recht zum journalistischen Schreiben gekommen. Glauben Sie uns, wir hatten viele und lange Verhandlungsnächte. Und wir hatten einige Tiefpunkte, während der wir fürchteten, dass die Deals platzen und monatelange Arbeit hinfällig würde.
Laeri: Aber auch die Plattformentwicklung an sich war herausfordernd. Wie transformiert man eine Vision visuell und digital? Da hat Simone Züger unheimlich viel Imagination und Kreativität bewiesen, das ganze Design in kürzester Zeit auf die Beine gestellt.
Züger: Wir starteten mit dem richtigen Designprozess im April, davor bestand nur unser Pitch Deck, losgelöst von einer fundierten Designkonzeption. Ich habe selten in so kurzer Zeit mit so viel persönlicher Hingabe an einem Projekt gearbeitet. Da steckt sehr viel von meiner DNA in ElleXX, meine Handschrift, meine gesamte Erfahrung als visuelle Gestalterin. Menschen sollen sich auf ellexx.com abgeholt fühlen.
Jürgensen: Ich habe manchmal in den letzten Monaten innegehalten und gestaunt, wie wir drei das Unternehmen mit so viel Mut und Energie vorangetrieben haben, und bin auch immer wieder begeistert von der Tatkraft, dem Talent und der Ausdauer meiner beiden Co-Founderinnen.
Mit welchen Partnern arbeiten Sie in den verschiedenen Bereichen zusammen? Und wie war die Resonanz?
Laeri: Wir wurden glücklicherweise mit offenen Armen empfangen. Equality-Themen gehen nicht mehr weg. Das haben alle begriffen. Noch stehen wir allerdings ganz am Anfang, etwa dort, wo Sustainable Investing vor 20 Jahren stand. Wir gehen nun bereits mit drei Partnern an den Start, mit zwei Banken und einer Versicherung.
Jürgensen: Es war uns wichtig, dass wir Partnerinnen finden, die in keine Rechtsfälle, Spekulationen oder andere Skandale verwickelt sind – gar nicht so einfach im Bankenbereich. Equality Rankings haben wir bei der Auswahl auch angeschaut.
Sie nennen die Migros Bank als Partner zum Start. Wer sind die anderen zwei?
Laeri: Die möchten wir noch nicht verraten. Nur so viel: Mitte November lancieren wir eine dritte Säule und Ende Monat dann ein Wehr-Dich!-Rechtsschutzprodukt.
Sie sind zurzeit damit beschäftigt, eine Redaktion aufzubauen. Wie stellt sich dieses Team zum Start auf – und wie soll es in ein paar Monaten aussehen?
Jürgensen:Wir fangen klein an, zu Beginn wird es für alle ein echtes Start-up-Abenteuer sein, wir haben noch nicht einmal ein Büro. Wir verfolgen Ideen büroloser Firmen wie Gitlab eng. Wir sind ein digitales Unternehmen, das New Work auch journalistisch eng begleiten wird. Dafür offerieren wir Jobs in einer Branche, die nun viele Jahre immer nur Abbau kannte.
Laeri: Es ist in der Tat befreiend, nach Jahren der Spardiktate nun etwas Neues aufzubauen und zu wachsen. Wir wollen auch technologisch vorne dabei sein. Da unsere geniale CTO von Facebook abgeworben wurde, suchen wir nun eine Tech-Managerin oder einen Tech-Manager. Und natürlich weiterhin kritische Journalistinnen oder Journalisten, welche sich für die Themen Gleichstellung, Gaps, Geld, Digital und Nachhaltigkeit begeistern können.
Züger: Das Zusammenspiel von Technologie und Design ist Bestandteil unserer
Markenidentität. Als Designerin und Künstlerin bin ich ständig damit konfrontiert, Neues auszuprobieren und unbekannte Wege zu gehen. Ich bin überzeugt, dass jede einzelne Mitarbeiterin oder Mitarbeiter zum Gelingen der Marke ElleXX beiträgt. Klar ist, dass wir in der digitalen Kreation, im Bereich Interaction-, Motion- und Grafikdesign ausbauen. Für interdisziplinäre und medienübergreifende Projekte möchten wir auch zukünftig mit verschiedenen Spezialisten aus der Kreativwirtschaft und Technologie zusammenarbeiten. Da kann ich auf mein berufliches Netzwerk zurückgreifen und bin aber auch immer offen für neue Talente und Synergien. ElleXX soll ein Lab werden, wo Visionen angegangen und Lösungen entwickelt und umgesetzt werden.
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