#aufbruch – Wir bleiben zu Hause

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Blick.ch – Patrizia Laeri – 

Es war eigentlich undenkbar, aber das Experiment hat funktioniert:

Auf Knopfdruck haben vor eineinhalb Jahren alle auf Homeoffice umgestellt.

Viele Chefs hätten ihre Angestellten nun gerne wieder auf Knopfdruck zurück im Büro.

Aber dieser Knopf scheint defekt.

Sogar reine Online-Konzerne wie Apple trommeln ihre Belegschaft derzeit wieder physisch zusammen.

Auch die Finanzindustrie, die gute alte Wall Street, will die Belegschaft wieder unter ihre Fittiche nehmen. Der Chef von Morgan Stanley nötigte seine Banker öffentlich ins Büro zurück. In der Schweiz beordert Ems die Angestellten derart zackig zurück an den Arbeitsplatz.

Aber macht das finanziell oder kulturell überhaupt noch Sinn? Mit Homeoffice lassen sich schliesslich nicht nur Kosten sparen und umweltfreundliche Rating-Punkte erzielen, sondern vor allem auch Top-Mitarbeiter anlocken. 88 Prozent der Menschen wollen zumindest teilweise weiter im Homeoffice arbeiten, so eine Studie von Deloitte.

 

Aufstand der Heimarbeiter
So hinterfragen immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Beweggründe der Firmen. Warum wollen die Chefs ihre Untergebenen zurück? Zur Überwachung? Zur Rückkehr des Präsentismus? Weil der Schwatz am Kaffeeautomaten Innovation bringen soll? Weil Arbeiten in Batteriehaltung im Grossraumbüro die Unternehmenskultur prägt? Ernsthaft? Angestellte lassen sich nicht mehr für dumm verkaufen. Sie haben nun lange genug selbstbestimmt gearbeitet und bewiesen, dass sie auch zu Hause produktiv und innovativ sind. Sie können Homeoffice.

Diese Freiheit und Selbständigkeit wieder eintauschen gegen Kontrolle? Nein danke. Autokratie am Arbeitsplatz war einmal, die Pandemie hat Angestellten Demokratie gebracht. Viele entschieden erstmals selbst, wann, wo und wie sie arbeiten. Nicht nur Tech-Angestellte, auch viele Menschen in der öffentlichen Verwaltung.

Eine globale Umfrage hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der Menschen ihren Job kündigen würden, wenn sie künftig nicht selbst mitentscheiden dürfen, wo und wann sie arbeiten. Unglückliche Menschen sind auch keine kreativen Menschen.

Deswegen rebellieren Angestellte überall. Auch Apple-Mitarbeiter. Sie weigern sich, ins Büro zurückzukommen, und protestieren in einem offenen Brief. Sie wissen ganz genau, dass ihnen andere Firmen die geforderte Flexibilität bieten. Die Marktforschungsfirma Gartner schätzt, dass Firmen, die Präsenz erzwingen, sogar bis zu 39 Prozent ihrer Beschäftigten verlieren.

 

Die hybride Zweiklassengesellschaft
Die meisten Unternehmen offerieren derzeit hybrides Arbeiten. Eine Mischung aus Präsenz und Homeoffice. Die einen geben Vorgaben, die anderen berücksichtigen alle Wünsche. Novartis oder die Schweizer Mutterfirma von Brack, Competec, bieten bereits Homeoffice für immer.
Die Firmen wollen so die besten Talente gewinnen, egal in welchem Kanton oder wo auf der Welt diese gerade wohnen. Auch das Arbeiten von den Malediven aus sei den Mitarbeitern gegönnt.

Aber genau dieses hybride Arbeiten ist für Firmen ein logistischer Büroflächen-Planungsalbtraum und kaum zu bewältigen. Viel heikler noch: Es teilt die Belegschaft in zwei Klassen, in die «vor Ort» und jene «zu Hause». Das schürt Ungleichheiten. Es bietet nicht die gleichen Kommunikationschancen, ausser alle klappen ihre eigenen Laptops auf und die Homeoffice-Mitarbeiterinnen werden lebensgross präsent eingeblendet. Das ist für viele technisch nicht machbar.

Der sogenannte Proximity Bias benachteiligt die Heimarbeiterinnen aber generell. Menschen sind voreingenommen. Wir mögen jene lieber, die wir mehr sehen und um uns haben. Die Vorgesetzten schätzen das Schaffen jener besser und produktiver ein, die es vor Ort tun, vor den eigenen Augen. Und befördern diese auch eher.

 

Das Büro radikal abschaffen
Neben den Präsentisten und Hybriden gibt es aber auch die Volldigitalen: Immer mehr Firmen schaffen das Büro ganz ab und setzen auf digitale Unternehmenskultur. Beispielsweise die amerikanische 1300-köpfige Software-Firma Gitlab und die digitale Event-Plattform Hopin mit ihren rund 700 Angestellten.

Die bürolose Firma Hopin funktioniert beispielsweise so: Einmal im Monat treffen sich die Heimarbeiter auf der eigenen Event-Plattform – zu einer Art interaktiven TV-Sendung. Ein Online-Fragebogen holt regelmässig die Meinung der Angestellten ab. Dazu gibt es eine Art Tinder für Angestellte. Bots paaren Mitarbeiter bei einem virtuellen Kaffee. Dazu viele Programme wie Slack, Teams, Zoom, Figma & Co: Nie war es einfacher, digital zusammenzuarbeiten. Zum Arbeiten müssen sich Menschen nicht mehr treffen, ist die Firma überzeugt. Sie zieht damit Talente aus der ganzen Welt an. Der Erfolg gibt dem Konzern recht. Hopin ist Milliarden wert, ohne ein einziges Büro zu haben.

Die etwas kleinere bürolose Firma Koomot aus Deutschland, ein Online-Routenplaner, setzt auf Online-Team-Meetings und eine Kernarbeitszeit von 10 bis 15 Uhr, während der Anfragen schnell beantwortet werden sollten. Statt horrende Büromieten zu zahlen, lädt sie ihre Angestellten lieber dreimal im Jahr zu Workshops ein – gerne auf eine schöne Ferieninsel. Dann wird diskutiert, trainiert und experimentiert.

Das Abschaffen des Büros sehen diese Firmen als konsequent, fair und umweltfreundlich. Zukunftsweisend ist es allemal. #aufbruch

#aufbruch Blick.ch

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