Der Bund – Anne Rigail und Marjan Rintel wollen die Fluggesellschaft Air France-KLM schnell grüner machen. Inlandsflüge fallen weg. Eine Frachtallianz ist gegründet. Und das ist erst der Anfang.
Was den Faktor Vergnügen angeht, hätte das Timing für Anne Rigails grossen Karriereschritt besser ausfallen können. Ende 2018 bestätigte sie der Verwaltungsrat von Air France als neue Chefin der Fluggesellschaft. Es sah ganz gut aus damals: Die Nachfrage boomte überall, so sehr, dass selbst die notorisch teure und ineffiziente Air France ordentliche Gewinne machte.
Doch dann änderte die Corona-Pandemie alles: Verkehrskollaps, Reisebeschränkungen, Milliardenverluste, staatliche Rettungsaktionen. Die Folge: mindestens eineinhalb Jahre Management im absoluten Ausnahmezustand.
Nach gut zwei Jahren Pandemie kann Rigail langsam wieder dazu übergehen, den Normalbetrieb zu organisieren. «Die Nachfrage wird von Woche zu Woche stärker», sagt die 53-Jährige. «Im Sommer wird die Kapazität bei 90 Prozent (von 2019) liegen, damit haben wir eigentlich erst für den Winter gerechnet.»
Allerdings geht es bei weitem nicht nur um den Normalbetrieb, sondern auch um eine riesige Transformation des französisch-niederländischen Air-France-KLM-Konzerns, die in den nächsten Jahren zu bewältigen ist, und zwar auf mehreren Ebenen: bei der Flotte, im Streckennetz, bei den Umweltzielen. Voraussetzung dafür ist auch, dass die beiden in der Vergangenheit oft rivalisierenden Einheiten des Konzerns, Air France und KLM Royal Dutch Airlines, künftig besser kooperieren.
2004 hatten die beiden Fluggesellschaften fusioniert und damit eine Konsolidierungswelle unter den europäischen Airlines ausgelöst. Wenig später erfasste diese auch die Swiss, die im Lufthansa-Konzern aufging. Interne Konflikte und Eifersüchteleien gab es zwischen Air France und KLM über Jahre, die kleinere KLM war in der Regel profitabler als die grosse Air France und fühlte sich benachteiligt und heruntergezogen.
Der niederländische Staat stieg deswegen 2019 sogar als Anteilseigner ein, um die Interessen der heimischen Airline abzusichern. Die Niederlande halten derzeit knapp 10 Prozent der Anteile, Frankreich hat knapp 29 Prozent. Heute ist Air France-KLM nach Ryanair und der Lufthansa-Gruppe die drittgrösste Airline-Gruppe Europas.
Es wird nun künftig auf zwei Frauen ankommen, die alten Gegensätze besser zu überwinden – Anne Rigail und Marjan Rintel. Die 54-jährige Rintel übernimmt am 1. Juli den Chefposten bei KLM von Pieter Elbers. Der langjährige KLM-Chef hatte, obwohl äusserst ehrgeizig und gleichzeitig bei den Mitarbeitern sehr beliebt, im vergangenen Jahr seinen Rückzug verkündet. Rintel war seit 2020 Chefin der niederländischen Bahn. Konzernchef bei Air France-KLM bleibt der Kanadier Ben Smith, sozusagen eine neutrale Instanz.
Was helfen könnte: Rigail und Rintel kennen sich seit langem, denn Rintel war vor ihrem Wechsel zur Eisenbahn lange bei KLM. «Marjan Rintel hat das Drehkreuz Schiphol geleitet, als ich für Paris-Charles de Gaulle verantwortlich war», so Rigail. «Mit ihr kann man gut zusammenarbeiten, sie ist sehr pragmatisch. Und wir müssen uns auf die Stärke der Gruppe verlassen.»
Dass Air France-KLM nicht gut integriert sei, findet Rigail allerdings nicht. «Ich würde nicht sagen, dass Air France-KLM nicht sowieso schon gut funktioniert hat. Wir haben komplett integrierte Abteilungen für Verkauf, Fracht oder Wartung», so Rigail. Aber «wir können noch mehr Synergien finden im Einkauf und auf den Aussenstationen».
Im Einkauf hat der Konzern einen grossen Schritt getan, und zwar in Richtung Airbus. Jahrzehntelang war Air France eher ein Airbus-Kunde, obwohl er vor allem auf der Langstrecke auch auf Boeing setzte. KLM war einer der äusserst loyalen Boeing-Betreiber. Doch Ende vergangenen Jahres bestellte KLM 100 A320neo-Maschinen bei Airbus, um die Kurz- und Mittelstreckenjets der 737-Reihe zu ersetzen. Zuvor hatte Air France 60 der kleineren A220 gekauft.
Bei Air France stehen nun weitere milliardenschwere Flottenentscheidungen an: Ein grosser Teil der Europa-Flotte, derzeit bestehend aus A320 der ersten Generation, muss erneuert werden, ebenso Langstreckenmuster von Boeing und Airbus. «Wir haben wahrscheinlich noch ein bis zwei Jahre, bis wir uns für einen Auftrag für die Mittelstreckenflotte entscheiden», sagt Rigail. «Ich bin nicht sicher, ob es für uns am besten ist, diesen Auftrag mit einer Bestellung von Langstreckenflugzeugen zu kombinieren. Es besteht ein Zusammenhang, weil sie beide das Drehkreuz bedienen.»
Vor allem aber müssen erst einmal die finanziellen Voraussetzungen für die Investitionen geschaffen werden. Über eine Kapitalerhöhung, die der Verwaltungsrat im Februar genehmigt hat, will Air France-KLM in den nächsten Monaten umgerechnet rund vier Milliarden Franken einnehmen, auch um die Staatshilfen und Schulden aus der Corona-Pandemie schneller zurückzahlen zu können.
Nun hat die französische Reederei CMA CGM angekündigt, bei der Kapitalerhöhung mitzumachen und einen Anteil von 9 Prozent an der Airline-Gruppe zu kaufen. Verbunden mit der Kapitalspritze ist auch eine Allianz im boomenden Frachtgeschäft. CMA CGM besitzt nicht nur eine der grössten Frachtflotten zur See, sondern hat jüngst auch noch eine eigene Cargo-Airline gegründet. Diese soll nun ihre Frachtkapazitäten in den nächsten zehn Jahren gemeinsam mit denen von Air France-KLM vermarkten – gemeinsam werden die beiden zu einem der grössten europäischen Anbieter.
Die Investitionen bei Air France-KLM dulden keinen Aufschub, zumal vor allem der französische Staat die Finanzhilfen an Umweltauflagen geknüpft hat, die nur mit neuen Flugzeugen zu erreichen sind. «2025 werden 45 Prozent unserer Maschinen Flugzeuge der neuesten Generation sein, 2030 70 Prozent», so R
igail. «Wir haben einige Inlandsflüge gestrichen, um die Auflagen der Regierung zu erfüllen.» Frankreich hat Air France verpflichtet, Inlandsflüge aufzugeben, bei denen die Passagiere ihr Ziel auch mit der Bahn in weniger als drei Stunden erreichen können.
Um auch Etappen auf dem Weg der Pariser Klimaziele zu erreichen, hat sich Air France-KLM (wie die Lufthansa-Gruppe und damit die Swiss) der Science-Based-Targets-Initiative angeschlossen. «Wir wollen bis 2030 unsere Emissionen pro Sitzkilometer um 30 Prozent senken im Vergleich zu 2019 und um 12 Prozent in absoluten Zahlen, beides ohne Offsets», sagt Rigail, also ohne Ausgleichsmassnahmen. «Das ist kein leeres Versprechen, wir werden das tun.»
Kommt von der Eisenbahn, hat aber auch schon Airline-Erfahrung: Marjan Rintel.
Foto: AFP + PD