«Wir haben zu wenig in die Erneuerbaren investiert»

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20 Minuten – Das Food-Start-up Planted hat den Green Business Award gewonnen.

Ein Gespräch mit Jurypräsidentin und Alt-Bundesrätin Doris Leuthard über Start-ups, den Energiewandel und wieso sie bei den Medien auch mal wegzappt.

WSZ: Sie sind Präsidentin der Jury des Green Business Award. Wieso hat es ein bereits etabliertes Start-up wie Planted auf den Siegerplatz geschafft?

Doris Leuthard: Dass die Firma auf dem Markt etabliert ist, hat tatsächlich Diskussionen ausgelöst. Ernährung wird in den nächsten Jahren jedoch ein Megathema werden. Planted hat bewiesen, dass Alternativen zu Fleisch möglich sind und sie schnell skaliert werden können. Uns haben ihre Wertehaltung, die Forschung und die industrielle Umsetzung beeindruckt.

Wie wichtig sind Start-ups für den Standort Schweiz?

Extrem wichtig. Grosse Unternehmen sind oft schwerfällige Maschinen oder sie optimieren nur das Bestehende. Start-ups kommen dagegen mit queren Ideen, die manchmal auch nicht funktionieren. Wir Schweizer haben das Sicherheitsdenken gerne, aber ohne Mut und innovative Ideen kommen wir nicht weiter.

Ist die junge Generation also mutiger?

Das spielt sicher mit, denn sie orientiert sich eher an den USA und Grossbritannien, wo ein höherer Innovationsgrad besteht und Scheitern Teil des Prozesses ist. In der Schweiz haben Grossunternehmen aber auch gemerkt, dass es die Start-ups braucht – sie stellen viel Kapital zur Verfügung. Die Symbiose zwischen Grosswirtschaft und der jungen Generation ist wahrscheinlich ein Rezept für die Zukunft. Auszeichnungen wie der Green Business Award bieten zusätzliche Motivation.

Hat die Schweiz die Energiewende verschlafen?

In den letzten Jahren haben wir tatsächlich zu wenig in die erneuerbaren Energien investiert. Wir hatten viele Jahre Wirtschaftswachstum mit Wohlstand und Arbeitsplätzen, Energie war ein nicht besonders relevanter Kostenfaktor. Nun müssen wir rasch lernen, dass billiges Heizöl und Brennstoffe nicht die Zukunft sind und wir mehr tun müssen, um die Erneuerbaren als starke Ressource zu etablieren.

Wer hat zu wenig investiert?

Vor allem die Wirtschaft. Es braucht die Grossunternehmen, um Strom [mit Fotovoltaik, Anm. d. Red.] in der Menge von Terrawattstunden zu produzieren. Bei der Wirtschaft herrscht Luft nach oben. Auch gibt es noch zu viele negative Anreize im System, zum Beispiel wenn Hausbesitzerinnen und -besitzer, die Solarmodule installiert haben, bestraft werden, indem die Kantone den Gebäudewert erhöhen oder sie nachträglich den Gemeinden Abgaben zahlen müssen.

Sogar Stromunternehmen investieren in den Ausbau der Erneuerbaren nur, wenn es sich finanziell rechnet. Wäre es nicht an der Zeit, stattdessen in die Zukunft zu investieren?

Ich stimme Ihnen bei. Alles, was halbstaatlich oder in der öffentlichen Hand ist, hat eine Vorbildfunktion, und es sind Steuergelder, die eingesetzt werden. Ich finde es zum Beispiel einen Horror, wie viel Gas man in der Stadt Zürich noch verbraucht. Auch ist seit Jahren von der Power-to-Gas-Speicherung mit der gleichen Infrastruktur die Rede, aber nichts ist passiert. Das dauert zu lange.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für den Energiewandel?

Beim Natur- und Landschaftsschutz. Windkraftanlagen wären für den Winter sehr gut, aber sie führen in der Deutschschweiz zu enormem Widerstand. Ich hoffe aber immer noch, dass man zwei, drei Parke bauen kann. Bei den Gewässern sollte man sorgfältig bleiben, doch das Parlament hat einen vertretbaren Kompromiss zwischen Nutzung und Schutz gefunden. Was die Solarflächen auf den freien Flächen betrifft, bin ich gespalten.

Haben Sie das Gefühl, wir unternehmen genug, um den Wandel zu schaffen?

Ich denke schon. Wegen der höheren Preise sehen wir einen Wandel bis hinunter zu den KMU. Wenn die Energie für Unternehmen zu einem relevanten Kostenfaktor wird, optimieren sie Prozesse und denken an die Wärmepumpe, die Wärmerückgewinnung oder die Fotovoltaik. Wenn der Wandel im Kopf da ist, ist es geschafft.

Wer die Medien liest, hat das Gefühl, wir befänden uns nur noch in Krisen. Wie gehen Sie damit um?

Ich bin zwar immer noch ein News-Junkie, aber wie viele Leute lese ich die Nachrichten mit der Zeit nicht mehr oder zappe weg, wenn nur von Krisen die Rede ist. Eine Gesellschaft braucht auch Zuversicht und Wege aus der Krise.

Macht das Energiethema Ihnen selbst Angst?

Ich glaube, dass wir mit der Situation umgehen können, auch wenn unser Stromnetz anfällig ist, wenn es etwa in Deutschland zu Problemen kommt. Unsere Energieversorgung ist insgesamt gut. Sorgen mache ich mir, wenn die Leute nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen.

Was beschäftigt Sie persönlich beim Thema Energiezukunft?

Wir müssen wegkommen vom «mehr, mehr, mehr» und wir müssen noch mehr diversifizieren. Beim Wohlstand wird es zwischenzeitlich wohl eine Delle geben. Doch wir sind gescheite Leute, wir haben gute Ausbildungen, wir können uns ein bisschen weniger Wohlstand leisten. Wenn wir einen Beitrag für die Schweiz von morgen leisten, wo es später den Leuten mit einer anderen Art des Wirtschaftens gut geht, bin ich zufrieden.

Zum Beitrag von Jan Graber

Bild: Jan Hellmann

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