Wie Wissenschaft auf dem Set für den richtigen Dreh sorgt

Fokus

HORIZONTE – Das Schweizer Forschungsmagazin – Geneviève Ruiz

Filmteams lassen sich oft von Forschenden beraten. Auch weil das Publikum Authentizität erwartet. Wie es den Beteiligten dabei ergeht und wer im Zweifelsfall siegt: die gute Erzählung oder die Exaktheit?

Für den Film Zwingli haben der Zürcher Regisseur Stefan Haupt und die Drehbuchautorin Simone Schmid mehr als ein Dutzend Expertinnen und Experten aus den Bereichen Theologie, Kunst, Religions- und Geschichtswissenschaften konsultiert. Das Biopic kam 2019 ins Kino, es erzählt, wie Huldrych Zwingli 1519 nach Zürich zog und was bis zu seinem Tod in der Schlacht bei Kappel im Jahr 1531 passierte. «Ich wollte ein Porträt zeichnen, das sich möglichst eng an den historischen Quellen orientiert und gleichzeitig den Geist der Zeit und die Spannungen zum Ausdruck bringt», erklärt Haupt. «Ich habe mich auch mit Pfarrern getroffen und historische Gebäude besichtigt. Das war für mich zentral, da ich mich verantwortlich fühlte, einen Film zu produzieren, der dem aktuellen Wissensstand entspricht.»

Drehbuchautorin Schmid hat viel gelesen, von neueren Studien über Zwingli bis zu seiner Korrespondenz. Besonders intensiv beschäftigte sie sich mit der Figur der Anna Reinhart, Zwinglis Ehefrau: «Ich musste ihren Charakter aus wenigen Quellen rekonstruieren. Dazu habe ich Fachpersonen konsultiert, die sich mit der Rolle der Frau in der Reformationszeit befassen. Dank ihres Wissens konnten wir eine plausible Figur rekonstruieren – eine Frau, die sich nicht aktiv an den theologischen Debatten ihres Mannes beteiligte, die sich aber eine eigene Meinung bildete und diese auch äussern konnte.»

 

Die Lektüre und der Austausch mit den Wissenschaftlerinnen inspirierten Schmid. «Danach folgt eine Art Destillationsprozess, bis das Drehbuch steht: Man verzichtet auf Elemente, vereinfacht Fakten und passt sie manchmal den Anforderungen der Dramaturgie, der Produktion oder des Budgets an.» Haupt erzählt, dass er zum Beispiel von der Idee abkam, einen Friedhof um das Zürcher Grossmünster zu rekonstruieren, da die notwendige Logistik seine finanziellen Möglichkeiten gesprengt hätte. «Dafür habe ich mit grossem Aufwand die Kirchenbänke entfernen lassen, damit ich eine stehende Menschenmenge filmen konnte. Damals war es üblich, während der Messe zu stehen.»

Ein Film ist letztlich das Ergebnis einer kollektiven Arbeit verschiedener Fachgruppen mit ihren je eigenen Vorgaben und Kulturen, die jedoch von denjenigen der Wissenschaft weit weg sind. Rebecca Giselbrecht, die an der Universität Bern habilitiert und Pfarrerin ist, forscht zu Anna Reinhart. Sie führte ein Gespräch mit Drehbuchautorin Schmid und ist von der Begegnung begeistert. «Sie wollte bis ins kleinste Detail wissen, was in den Köpfen von Zwingli und seiner Frau wohl vor sich gegangen sein könnte, bis hin zu Einzelheiten über ihre Sexualität. Ich fand ihre Fragen inspirierend. Wir kommen nicht aus derselben Welt. Ich war aber bereit, mein Wissen zu teilen, ohne genau zu wissen, was sie damit anfangen würde. Ich musste loslassen.»

 

Angst vor eigenem Namen im Abspann

Der Historiker Reinhard Bodenmann, der auf das 16. Jahrhundert spezialisiert ist, zögerte dagegen etwas, als der Regisseur ihn kontaktierte. «Hauptsächlich, weil ich bereits viel Arbeit hatte. Aber auch, weil mich Kollegen warnten, dass der Film vielleicht nicht gut werden würde.» Trotzdem fing er an, das Drehbuch zu lesen. «Ich fand, dass es Potenzial hat, und nahm die Herausforderung an.» Bodenmann verbrachte über 75 Stunden damit, das ganze Drehbuch zu lesen und zu kommentieren: «Es gab Anachronismen, wie zum Beispiel die Szene, in der Annas Sohn über den Tod eines Vogels erschüttert ist. Doch der Tod eines Tieres löste im 16. Jahrhundert nicht die gleichen Reaktionen aus wie heute.»

Der Historiker erklärt, dass er versucht hat, dem Filmteam die Denkweise des 16. Jahrhunderts näherzubringen, damit es die eigenen Empfindungen nicht in die Figuren und Dialoge von damals hineinprojiziert. «Ich gebe zu, dass ich trotzdem Bedenken hatte, bevor ich den Film im Kino sah», räumt Bodenmann ein. «Ich wusste nicht, ob Regisseur und Drehbuchautorin meine Anmerkungen berücksichtigt hatten.» Zwar sei er sich bewusst gewesen, dass ein historischer Film eher ein Roman sein muss als ein Geschichtsdokument. «Trotzdem befürchtete ich, dass mein Name im Abspann eines Films erscheint, der zahllose Fehler enthält.»

 

«Die Person muss eine gewisse Offenheit mitbringen und zu verstehen versuchen, wie man einen Film produziert.»Simone Schmid

 

Nach über zwei Stunden Vorstellung war der Historiker jedoch erleichtert: «Das Filmteam hat hervorragende Arbeit geleistet, das Ergebnis stimmt, und es wurden ausgezeichnete Kompromisse gefunden.» Er gebe ihm 5,9 von 6 Punkten. Es gäbe sicher kleine Details, die hätten verbessert werden können, zum Beispiel das «Hallo!» (ein Ausdruck, der erst im 19. Jahrhundert auftaucht, Anm. d. Red.), das leicht durch ein «Grüezi!» hätte ersetzt werden können.

Doch Regisseur Haupt sei die schwierige Aufgabe gelungen, das Publikum 500 Jahre in die Vergangenheit zurückzuversetzen, weder für noch gegen die Reformation Partei zu ergreifen und aus Zwingli keinen Heiligen zu machen. Auch die Pfarrerin Rebecca Giselbrecht lobt den Film: «Er gibt einem breiten Publikum einen Einblick in die Reformation. Die meisten meiner Kollegen, sowohl aus der Wissenschaft als auch aus dem kirchlichen Umfeld, beurteilen ihn positiv.»

Stefan Haupt und Simone Schmid, die von der Universität Zürich für ihre Arbeit mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet wurden, freuen sich, dass ihr Film in der Fachwelt so gut angekommen ist, auch wenn es kritische Stimmen zu den Kostümen oder der Sprache gab. Simone Schmid kann nachvollziehen, dass es für Wissenschaftlerinnen nicht einfach ist, mit einem Filmteam zusammenzuarbeiten: «Die Person muss eine gewisse Offenheit mitbringen und zu verstehen versuchen, wie man einen Film produziert. Vor allem muss sie wirklich für die Zusammenarbeit motiviert sein, sonst funktioniert es nicht.»

 

Lieber kein peinlicher Fehler

Andreas Steiner, der im Bereich künstliche Intelligenz forscht, wird der Drehbuchautorin nicht widersprechen. Er arbeitet derzeit mit dem Zürcher Regisseur Simon Jaquemet für den Film Electric Child zusammen, der Ende 2023 in die Kinos kommen soll. Bei dieser Science-Fiction- Saga taucht das Publikum in die Welt eines Informatikprofessors ein, der zur Rettung seines kranken Sohnes einen Pakt mit einer Figur schliesst, die mittels künstlicher Intelligenz geschaffen wurde.

«Ich freue mich, zu einem qualitativ guten Film beizutragen. Mein Ziel ist es, dass ihn auch Leute aus der Wissenschaft gerne schauen.» Seit mehreren Wochen führt Steiner Gespräche mit dem Regisseur. «Dieser Austausch ist angenehm, weil seine IT-Kenntnisse und das Drehbuch gut sind. Er ist offen und begreift schnell. Ich habe wirklich die Rolle eines Beraters.»

Regisseur Jaquemet sagt, er sei ein Geek und habe gute IT-Kenntnisse. «Ich bin aber trotzdem ein Laie. Und mein Film soll möglichst realistisch sein, wie dies das Publikum erwartet.» Für die Symptome, unter denen der kranke Sohn des Protagonisten leidet, hat er einen Arzt konsultiert. «Wir müssen vor den Dreharbeiten so viel Wissen wie möglich einarbeiten. Während des Drehs bleibt dafür keine Zeit mehr.»

Verfolgt Jaquemet mit der wissenschaftlichen Exaktheit auch ein pädagogisches Ziel? «Das steht bei diesem Film nicht im Vordergrund. Es geht um eine ziemlich verrückte Fiktion. Aber wenn es mir gelingt, keine groben oder peinlichen Fehler einzubauen, – umso besser. Ausserdem könnten gewisse technische Entwicklungen, die im Film vorkommen, in der Zukunft Realität werden. Wenn der Film in der Forschung oder in der Öffentlichkeit Diskussionen über künstliche Intelligenz auslöst, wäre das schön.»

 

Film inspiriert Forschung

Die Ambitionen des Teams rund um Electric Child sind zwangsläufig bescheidener, als sie dies bei einer Grossproduktion wie Interstellar sind, einen Blockbuster des britisch-amerikanischen Regisseurs Christopher Nolan aus dem Jahr 2014. Damals arbeiteten ganze Wissenschaftsteams daran, die akkuratesten je produzierten Bilder eines rotierenden schwarzen Loches zu realisieren. «Wenn sich solche grossen Teams mit einem Thema befassen, können die Ergebnisse natürlich auch ihre Forschung beeinflussen», sagt der KI-Experte Andreas Steiner.

Der Film Zwingli hat zwar die Forschungsarbeit über das Leben des Zürcher Reformators nicht direkt beeinflusst, aber doch Diskussionen in der Wissenschaft angeregt. Dank des Erfolgs in den Kinos, insbesondere in der Deutschschweiz, erfuhr zudem die breite Öffentlichkeit mehr über die Ereignisse im Zürich des 16. Jahrhunderts.

 

Der vom Magazin HORIZONTE zur Verfügung gestellte Artikel

Bild: Foto: Michel Gilgen

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