Neue Zürcher Zeitung – Isabelle Wachter
Wegen des Fachkräftemangels lancieren immer mehr Unternehmen Wiedereinstiegsprogramme für Frauen. Was es dabei zu beachten gilt.
Anna sitzt schon seit Stunden vor dem PC. Sie aktualisiert ihren Lebenslauf. Es ist vier Uhr nachts. Bald erwachen die Kinder. Frühstück machen, die Pausenbrote schmieren, die Kinder zur Schule bringen. Sie hat tagsüber keine Zeit, sich zu überlegen, wie sie die Lücke von sechs Jahren Familienpause in ihrem Lebenslauf «besser» aussehen lassen könnte. Es ist paradox: Sie hat die anstrengendste Zeit ihres Lebens hinter sich, aber bei der Stellensuche lässt sich damit kaum punkten.
Anna ist ein fiktiver Charakter. Doch wie ihr geht es Tausenden Müttern in der Schweiz. Laut Bundesamt für Statistik reduzieren drei Viertel der Frauen ihren Beschäftigungsgrad nach der Geburt auf weniger als 70 Prozent oder hören vorübergehend auf, ausserhalb der Familie zu arbeiten.
Der Bundesrat hat vergangene Woche einen Bericht über die Beratung von Frauen zum beruflichen Wiedereinstieg verabschiedet. Er betont darin, wie wichtig es ist, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern. Dazu muss der Wiedereinstieg in den Beruf aber erst einmal gelingen. Nachfolgend die wichtigsten Fragen und Antworten zur Rückkehr in den Beruf.
Ja, die Chancen stehen so gut wie schon lange nicht mehr. Weil ein grosser Teil der geburtenstarken Babyboomer-Generation (Jahrgänge 1946 bis 1964) bereits in Pension ist, macht sich ein immer grösser werdender Fachkräftemangel bemerkbar. Die Nachfolge-Generationen X, Y und Z sind weniger geburtenstark, und die voranschreitende Digitalisierung ersetzt nicht alle wegfallenden Arbeitskräfte. Das birgt auch Chancen für den Wiedereinstieg von Frauen und Männern, die sich einige Jahre der Kinderbetreuung gewidmet haben.
Immer mehr Unternehmen und Bildungsinstitutionen erkennen das brachliegende Potenzial und bieten Wiedereinstiegsprogramme für Personen mit lückenhaften Lebensläufen an. Neben Müttern und Vätern sprechen die Firmen auch Personen an, die eine berufliche Auszeit eingelegt haben, um ihre Angehörigen zu pflegen, mehrere Jahre auf Reisen waren oder sich eine Zeitlang in einem anderen Berufsfeld betätigt haben. In der Schweiz nutzen vor allem Frauen, die den Einstieg nach der Familienpause suchen, solche Programme.
Der Aufbau einer Karriere findet im Alter zwischen 35 und 45 Jahren statt. In den gleichen Lebensabschnitt fällt oft auch die Familiengründung. Auch heute noch sind es meistens die Frauen, die eine berufliche Auszeit nehmen, um sich in den ersten Jahren der Kinderbetreuung zu widmen.
«Die Selbstselektion der Frauen» nennt sich dieses Phänomen laut Katja Rost, Professorin am Soziologischen Institut an der Universität Zürich. Diese Selbstselektion geschieht durch die Anpassung an gesellschaftliche Regeln. Denn auch heute sei die Ansicht noch weit verbreitet, dass sich die Frau in den ersten Jahren nach der Geburt vollumfänglich um das Kind kümmern solle.
Allerdings sind die Auszeiten heute kürzer. Vor 15 Jahren stiegen viele Frauen erst wieder in den Beruf ein, sobald die Kinder im Teenager-Alter waren. «Heute treten viele Frauen, die längere Auszeiten machen, häufig gar nicht mehr ins Erwerbsleben ein», sagt Patricia Widmer, Programmdirektorin für Diversität und Managementlehrgänge an der Universität St. Gallen (HSG).
Unter dem Strich sind Mütter heute aber häufiger erwerbstätig und wählen höhere Pensen. So stieg die Erwerbstätigenquote seit 1991 um 20 Prozentpunkte auf 82 Prozent. Heute haben 45 Prozent der Mütter ein Arbeitspensum von über 50 Prozent. 1991 war dies nur bei 25 Prozent der Mütter der Fall.
Es falle auf, dass es gerade bei der Wahl des Stellenpensums einen grossen Unterschied zwischen Schweizerinnen und Ausländerinnen gebe, sagt Widmer. «Während die Schweizerinnen oft nur 50 bis 70 Prozent arbeiten möchten, wünschen sich die Ausländerinnen Pensen zwischen 80 und 100 Prozent.» Die Schweiz und Holland seien im internationalen Vergleich die einzigen Länder, in denen Frauen bevorzugt Teilzeit arbeiteten.
Bis 2018 finanzierte der Bund elf Beratungsstellen in neun Kantonen, die Frauen zu Fragen rund um Erwerbsarbeit und Wiedereinstieg nach familienbedingten Unterbrüchen berieten. Seit Ablauf der Finanzierung werden schweizweit nur noch vier dieser Beratungsstellen weitergeführt. Die restlichen sieben wurden teilweise fusioniert. Eine Studie, die der Bund dazu in Auftrag gegeben hat, kommt zum Schluss, dass die Bedürfnisse von Wiedereinsteigerinnen mit den Angeboten der kantonalen Berufs-, Studien- und Laufbahnberatungen abgedeckt sind.
Der Verein Companies & Returnships Network (CRN) berät Unternehmen bei der Einführung von Wiedereinstiegsprogrammen. Der Verein wurde 2020 von Ökonominnen und Politikwissenschafterinnen der Hochschule Luzern gegründet und erhielt vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann eine Anschubfinanzierung. Frauen, die in den Beruf zurückkehren wollen, können sich beim Verein melden. Der Verein vermittelt dann zwischen seinen Mitgliederfirmen und den Wiedereinsteigerinnen.
Viele Unternehmen erwähnen in den Stellenausschreibungen, dass auch Bewerbungen von Wiedereinsteigerinnen gewünscht seien. Einige Firmen bieten ganze Wiedereinstiegsprogramme an. Nachfolgend einige Beispiele.
Auch bei Berufsschulen, höheren Fachschulen, Fachhochschulen und an Universitäten gibt es immer mehr Programme für den Wiedereinstieg.
Wer sich sicher fühlt und nur zwei bis vier Jahre nicht mehr erwerbstätig war, sollte sich auf eine Festanstellung bewerben – mit oder ohne Wiedereinstiegsprogramm.
Ein Praktikum ist sinnvoll, wenn eine Frau zehn Jahre oder länger nicht mehr auf dem Beruf gearbeitet hat. Zudem kann die Rolle als Praktikantin zu Beginn auch entlastend sein. Denn ein Wiedereinstieg ist häufig mit Selbstzweifeln verbunden.
Evelin Bermudez vom Verein Companies & Returnships Network (CRN) warnt aber vor schlecht bezahlten Praktika. «Wiedereinsteigerinnen dürfen auf keinen Fall als günstige Arbeitskräfte missbraucht werden. Wir empfehlen unseren Vereinsmitgliedern, auch bei einem Praktikum mindestens 80 Prozent des marktüblichen Lohns zu bezahlen.»