Wie reagieren bei sexueller Belästigung?

Fokus

NZZ – Andrea Freiermuth

Beim Sporttreiben im Verein, im Fitnesszentrum oder im öffentlichen Raum: Praktisch alle Frauen haben schon Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht.

Sich frei und ungezwungen bewegen zu dürfen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Leider ist das für viele Frauen nicht so: Praktisch alle haben wir schon die eine oder andere unangenehme Erfahrung gemacht. Im Park, im Verein oder im Fitnessstudio. Deplatzierte Zurufe, anzügliche Bemerkungen, obszöne Gesten, unangebrachte Berührungen oder sogar sexueller Missbrauch.

Viele von uns reagieren auf solche Situationen mit Rückzug. Wir gehen nicht mehr allein joggen, treten aus dem Verein aus oder vermeiden gewisse Trainingszeiten, um dem einen mühsamen Typen nicht mehr zu begegnen. Dass wir unser Verhalten anpassen, sollte aber eigentlich nicht sein. Wir dürfen von der Gesellschaft erwarten, dass sie uns vor solchen Erlebnissen schützt.

Täter profitieren von Verharmlosung

Auf Vereinsebene ist im Zuge der Magglingen-Protokolle und der Vorfälle in der Rhythmischen Sportgymnastik nochmals vieles geschehen, um die physische oder psychische Integrität von Sportlerinnen und Sportlern zu schützen. So hat Swiss Olympic gemeinsam mit der neu geschaffenen Meldestelle Swiss Sport Integrity im Oktober die zweite Welle der Kampagne «Are you OK?» lanciert.

Auf der Website der Kampagne finden sich Beispielsituationen sowie Institutionen und Personen, an die sich Sportlerinnen und Sportler wenden können, wenn sie die Frage «Are you OK?» nicht eindeutig mit Ja beantworten können und das Gefühl haben, dass Grenzen überschritten worden sind. Die zentrale Botschaft der Kampagne: «Sprich darüber.»

Adrian von Allmen, der sich bei Swiss Olympic um das Programm «Keine sexuellen Übergriffe im Sport» kümmert, weiss, dass dies nicht immer einfach ist: «Oft ist die Situation nicht eindeutig, auch weil sie vom Täter bewusst so gestaltet wird.» Aber man solle auf sein Bauchgefühl hören und sich gerade auch im Zweifelsfall mit einer Vertrauensperson darüber austauschen. Klar sei es manchmal einfacher, das Vorgefallene zu verharmlosen oder zu verdrängen. «Davon aber profitieren Täter. Wer unangebrachtes Verhalten meldet, schützt auch andere.»

In Fitnesszentren ist oftmals in der Hausordnung festgehalten, dass man einen respektvollen Umgang erwarte und etwa das Fotografieren und Filmen verboten sei. Werden diese Regeln nicht eingehalten, richtet man sich an das Personal. Kommt es zu Vorfällen mit Mitarbeitenden, wendet man sich am besten an die Leitung des Zentrums.

Schwieriger wird es im öffentlichen Raum. Hier sind Frauen vor allem vom sogenannten Catcalling betroffen. Der Begriff steht für verbale sexuelle Belästigung. Dazu gehören unangebrachte, oft sexistische Kommentare sowie Pfeif-, Zisch- und Kussgeräusche. Catcalling kommt bei unterschiedlichen Frauen unterschiedlich an: Die einen verbuchen es lediglich als lästige Alltagserscheinung, andere verunsichert und ängstigt es so sehr, dass sie sich nicht mehr durch den Park trauen. Aber so gut wie jede Frau fühlt sich von Catcalling mindestens genervt, an kaum einer geht es völlig spurlos vorbei.

Fedor Bottler, Geschäftsleiter der Opferberatung Zürich, sagt: «Gegen das Gefühl der Ohnmacht kann hilfreich sein, den Catcaller direkt mit seinem Verhalten zu konfrontieren. Etwa mit den Worten: ‹Lassen Sie das! Ich fühle mich davon belästigt.›» Wobei diese Worte die erhoffte Wirkung beim Gegenüber bloss erzielten, wenn sie laut und bestimmt ausgesprochen würden. Kurz: Diese Konfrontation braucht Mut und Selbstsicherheit und ist sicher nicht für jede Frau und in jeder Situation die richtige Lösung. Catcalling zu ignorieren, fühlt sich oft am einfachsten und sichersten an.

Doch auch wer auf Ignorieren setzt, soll sich nicht ohnmächtig fühlen, sondern kann solche Vorfälle melden. So gibt es etwa in Zürich seit dem vergangenen Jahr das Meldetool «Zürich schaut hin». Hier können Betroffene Belästigung im Ausgang, im öffentlichen Verkehr oder eben beim Sporttreiben im öffentlichen Raum melden. Auf der Einstiegsseite heisst es: «Mach deine Erfahrungen und Beobachtungen hier sichtbar. Denn nur was sichtbar ist, kann bekämpft werden.» In Genf, Lausanne und Bern sind vergleichbare Portale geplant oder bereits umgesetzt.

Um Sichtbarkeit bemüht sich auch das Instagram-Profil «Catcalls of Zurich». Dahinter stecken rund ein Dutzend Aktivistinnen, welche die gemeldeten Vorfälle beziehungsweise die dabei gemachten Aussagen mit Kreide an den betreffenden Ort schreiben, fotografieren und auf dem Profil posten. Die Initiative entstand 2016 in New York und hat inzwischen Ableger in unzähligen Städten rund um die Welt.

Reaktion von Aussenstehenden

Last, but not least: Selbst wenn man bloss in der Rolle der Beobachterin oder des Beobachters ist, kann und sollte man handeln. Etwa, indem man den Vorfall meldet oder sogar selbst eingreift. Letzteres allerdings nur, wenn man sich dabei nicht selbst gefährdet. Auf dem Portal «Zürich schaut hin» sind folgende Handlungsmöglichkeiten beschrieben: Die belästigende Person ruhig und sachlich ansprechen, wobei man immer beim Sie bleiben sollte, um Distanz zu wahren. Oder der belästigten Person Hilfe anbieten und sie etwa an einen sicheren Ort begleiten.


Hilfreiche Gadgets

Wer sich beim Sport im öffentlichen Raum unsicher fühlt, sollte sich unter Umständen einen Taschenalarm besorgen. Diese kleinen Alarmanlagen lassen sich oft direkt am Schlüsselbund befestigen. Droht Gefahr, löst man einen Alarm aus. Bei den meisten Geräten geschieht dies via Knopfdruck. Das Signal soll dazu beitragen, den Angreifer zu verwirren oder zu erschrecken. So wird er entweder gleich in die Flucht geschlagen, oder es können wichtige Sekunden gewonnen werden, um zu entkommen.

In der Regel besteht das Signal aus einem lauten Geräusch. Es gibt jedoch auch Geräte, die mit einem Blitzlicht Aufmerksamkeit erregen, beziehungsweise den Angreifer blenden und irritieren. Normalerweise haben Taschenalarme eine Lautstärke von 120 Dezibel. Es gibt jedoch auch Geräte, die 140 bis 150 Dezibel erreichen. Damit sind diese Alarme allesamt sehr laut und sollten mit Vorsicht verwendet werden, sonst können Hörschäden entstehen.

Die meisten Taschenalarme werden mit Batterie betrieben. Beim Kauf sollte darauf geachtet werden, dass diese eine lange Lebensdauer besitzt. Setzt das Gerät ausschliesslich auf einen akustischen Alarm, ist sein Gehäuse mit Vorteil schwarz, damit es im Dunkeln vom Angreifer nicht so schnell auffindbar ist. Zudem sollte das Gadget einfach zu bedienen und so konstruiert sein, dass es keine Fehlalarme auslöst. Taschenalarme kosten in der Regel zwischen 5 und 40 Franken.

 

Auch das Mitführen eines Pfeffersprays kann das subjektive Sicherheitsgefühl erhöhen. Pfeffersprays fallen in der Schweiz nicht unter das Waffen-, sondern unter das Chemiegesetz. Somit dürfen sie ab 18 Jahren erworben werden. Damit sie legal sind, dürfen sie bloss Pfefferextrakt (Capsaicin, OC oder Pava) enthalten. Einen Pfefferspray auf sich zu tragen und ihn im Notfall richtig anzuwenden, sind jedoch zwei verschiedene Paar Schuhe. Zumal diese Sprays nicht leichtfertig eingesetzt werden dürfen, sondern bloss in echten Notsituationen – wobei zuweilen schwierig zu beurteilen ist, ob es sich nun schon um eine solche handelt oder nicht.

Der Artikel von Andrea Freiermuth

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