Welche Rolle spielt Geld im Klassenzimmer, Lena Aerni?

Fokus

elleXX –  Samantha Taylor 

Wann hast du zuletzt mit jemandem über Geld gesprochen?

Vor einigen Tagen, an einem Geburtstagsessen mit Freundinnen und Freunden. Wir haben uns sehr offen über Geld unterhalten und darüber, wer wie viel verdient.

Führst du solche Gespräche oft? Fällt es dir leicht, darüber zu reden?

Nein, solche Gespräche führe ich nicht sehr oft. Aber wenn das Thema Geld aufkommt, bin ich offen. Ich schätze es, wenn Menschen in diesem Bereich transparent sind. Wenn jemand aber nicht über Geld sprechen will, bohre ich nicht hartnäckig nach. Es wird Gründe geben, warum das so ist. Das respektiere ich.

Welche Gefühle löst Geld bei dir aus?

Gemischte. Ich war als Kind sehr sparsam. Das hat mir meine Grossmutter mitgegeben. Als ich mit 18 Jahren während dem Studium von zu Hause ausgezogen bin und auf mich allein gestellt war, hat Geld plötzlich einen sehr hohen Stellenwert in meinem Leben bekommen. Ich hatte nicht viel und musste mir mein Geld gut einteilen, um durchzukommen. Man kann schon sagen, Geld ist nicht alles. Aber wenn man es nicht hat, dann bestimmt es eben plötzlich doch fast alles. Das habe ich damals gemerkt. Heute ist mein Verhältnis zu Geld entspannter. Seit ich als Lehrerin arbeite, verdiene ich relativ gut und kann mir einen schönen Lebensstandard leisten. Ich muss mich nicht mehr konstant mit Geld befassen.

Wie viel verdienst du denn heute?

Ich verdiene in diesem Schuljahr pro Monat ziemlich genau 8000 Franken netto mit meinen drei Anstellungen als Primarlehrperson, als Beauftragte Schule und Computer und in der Geschäftsleitung des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands.

Und wofür gibst du das meiste Geld aus?

Bei den Fixkosten ist es die Miete, die am teuersten ist. Ansonsten gebe ich viel Geld für meine beiden Hobbys aus: Ich mache Triathlon und sammle Lego-Modelle. Das ist beides recht kostspielig. In unregelmässigen Abständen kommen eher hohe Ausgaben für Weiterbildungen und Ferien dazu.

Wer hat mit dir als Kind über Geld gesprochen, und gab es einen Leitsatz, an den du dich heute noch hältst?

Meine Mutter und meine Grossmutter haben mit mir über Geld gesprochen. Sie haben mir aber keinen Leitsatz mitgegeben. Ausser eben, dass man sparen soll. Heute halte ich mich an das Prinzip: Es ist gut, ein bisschen was auf der Seite zu haben, aber wenn ich morgen unters Tram komme, nützt mir viel Geld auf dem Konto auch nicht viel.

Wann hast du dich schon mal wegen Geld gestritten?

Ich weiss, dass man sich sehr schnell wegen Geld streiten kann. Bei manchen Leuten hört da wirklich die Freundschaft auf. Meist sind es kleine Dinge, die zu Unstimmigkeiten führen. Beispielsweise man geht als Gruppe auswärts essen, und es geht um das Aufteilen der Rechnung. Weil ich mich nicht wegen Geld streiten will, versuche ich, in solchen Situationen möglichst früh, klar und transparent zu kommunizieren.

Welche Rolle spielt Geld im Klassenzimmer?

Geld spielt im Schulzimmer in vielerlei Hinsicht eine sehr wichtige Rolle. Einerseits gibt es in jeder Klasse grosse Unterschiede: Die einen Kinder kommen aus Familien, die am Existenzminimum leben, andere kommen dreimal pro Woche mit neuen Markenkleidern in die Schule. Das ist an allen Schulen sehr unterschiedlich.

Wissen die Kinder das, vergleichen sie sich?

Ich bin Mittelstufenlehrerin. Die Kinder sind also zwischen neun und zehn Jahre alt. In diesem Alter vergleichen und bewerten sich Kinder nicht bewusst. Natürlich gibt es spezifische Situationen, beispielsweise nach Weihnachten: Da kommen sie in die Schule, und alle erzählen, wie viel und was sie bekommen haben. Ansonsten bewerten sie aber eher unbewusst. Man trifft sich in der Freizeit gerne mit denjenigen, die die tollen Spielsachen haben oder einen eigenen Fernseher im Zimmer. Und natürlich schauen sie auch auf die Kleider. Ein T-Shirt von Calvin Klein oder die neuesten Nike-Schuhe sind natürlich cooler als neutrale oder Secondhand-Sachen.

Wie gehst du mit solchen Situationen um? Sprichst du mit den Kindern darüber?

Ja, wenn ich etwas aufschnappe, dann mache ich das zum Thema. Wir reden dann darüber, ob jemand ein besserer Freund ist, nur weil er beispielsweise eine PlayStation 5 zu Hause hat. Oder ob das für die Freundschaft vielleicht gar nicht so wichtig ist. Daraus entstehen meist interessante Diskussionen.

 

Mir persönlich ist es wichtig, dass die Kinder einen schönen Lernort haben. Darum habe ich in meiner Karriere immer wieder mal mein privates Geld investiert.

 

Wie reagieren die Kinder auf solche Gespräche?

Sie sind sehr offen und durchaus reflektiert, wenn man ihnen Dinge erklärt. Viele haben sich schlichtweg noch nie Gedanken über solche Fragen gemacht. Das ist wie bei uns Erwachsenen auch: Manchmal braucht man einen Anstoss von aussen.

In welchen Bereichen spielt Geld in der Schule sonst noch eine Rolle?

Geld ist inhaltlich ein Thema im Unterricht. Es geht darum, Werte zu vermitteln: Was kostet wie viel? Was bekommt man alles für Geld? Was ist wertvoll, obwohl es nicht viel kostet? Und so weiter. Dann rechnen wir mit Geld. Und schliesslich ist Geld ein zentraler Faktor, wenn es um die Gestaltung der Klassenzimmer geht.

Wie meinst du das?

Je nach Schulgemeinde hat man mehr oder weniger Geld zur Verfügung, um ein Schulzimmer einzurichten. Darum stehen in manchen Zimmern nur Tische und Stühle, und in anderen gibt es eine Leseecke, ein Sofa, Pflanzen. Mir persönlich ist es wichtig, dass die Kinder einen schönen Lernort haben. Darum habe ich in meiner Karriere immer wieder mal mein privates Geld  investiert. Das tun verständlicherweise nicht alle Lehrpersonen, und das sollte auch nicht erwartet werden. Die Schüler:innen sehen natürlich die Unterschiede und wollen wissen, warum die einen ein Sofa im Schulzimmer haben und die anderen nicht.

Und was antwortest du da?

Ich bin transparent und erkläre ihnen die Situation, dass die Schulen kein Geld dafür haben und dass die Dinge mir gehören. Das verstehen sie eigentlich gut. Ich habe ihnen gesagt, dass sie selbst etwas dazu beitragen können, wenn sie sich beispielsweise ein neues Sofa im Zimmer wünschen.

Tun sie das?

Ja, wir haben beispielsweise schon Verkaufsaktionen organisiert. Das ist immer toll. Die Kinder stellen selbst etwas her und verkaufen es dann. Einerseits merken sie: Meine Arbeit hat einen Wert. Auf der anderen Seite sehen sie, wie viel man leisten muss, um etwas zu verdienen. Sie verkaufen einen ganzen Nachmittag ihre selbstgemachten Sachen und haben am Ende 50 Franken in der Kasse. Das ist manchmal ernüchternd, aber eine wichtige Erfahrung.

Wir haben in der Schweiz zwar die kostenlose Volksschule mit einer hohen Bildungsqualität für alle. Dennoch ist es eine Illusion, dass Geld bei der Bildung und den Bildungsmöglichkeiten gar keine Rolle spielt.

Worauf achtest du, wenn du mit Schüler:innen über Geld sprichst?

Mir ist wichtig, dass sie nicht werten. Wir haben kürzlich darüber diskutiert, wie viel man in welchem Beruf verdient. Natürlich wollen dann alle Fussballstar oder Influencer:in werden, weil man da am meisten Geld machen kann. Wir haben dann besprochen, dass es nicht immer nur darum geht, möglichst viel zu verdienen, und dass Geld nichts darüber aussagt, was für ein Mensch man ist.

Welche Beziehung haben die Kinder heute zu Geld?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt vom familiären Hintergrund ab. Grundsätzlich ist Geld aber schon bei Zehnjährigen ein fast omnipräsentes Thema. Durch den Konsum von sozialen und digitalen Medien ist der Alltag von Kindern schon früh voll mit Dingen, die kosten: Apps, Games, Handyspiele, Influencer:innen, die Produkte bewerben, und und und. Das macht etwas mit ihnen.

Haben die finanziellen Möglichkeiten einer Familie Einfluss auf die Bildung?

Geld hat meiner Meinung nach schon einen Einfluss auf die Bildung. Wir haben in der Schweiz zwar die kostenlose Volksschule mit einer hohen Bildungsqualität für alle. Dennoch ist es eine Illusion, dass Geld bei der Bildung und den Bildungsmöglichkeiten gar keine Rolle spielt.

Inwiefern?

Viele Dinge kosten. Das beginnt bei der Freizeitgestaltung der Kinder. Manche Hobbys sind teuer, sie können sich aber auf die Bildung auswirken. Nachhilfe kostet. Die Vorbereitungen auf eine Gymiprüfung können je nach finanziellen Mitteln anders gestaltet werden. Die weiterführenden Schulen und das Studium kosten. Es gibt zwar für fast alle Bereiche Programme, die Familien mit wenig Geld unterstützen. Um sie nutzen zu können, muss man teilweise aber einen hohen Aufwand betreiben. Nicht alle Familien können das auf sich nehmen.

Aktuell herrscht akuter Mangel an Lehrpersonen. Inwiefern hat das mit Geld zu tun?

Geld spielt sicher eine Rolle. Wichtiger als Geld ist aber Zeit. Unser Beruf ist nur bedingt attraktiv, weil wir Lehrpersonen viel leisten müssen und dafür zu wenig Zeit zur Verfügung haben. Vor allem, wenn man Teilzeit arbeitet, was viele Lehrpersonen tun, kommt es oft vor, dass man deutlich mehr leistet, als das eigentliche Pensum wäre. Wir brauchen also mehr Ressourcen. Das kostet aber. Also ist es am Ende doch eine Geldfrage.

Aber am Lohn per se liegt es nicht?

Ich persönlich finde, wir haben einen guten Lohn. Klar, man kann sich fragen, ob die Verantwortung, die wir tragen, ausreichend entschädigt wird. Immerhin tragen wir einen wesentlichen Teil dazu bei, dass die Kinder fit fürs Leben und die Gesellschaft gemacht werden. Jemand, der in einer anderen Branche diese Verantwortung trägt, hat vielleicht einen höheren Lohn. Ich glaube trotzdem nicht, dass sich mehr Menschen für den Lehrberuf entscheiden würden, wenn der Lohn besser wäre und die anderen Faktoren gleich bleiben.

Warum zieht es deiner Meinung nach vor allem Frauen in diesen Beruf?

Ich glaube, es gibt zwei Punkte bei diesem Beruf, die Männer abschrecken: Zum einen ist es ein mittelmässig angesehener Beruf. Durch die Corona-Pandemie und das Fernlernen, das viele Eltern sehr gefordert hat, ist das Ansehen zwar wieder etwas gestiegen. Trotzdem ist es nicht sehr hoch. Zum anderen fehlen die Aufstiegsmöglichkeiten. Man ist und bleibt Lehrperson. Man kann vielleicht noch in die Schulleitung, aber das ist ein ganz anderer Beruf. Für viele Frauen hingegen ist er attraktiv, weil er sich gut mit der Familie verbinden lässt. Die traditionellen Familienmodelle gibt es nach wie vor sehr oft.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Was wünschst du dir für deine finanzielle Zukunft?

Unbeschwertheit. Ich möchte weiterhin so unbeschwert leben, wie ich das heute kann.

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