Was taugt der alte Schiller noch?

Fokus

FRIDA Magazin – Marina Bolzli

Derzeit sind in der Schweiz zwei vollkommen unterschiedliche Interpretationen von Schillers «Die Räuber» zu sehen. In Martina Clavadetschers Überschreibung üben die Frauen Kapitalismuskritik. Regisseur Julian Spahn hingegen hinterfragt die Entstehung des Bösen.

«Die Räuber» ist Friedrich Schillers erstes Drama. Er schrieb das Werk 1781, da war er gerade einmal 22 Jahre alt. Es ist ein Stück voller Gefühlsüberschwang. In ihm zeigt sich die Lebensenergie der Jugend und auch der Literaturepoche, in der das Stück entstand: Im Sturm- und Drang.

Im Stück geht es um Karl von Moor, er ist der älteste und liebste Sohn eines Grafen. Und er wird im Drama zum Räuberhauptmann. Schuld daran trägt Franz, der zweite, weniger geliebte Sohn des Grafen. Durch dessen Intrigen fällt Karl beim Vater in Ungnade. Mit seinen Freunden beschliesst Karl, räubernd in den Wäldern zu leben. Erst scheinbar edel, indem er Robin-Hood-mässig den Reichen nehmen und den Armen geben will. Franz versucht derweil im Schloss, nicht nur an das Erbe des Vaters zu kommen, sondern auch Karls Verlobte Amalia zu erobern.

Die Erstaufführung des Stücks ist über 240 Jahre her. Was kann ein solches Stück auf modernen Bühnen noch leisten? Wie kann es das Publikum abholen?

Die beiden aktuellen Inszenierungen schlagen gegensätzliche Wege ein: «This is a Robbery» von Martina Clavadetscher für Theater Marie (das Anfang März im Berner Tojo Theater gezeigt wurde und nun durch die Schweiz tourt) ist eine Neuschreibung frei nach Schiller und macht die Räuber zu Räuberinnen in der heutigen Zeit.

Die Bühnen Bern wiederum setzen in der Inszenierung von Mathias Spaan zu grossen Teilen auf den Originaltext, der allerdings weniger als lineare Handlung, sondern vielmehr als Erinnerungen dreier greiser Männer gezeigt wird.

Kein Mensch ist böse, aber jeder kann es werden

Schiller behandelte im Stück die Frage nach dem Umgang mit Unrecht. Franz wählt dazu die Intrigen, Karl das Aufbegehren. Beide Wege sind im Stück nicht zielführend. Dieser Konflikt ist in den aktuellen Inszenierungen noch ansatzweise angelegt, doch wird die Frage, vor allem in der Version von Bühnen Bern, tiefer verstanden: Kein Mensch ist nur böse, aber jeder kann böse werden. Und ist er einmal böse, fällt es schwer, noch umzudrehen. Oder, wie es Räuber Moritz Spiegelberg formuliert: «Wenn der ehrliche Mann mal aus dem Haus gejagt ist, so ist der Teufel Meister.»

Um diese Verwandlung der Menschen, die Erweckung des Schlimmsten und vielleicht auch Besten im Menschen, geht es im Stück bei Bühnen Bern. Sehr eindrücklich zeigt das die Figur des eigentlich feinsinnigen und nachdenklichen Räubers Kosinsky (eindringlich: Claudius Körber): Er schildert, wie er bei einem Stadtbrand, der entfacht worden ist, um ihn aus den Armen der Gendarmen zu befreien, ein Baby in die Flammen warf.

Richtig beängstigend ist das, wenn der listige Räuber Moritz Spiegelberg (Kilian Land), prahlerisch erzählt, wie er mit seinen Kumpanen sämtliche Nonnen eines Klosters vergewaltigte. Der banale Grund: An diesem Tag war bis zum Abend noch kein Schuss gefallen.

Hier wird der Originaltext aktuell in seiner Kriegslogik – da braucht es offensichtliche Bezüge zur Gegenwart gar nicht. Obwohl die Inszenierung auch immer wieder damit spielt, indem etwa Bemerkungen zur Credit Suisse gemacht werden.

 

Was dem Stück gut ansteht, ist der Humor. So wendet Franz (oszillierend zwischen kalt und verletzlich: Lucia Kotikova) rohe Gewalt an, als es dem Vater an den Kragen gehen soll. Gezeigt wird das aber als makaberer Vampir-Film-Verschnitt.

Und auch die drei greisen Räuber mit Anführer Karl (herrlich zögerlich: Linus Schütz), deren tatterige Bewegungen in den genau richtigen Momenten geschmeidig und gelenkig werden, lockern die düstere Stimmung immer wieder auf. So dass zwischendurch fast vergessen geht, was hier verhandelt wird: Die keineswegs reinen Erinnerungen alter Männer, die im Leben mehr falsch als richtig gemacht haben. Und, so lässt ihre Unbeschwertheit vermuten, doch nicht richtig etwas daraus gelernt haben.

Acht Frauen hinterfragen den Kapitalismus

Männer sucht man in Martina Clavadetschers Stücktext unter der Regie von Manuel Bürgin hingegen vergebens. Acht Frauen bevölkern die Bühne. Die reiche Tochter Ka Moor (stark: Florentine Krafft) lehnt sich gegen das System auf. Sie will die Vermögen umverteilen und findet dabei Gleichgesinnte, ihre Räuberinnen, die ihr dabei helfen.

Das Stück hinterfragt den Kapitalismus und die heutige Gesellschaftsordnung, Schillers «Die Räuber» ist dabei ironisch als gelbes Reclam-Büchlein präsent, das ab und zu zitiert wird. Leider wird das Stück auch moralisch, indem die mit dem Umsturz verbundenen politischen Fragen nicht im Ungewissen, in der Deutungshoheit des Publikums bleiben, sondern ausgedeutscht werden.

Es ist ein wuchtiges und fesselndes Stück, das mit sehr viel ansteckender Spielfreude etwas verändern will. Das dem Publikum dabei jedoch nur wenig Optionen lässt, wie es «This is a Robbery» jetzt verstehen soll.

Aber eigentlich kann man die beiden Inszenierungen nicht vergleichen, weil sie zu unterschiedlich sind. Und das ist gut so. Denn das bedeutet: «Die Räuber» von Schiller sind gut gealtert. So gut, dass sie das Publikum nah am Original abholen können. Und es dennoch zulassen, neu interpretiert und verändert zu werden.

Der Artikel von Marina Bolzli

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