Warum mich mein letzter Arztbesuch ein bisschen verwundert zurückliess

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watson – Sandra Casalini

Kürzlich war ich beim Arzt. Und bin, gelinde gesagt, ein kleines bisschen darüber verwundert, wie ich behandelt – beziehungsweise abgefertigt – wurde. Auch wenn es angesichts unseres überlasteten Gesundheitssystems nicht wirklich verwunderlich ist.

Ich warte. In einem knallvollen Wartezimmer. Voll mit hustenden und schniefenden Menschen. Wenn ich vorher nicht krank war, bin ich’s wohl spätestens nachher. Ich bin nur für einen Routine-Check hier. Klar, Notfälle haben Vorrang.

Zwanzig Minuten, drei Sätze

Kurz nach 18 Uhr, über eine Stunde nach meinem eigentlichen Termin, bin ich allein im Wartezimmer und komme endlich dran. Der Arzt hämmert auf seiner Computer-Tastatur herum, heisst mich, dies und das auszuziehen, einatmen, ausatmen und so weiter. Als wir fertig sind, drückt er mir einen Stapel Infoblätter in die Hand. Geredet hat er in den zwanzig Minuten, die ich bei ihm war, ganze drei Sätze mit mir. «Ich hätte eine Frage …. », wage ich’s vorsichtig. «Steht alles in den Unterlagen.» Und wenn ich noch mein Blut checken lassen wolle, solle ich’s beim Empfang sagen. Koste aber extra. Übrigens genau wie all die Untersuchungen, die mir der Stapel Infoblätter für mein Alter empfiehlt.

 

Eine Umfrage unter Assistenzärztinnen und -ärzten sagt, dass 40 Prozent von ihnen mehr als elf Stunden pro Tag arbeiten. Drei Viertel machen dabei weniger als dreissig Minuten Pause.

 

Ich verstehe den Mann ja. Patientinnen und Patienten im Akkord, da liegen keine längeren Unterhaltungen drin. Schon gar nicht, wenn man eigentlich längst Feierabend hätte. Dass das Gesundheitswesen nicht nur mit zu wenig, sondern auch mit massiv überlastetem Personal zu kämpfen hat, zeigen Dutzende aktuelle Studien und Umfragen. Eine Umfrage der NZZ unter Assistenzärztinnen und -ärzten sagt, dass 40 Prozent von ihnen mehr als elf Stunden pro Tag arbeiten. Drei Viertel machen dabei weniger als dreissig Minuten Pause. Zwar sagt der Schweizer Spitalverband HPlus, es werden alle Arbeitsgesetze eingehalten. Trotzdem: Bei solchen Bedingungen ist es mehr als verständlich, dass der einstige Traumberuf irgendwann mal zum Albtraum wird.

Ähnlich sieht es übrigens in Sachen psychische Gesundheit aus. So geben bei einer Umfrage von mehreren psychologischen Berufsverbänden zwei Drittel der befragten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten an, regelmässig Menschen abweisen zu müssen, aus Mangel an Kapazität. Die Kliniken sind voll, die Wartelisten endlos.

Wenig Sinn für Innovation

Das Problem sind wohl nicht nur mangelndes Personal und Corona-Nachwehen (höhere Anfälligkeit aufgrund des «sterilen» Lebensstils während der Pandemie), sondern auch komplizierte Strukturen (Stichwort Kantönligeist) und wenig Sinn für Innovation. So erzählte mir eine befreundete Ärztin, dass sie nicht selten stundenlang irgendwelchen Krankenakten nachtelefoniert – und das im Jahr 2023! Eine andere Freundin, die als Ärztin in Schweden arbeitet, kann über so etwas nur den Kopf schütteln. Elektronische Krankenakten, Beratungsgespräche per Video oder «Virtual Care Rooms», in denen Patientinnen und Patienten zum Beispiel unter digitaler ärztlicher Aufsicht ihre eigenen Werte messen können, sind dort an der Tagesordnung – und entlasten das Gesundheitspersonal massiv.

Ein bisschen Goodwill

Eine schnelle Lösung dieses Problems gibt’s wohl nicht. Aber ein bisschen Goodwill auf beiden Seiten wäre mal ein Anfang. So berichtet das Gesundheitspersonal immer wieder von Beleidigungen bis hin zu physischen Angriffen. Das Notfall-Team des Inselspitals Bern muss zum Beispiel laut einer SDA-Meldung im Schnitt viermal pro Tag den Sicherheitsdienst zur Unterstützung im Umgang mit aggressiven Patientinnen und Patienten rufen. Muss ja auch nicht sein. Und als Patientin würde ich zumindest ein «Hallo» beim Arzt schätzen. So viel mehr Zeit als ein Kopfnicken nimmt das nun auch wieder nicht in Anspruch.

 

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