Wer einen unerfüllten Kinderwunsch hat, setzt sich vermehrt mit der eigenen Fruchtbarkeit auseinander. Alter, Lebensstil und Umweltgifte können mitbestimmende Faktoren sein, erklärt die Gynäkologin und Reproduktionsendokrinologin Prof. Brigitte Leeners im Interview.
annabelle: Wie häufig liegen die Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch bei der Frau, beim Mann oder bei beiden Partnern?
Prof. Brigitte Leeners: Tatsächlich zeigt sich seit Jahrzehnten ein sehr stabiles Bild: Etwa ein Drittel der Ursachen liegt ausschliesslich auf Seiten der Frau, ein weiteres Drittel auf Seiten des Mannes. Das verbleibende Drittel betrifft beide. Etwa 10 bis 15 Prozent der Fälle bleiben ungeklärt – sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Das heisst: Man findet keine konkrete Ursache, auch wenn eine Einschränkung der Fruchtbarkeit vorliegt.
Fruchtbarkeit bei Frauen: Welche Rolle spielt das Alter tatsächlich?
Generell lässt sich sagen: Je älter eine Frau wird, desto geringer sind die Chancen auf eine Schwangerschaft. Das liegt zum einen daran, dass mit zunehmendem Alter auch im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung weniger Eizellen heranreifen. Zum anderen steigt der Anteil genetisch auffälliger Eizellen. Das erschwert nicht nur das Schwangerwerden, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt.
Haben auch Männer eine biologische Uhr, die irgendwann zu ticken beginnt?
Bei Männern spielt das Alter auch eine Rolle, aber die Auswirkungen zeigen sich viel später. Bei Männern liegt das Problem überwiegend an der Qualität des Spermas, wobei Anzahl, Beweglichkeit und Form der Spermien gleichermassen wichtig sind. Aber auch durch Erektionsstörungen, die mit zunehmendem Alter häufiger auftreten, kommt es zu Problemen. Und es gibt Erkrankungen bei den Kindern, die bei älteren Vätern gehäuft auftreten. In diesem Zusammenhang wird zum Beispiel Autismus oder auch ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten diskutiert.
Beeinträchtigt das Handy in der Hosentasche wirklich die Fruchtbarkeit von Männern – oder sind die Auswirkungen von Strahlen ein Mythos?
Wie Daten aus einer Studie zeigen, hat die Handystrahlung tatsächlich ungünstige Auswirkungen auf die Spermienqualität. Bei Schweizer Rekruten, die verstärkt einer Handystrahlung ausgesetzt waren, konnte eine deutlich schlechtere Spermienkonzentration nachgewiesen werden.
Welche Ursachen sorgen für einen unerfüllten Kinderwunsch bei Frauen?
Ein Faktor sind verschiedene Erkrankungen, die es erschweren, schwanger zu werden. Zum Beispiel Endometriose oder das Polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) – dabei besteht ein hormonelles Ungleichgewicht und es kann zu einer Störung der Eizellreifung kommen. Aber auch Untergewicht oder eine ungünstige Energiebilanz, etwa durch übermässigen Sport bei gleichzeitig zu geringer Kalorienaufnahme, kann dazu führen, dass der Zyklus ausbleibt. Und ohne Zyklus gibt es keinen Eisprung, also keine Möglichkeit, schwanger zu werden. Ebenfalls häufig beeinträchtigen Veränderungen an den Eileitern die Chance auf eine Schwangerschaft – etwa durch vorangegangene Infektionen z.B. durch Chlamydien oder nach Eileiterschwangerschaften, bei denen manchmal ein Eileiter entfernt werden muss.
In einer Studie wurde der Einfluss von Verkehrslärm auf Frauen untersucht – die Idee war, dass eine chronisch erhöhte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol den Hormonhaushalt beeinflusst. Bei Männern war in derselben Studie vor allem die Spermienqualität durch Umweltgifte betroffen.
Solche Ergebnisse sind kritisch zu betrachten. Die Datenlage zur sinkenden Spermienqualität ist nicht eindeutig. Auch wenn es renommierte Studien dazu gibt, dass die Fruchtbarkeit von Männern durch Umweltgifte sinkt, gibt es auch gegenteilige Ergebnisse. Viele dieser Studien betrachten nur die Spermienkonzentration – das ist aber nur einer von drei relevanten Faktoren neben der Form und der Beweglichkeit der Spermien. Die Studie zum Verkehrslärm wurde zwar sehr gut untersucht – allerdings wurde nur der Wohnort unter die Lupe genommen. Wir Menschen gehen aber auch in die Arbeit, haben Hobbys. Die Ergebnisse geben aber Hinweise, die spannend und wichtig sind. Die Umwelt kann nämlich durchaus Einfluss auf unsere Fruchtbarkeit haben.
Wie sieht es mit endokrinen Disruptoren aus, den sogenannten «Umwelthormonen»? Sind Östrogene im Trinkwasser ein tatsächliches Problem oder nur ein Mythos?
Dazu gibt es eindeutige Ergebnisse: Die sogenannten endokrinen Disruptoren – also hormonähnlich wirkende Substanzen oder Moleküle, die etwa in Plastik, Pestiziden, Trinkwasser, Lebensmitteln, Kosmetika oder Kinderspielzeug vorkommen – können definitiv negative Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit haben. In Tierversuchen – etwa bei Fischen in belasteten Gewässern – sieht man ganz deutlich, dass die Fortpflanzungsfähigkeit sinkt. Beim Menschen ist die Forschung dazu allerdings noch ganz am Anfang. Besonders schwierig ist die Analyse, weil sich viele dieser Stoffe im Fettgewebe anreichern und sich über Jahrzehnte einlagern. Welche Wirkung die Kombination verschiedener Substanzen hat, ist aktuell kaum untersucht.
Sind Männer und Frauen gleichermassen betroffen?
Bei Männern ist die Forschung weiter, da sich Sperma relativ einfach untersuchen lässt. Bei Frauen ist der Zugang zur Eizelle viel schwieriger. Bei künstlichen Befruchtungen kann man zumindest die umgebende Flüssigkeit analysieren, aber die Kriterien, wann eine Eizelle als «hochwertig» gilt, sind viel weniger klar definiert als bei Spermien. Das macht die Analyse deutlich schwieriger.
„Nikotin- und Alkoholkonsum wirken sich definitiv negativ auf die Fruchtbarkeit aus. Auch ein exzessiver Kaffeekonsum kann die Eizellenqualität minimieren“
Mikroplastik, Pestizide, Weichmacher – was ist in Sachen Fruchtbarkeit bedenklicher?
Bei einzelnen Stoffen gibt es eindeutige Daten zur Wirkung. Bei vielen anderen weiss man nur, dass sie Einfluss nehmen – aber nicht genau, wie. Das grösste Problem ist, dass diese Substanzen oft nicht ausreichend reguliert sind. Viele Chemikalien gelangen ohne Einschränkungen auf den Markt – und erst, wenn Beschwerden oder Studien auftauchen, wird reagiert. Ersatzstoffe sind nicht immer besser, manche haben sogar noch ungünstigere Eigenschaften. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die gemeinsame Wirkung von Molekülen wenig erforscht ist.
Wie kann man sich diesen hormonellen Disruptoren entziehen?
Man kann versuchen, den Kontakt zu problematischen Substanzen zu minimieren. Allerdings kann man sich dem nur schwer entziehen. Problematische Substanzen finden sich überall, selbst im Trinkwasser. Auch Kosmetikprodukte, Geschirr oder Spielzeug enthalten oft potenziell hormonell wirksame Inhaltsstoffe. Komplett vermeiden lässt sich das aber nicht – das wäre unrealistisch.
Welche Lifestyle-Faktoren beeinflussen die Fruchtbarkeit?
Nikotin- und Alkoholkonsum wirken sich definitiv negativ auf die Fruchtbarkeit aus. Auch ein exzessiver Kaffeekonsum kann die Eizellenqualität minimieren. Generell ist ein gesunder Lifestyle von Vorteil. Die Nährstoffaufnahme von Selen und Zink ist besonders für die Spermienqualität wichtig.
Einzelne Studien deuten darauf hin, dass regelmässige Schlafenszeiten die Fruchtbarkeit fördern könnten. Stimmt das?
Bei diesen Studien ist die Datenlage oft nicht eindeutig, da viele Faktoren zusammenspielen. Auch Stress wird immer wieder als möglicher Faktor genannt – aber auch hier ist die Datenlage widersprüchlich.
„Es gibt keine Hinweise, dass sich die Anti-Babypille auch bei langjähriger Einnahme ungünstig auf die Fruchtbarkeit auswirkt“
Gegenüber der Anti-Babypille herrscht grosse Skepsis. Gibt es Verhütungsmethoden, die die Fruchtbarkeit beeinflussen?
Es gibt keine Hinweise, dass sich die Anti-Babypille auch bei langjähriger Einnahme ungünstig auf die Fruchtbarkeit auswirkt. Alle Verhütungsmethoden gefährden bei adäquater Anwendung nach heutigem Wissen die Chancen auf eine spätere Schwangerschaft nicht. Allerdings können Infektionen, Keime und Geschlechtskrankheiten die Fruchtbarkeit negativ beeinflussen – geschützter Geschlechtsverkehr bei wechselnden Partnern ist also dringend zu empfehlen.
Immer mehr Frauen lassen Fruchtbarkeitstests durchführen. Wie aussagekräftig sind solche Tests? Würden sie diese empfehlen? Oder sorgen diese für mentalen Stress?
Das Anti-Müller-Hormon gibt meiner Meinung nach gute Hinweise auf die Fruchtbarkeit. Es wird von Eizellen in sehr frühen Entwicklungsstadien produziert – dadurch bekommen wir eine Idee, ob noch Eizellen-Reserven vorhanden sind. Wenn junge Frauen in vorzeitige Wechseljahre kommen, können hier noch für einen Erhalt der Fruchtbarkeit notwendige Schritte – wie etwa das Einfrieren der Eizellen – früh genug eingeleitet werden. Ich finde die Testung also sinnvoll und würde mir wünschen, dass das Hormon in gynäkologischen Praxen häufiger getestet wird. Momentan werden die Kosten nicht von der Krankenkasse übernommen – sie sind aber erschwinglich. Das Einfrieren von Eizellen kostet in der Schweiz etwa 4’000 bis 5’000 Franken. Hinzu kommen etwa 1’000 Franken für Medikamente. Die Eizellen werden für zehn Jahre eingefroren. In Kinderwunschkliniken gibt es meist auch eine Sprechstunde, in der man eine Fruchtbarkeitsberatung wahrnehmen kann.