«Um kein Opfer mehr zu sein, musste ich laut werden»

Fokus

Beobachter – 

Cindy Kronenberg aus Sursee LU gewinnt den Prix Courage 2021. Die 29-Jährige erhält den Preis für ihr Engagement für Opfer von Sexualverbrechen.

Keine einzige Frau soll mehr gefragt werden, ob sie vor der Vergewaltigung getrunken habe, wie sie geschminkt war oder was sie getragen hat: das ist der grösste Wunsch an die Gesellschaft der diesjährigen Prix Courage-Gewinnerin, Cindy Kronenberg.

«Egal, wie die Umstände waren und ob es dein Freund ist oder ein Fremder – wenn jemand dein Nein zu sexuellen Handlungen nicht akzeptiert, ist das nie okay oder deine Schuld», sagt die 29-jährige Kinder- und Jugendarbeiterin aus dem luzernischen Sursee. Sie selbst wurde vor sechs Jahren in Luzern von einem Fremden vergewaltigt.

«Mir einzugestehen, dass ich durch diese Tat zum Opfer wurde, war sehr schwierig», sagte Kronenberg während der Preisverleihung. Irgendwann merkte sie: sie will nicht länger in diesem Zustand der Verletztheit verharren. «Noch länger in dieser Trauer zu bleiben, bringt nicht viel – deshalb musste ich laut werden.» Mit diesem neuen Lebensmut und Antrieb im Rücken gründete sie die Anlaufstelle Vergewaltigt.ch, wo sie anderen Opfern von sexueller Gewalt hilft.

Für dieses Engagement gewinnt sie den diesjährigen Prix Courage. Die mit 15’000 Franken dotierte Auszeichnung der Zeitschrift Beobachter wurde am 29. Oktober in Zürich in feierlichem Rahmen überreicht.

Jurypräsidentin Susanne Hochuli würdigte den Mut der jungen Frau in  ihrer Laudatio: «Cindy Kronenberg hat ihre erlittene Kränkung und Verletztheit in unglaublich viel positive Energie umgewandelt.» Sie habe den grössten Respekt vor Kronenberg und ihre Geschichte berühre sie sehr. «Ohne Rücksicht auf eigene Verluste machen Sie das Richtige.»

Vergewaltigungsopfer fühlen sich alleine mit ihrer Geschichte

Obwohl es die 29-Jährige viel Überwindung kostet, spricht sie öffentlich über ihre schmerzvolle Erfahrung. «Jede betroffene Person reagiert anders auf ein solches Erlebnis – und es ist mir ein Bedürfnis, dass es jede in seinem Tempo und auf seine eigene Weise verarbeiten kann.» Oft würden Vergewaltigungsopfern Fragen gestellt, die sehr schmerzhaft sind: Warum hast du dich nicht gewehrt, warum bist du noch nicht zur Polizei gegangen oder ob sie zuvor mit dem Täter geflirtet habe. Dieser Fokus auf das Opfer sei falsch. Denn manche Betroffenen seien erst nach einigen Tagen, manche nach einigen Wochen und andere erst nach einigen Jahren fähig, über das Erlebte zu sprechen. «Ich möchte die Menschen ermutigen, stattdessen einfach da zu sein für die Opfer, ihnen die Zeit und den Raum für ihren eigenen Weg zu geben.»

In ihrer Anlaufstelle Vergewaltigt.ch will sie das bieten: Hier erhalten andere Betroffene nicht nur ein ein verständnisvolles Ohr im Austauschcafé, sondern auch Begleitung beim Gang ins Spital oder zur Polizei, Kontakte zu Expertinnen und hilfreiche Informationen. Gemeinsam mit Partnerorganisationen plant sie zudem Präventionskurse an Schulen.

Das alles mache sie für die rund 430’000 Frauen in der Schweiz, die laut einer Umfrage von Amnesty International schon Geschlechtsverkehr gegen den eigenen Willen gehabt haben. «Eine riesige Zahl», sagt Cindy Kronenberg. «Aber niemand spricht darüber. Und alle Betroffenen haben das Gefühl, mit ihrer Geschichte allein zu sein.»

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