TV-Expertin Patty Schnyder: «Ich habe eine faire Chance gekriegt und konnte sie nützen»

Fkus

watson.ch –  Patty Schnyder gehörte zu den besten Tennisspielerinnen der Welt. In der Öffentlichkeit wurden nicht nur ihre sportlichen Erfolge, sondern auch ihr Privatleben verhandelt. Nun erzählt die 44-Jährige, wie sie auf diese Zeit zurückblickt und wie sie in Deutschland ihr Glück fand.

Inzwischen lebt die 44-Jährige seit über zehn Jahren mit ihren Töchtern Kim (8) und Joya (4) und ihrem Partner Jan Heino in der Nähe von Hannover. In Wimbledon steht sie als Expertin beim Schweizer Fernsehen im Einsatz – und gibt eines ihrer seltenen Interviews.


Patty Schnyder, welche Gefühle löst es bei Ihnen aus, hier in Wimbledon über die Anlage zu gehen?
Es kommen sehr viele Erinnerungen hoch, angefangen mit dem allerersten Mal, als ich das Juniorenturnier spielte. Auch wenn sich hier vieles verändert hat, eines ist geblieben: die gepflegte Perfektion. Die Fusswege, die Blumen, die Beete, die Farben, alle Offiziellen tragen Uniformen. Es ist sehr formell, aber alles in Perfektion.

 

Wie ist es für Sie, nicht als Spielerin, sondern als TV-Expertin hier zu sein?
Schön. Ich muss mich nicht darum kümmern, ob ich meine Vorhand treffe, muss mir nicht die Frage stellen: Bin ich fit genug? Es ist viel entspannter. Ich kann es geniessen.

Und wenn Sie kommentieren?
Dann werde ich auf eine emotionale Reise mitgenommen. Ich schaue sonst nicht mehr viel Tennis. Zu Hause habe ich mit meiner Familie, mit meinen beiden Töchtern, zu wenig Zeit. Und wenn wir Freizeit haben, schauen wir nicht unbedingt Fernsehen. Aber hier dreht sich nun stundenlang alles nur ums Tennis. Das ist eine coole Sache.

 

Seit dem letzten Jahr kommen Sie bei den Grand-Slam-Turnieren als TV-Expertin zum Einsatz. Wie interpretieren Sie Ihre Rolle?
Ich wurde ursprünglich Expertin, weil Heinz Günthardt Fed-Cup-Captain war und nicht noch gleichzeitig kommentieren konnte. Es bot sich an, eine Frau zu nehmen, und ich war die Einzige, die infrage kam. Die anderen spielten noch. Das Feedback war sehr gut, sie waren zufrieden mit mir. Klar, mache ich es auf eine andere Art als Günthardt. Er hat es über 20 Jahre gemacht als Experte und war herausragend gut. Aber ich habe eine ganz faire Chance bekommen und konnte sie auf meine Art nützen. Ich bekomme viel Lob.

 

Sie zogen sich nach Ihrem Rücktritt zurück. Als TV-Expertin traten Sie nun wieder an die Öffentlichkeit. Wie war dieser Schritt für Sie?
Für mich steht die Herausforderung im Vordergrund, Live-Fernsehen mit einem tollen Team beim Schweizer Fernsehen zu machen. Ich war eine taktische Spielerin, habe selber viel analysiert. Das sind gute Voraussetzungen für diese Aufgabe, bei der es darum geht, das grosse Bild zu betrachten und zu vermitteln. Ich empfinde das als sehr anspruchsvoll und bereichernd. Nach dem Rücktritt wollte ich mich bewusst zurückziehen. Ich brauche es auch nicht für mein Selbstvertrauen, im Gespräch zu sein. Für mich war es nie wichtig, Fotos von mir in der Zeitung zu sehen oder Interviews zu geben. Da erzähle ich Ihnen ja wohl nichts Neues (lacht).

 

Sie leben seit über zehn Jahren in Deutschland. War es ein bewusster Entscheid, Distanz zur Schweiz und zur Öffentlichkeit zu schaffen?
Ich bin ein sehr freiheitsliebender Mensch. Meine Bekanntheit war in der Schweiz extrem hoch, und das hat meinen Alltag beeinflusst. Auch wenn es viele schöne Momente mit Fans gegeben hat, war meine Bekanntheit auch eine Belastung. Ich konnte nicht so frei leben, wie ich mir das wünschte. Der Umgang in der Schweiz ist sehr respektvoll, und ich habe nie schlechte Erfahrungen gemacht. Aber allein das Wissen, beobachtet zu werden, prägt einen.

 

Wie sieht Ihr Leben in Deutschland aus?
Ich habe zwei Töchter, die meinen Alltag bestimmen. Es ist total herzig, zwei Kinder aufwachsen zu sehen, ihnen etwas beizubringen, ihnen beizustehen, mit ihnen zu lachen und von ihnen zu lernen, wie sie das Leben sehen.

 

Welche Werte wollen Sie Ihren Töchtern vermitteln?
Dass sie Selbstvertrauen haben, einen respektvollen Umgang pflegen. Dass sie sich mit den Guten messen und den Schwächeren helfen, ihre Augen offen halten für ihre Mitmenschen. Das Miteinander ist uns sehr wichtig. Und auch, dass sie auf sich achten und herausfinden, was sie selbst glücklich macht und dafür einstehen können.

 

Sprechen Ihre Kinder auch Baseldeutsch?
Ich rede nur Schweizerdeutsch mit ihnen, sie können es eigentlich ganz gut. Aber seit wir in Mexiko waren, zählt die Vierjährige nur noch auf Spanisch (lacht). Sie veräppeln mich ohnehin die ganze Zeit.

 

Als Sie 2018 in Gstaad spielten, bedeuteten Sie während der Partie Ihrem Partner auf der Tribüne, er solle Ihrer Tochter eine Jacke überziehen …
(lacht) Es wurde kalt! Da bin ich ein typisches Mami, was bei Papis nicht immer so gut ankommt. Ich dachte: Bitte zieh dem Kind jetzt eine Jacke an! Manchmal kann man nicht aus seiner Haut. Aber er macht es wirklich gut, hat es ganz gut im Griff, wenn er die Kleinen alleine hat. Auch wenn er am Abend komplett müde ist.

Spielen Sie selber noch Tennis?
Eigentlich nicht. Wenn ich mich mal überwinde, von einer Bundesliga-Spielerin überreden lasse, macht es Spass. Aber am nächsten Tag habe ich Muskelkater. Nicht, dass mir etwas wehtut, aber es ist krass, wie das einfährt, wenn man nicht regelmässig spielt. An zwei Nachmittagen in der Woche trainiere ich Juniorinnen.

 

Was nehmen Sie mit, wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken?
Dass ich so lange auf diesem hohen Niveau spielen konnte. Und dass meine Karriere gespickt ist mit Highlights. Ich habe nur Gutes in Erinnerung. Was mich traurig gemacht, enttäuscht oder geschmerzt hat, habe ich vergessen.

 

War das ein bewusster Prozess?
Ich halte mich immer am Positiven. Etwas, das wehtut, verarbeite ich schnell und wische es dann weg. Es bleibt nicht lange an mir hängen. Das ist meine Persönlichkeit. Mein ganzes Leben. Ich bekomme kein Magengeschwür und kann immer nach vorne schauen.

 

Sie gehörten lange zur Weltspitze. Wie sehr ärgert es Sie, dass oft über Dinge gesprochen wurde, die in Ihrem Privatleben passierten?
So funktioniert halt Journalismus. Wenn man eine kleine Angriffsfläche bietet, wird das ausgeschlachtet. Ich kann dieses System nicht verändern. Aber sicher wäre es wünschenswert, wenn andere Geschichten in den Vordergrund gerückt und mehr über Dinge geschrieben würde, die schön sind und mit Erfolg und Leistung zu tun haben und nicht mit Nebenschauplätzen. Aber das ist auch anderen passiert. Ich bin kein Einzelfall.

 

Im August 2003 wurde Ihr Leben sogar im «Zischtigsclub» diskutiert, Sie waren selber als Gesprächsteilnehmerin in der Sendung. Die Sendung erreichte Rekordquoten. Wie blicken Sie darauf zurück?
Ich hatte damals das Gefühl: Jetzt reicht’s! Jetzt redest du selber. Ich tat das nicht freiwillig, sondern unter einem enormen Druck. Damals prasselte so viel auf mich ein. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich meine Version der Geschichte erzählen musste. Es ist ja auch nicht so, dass alle Unrecht hatten. Das kann ich nicht abstreiten. Aber es war immer noch mein Leben, und diese Einmischung und die Ignoranz gegenüber meiner Leistung hat mich schon geschmerzt.

 

Erfahren Sie heute mehr Respekt für Ihre Karriere?
Das ist nicht so wichtig für mich. Für mich zählt, dass ich glücklich bin und es gut habe mit meinen Liebsten und meinen Freunden. Dass ich Zeit mit ihnen verbringen und einen normalen Alltag leben kann. Nicht, was in der Zeitung steht.

 

2011 traten Sie erstmals zurück, 2015 gaben Sie ein Comeback. Was waren Ihre Beweggründe? Wollten Sie nochmals etwas beweisen?
Nein, überhaupt nicht. Es war der Spass am Wettkampf. Und ich wollte meine Grenzen testen, wie es unter komplett anderen Voraussetzungen möglich ist, Tennis zu spielen. Es war zudem schön, dass ich meinem neuen Lebenspartner die Welt zeigen konnte, in der ich so viele Jahre verbracht hatte.

Wie war es für Sie, auch auf ganz kleinen Tennisbühnen zu spielen?
Es war ein Weg mit schönen Erfahrungen und weniger schönen. Klar gab es oft sehr wenige Zuschauer. Es gab auch das eine oder andere 25’000-Dollar-Turnier, das wirklich top war, wo alles mit Herz organisiert wurde. Es gab aber auch höher dotierte Turniere, beispielsweise in China, wo es niemanden interessierte. Da hatte es null Zuschauer.

 

2018 forderten Sie fast am Schluss Ihrer Karriere am US Open nochmals Maria Scharapowa auf einem Showcourt. Wie war das?
Es war ein Abschluss auf der grössten Bühne. Noch heute denke ich: Ein, zwei Vorhandbälle longline mehr auf die Linie, dann hätte ich diesen blöden zweiten Satz gewonnen. (lacht) Ich hatte etwas Zeit gebraucht, um ins Spiel zu finden, denn es ging schon zügig gegen sie. Es war so herzig, wie Kim immer eingeblendet wurde auf der Grossleinwand. Das bleibt mir. Ich bekam ein Foto zugeschickt, wie sie klatschte in der Player’s Box. Sehr herzig.

 

Sie wissen aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist auf dem Court. Wie kritisch beurteilen Sie die Spielerinnen und Spieler? Drücken Sie auch einmal ein Auge zu?
Das ist ein Feedback, das ich oft bekomme: dass ich sehr einfühlsam sein kann. Wenn ich der Coach einer Spielerin wäre, würde ich gewisse Dinge noch kritischer ansprechen.

 

Belinda Bencic ist Olympiasiegerin, wartet aber noch auf einen Grand-Slam-Titel. Was denken Sie: Weshalb hat es noch nicht gereicht?
Eine gute Frage. Sie weiss es wohl auch nicht so richtig, sonst würde sie es ändern. Es fehlt ein kleines Bisschen, damit sie in den Tunnel kommt, wie das bei ihrer olympischen Goldmedaille in Tokio der Fall war. Aber wie man dorthin kommt? Ich schaffte es auch nur an zwei, drei Orten, mein bestes Niveau zu finden. Oft ist es ein Rätsel, wieso es nicht klappt.

Was würden Sie einer jungen Spielerin raten?
Auf kontinuierlichen Erfolg zu setzen, Verletzungen auszukurieren, statt Punkten nachzurennen. Das finde ich sehr wichtig. Und sich nicht zu verlieren im Tennis, sondern daneben auch noch etwas zu haben, damit man nicht zu einseitig und zu verbissen wird. Es ist wichtig, dass man neben dem Tennis noch ein Leben führt. Dass man sich auch über andere Dinge Gedanken macht, Freundschaften pflegt. Was nicht heisst, dass man nicht professionell arbeiten soll.

 

Wenn Sie das ganz grosse Bild betrachten: Was hat Ihnen das Tennis in Ihrem Leben gegeben?
(überlegt) Umgekehrt gefragt: Wäre ich ein anderer Mensch geworden, ohne? Definitiv hat mich das Tennis sehr geprägt. Es hat mir viel Freude gegeben. Als Jugendliche gab es für mich gar nichts anders, es war mein grosser Traum. Ich weiss nicht, was für einen anderen Beruf oder welche akademische Laufbahn ich eingeschlagen hätte ohne Tennis. Ich hätte sicher andere Bereiche gefunden, in denen ich Lust gehabt hätte, viel Zeit zu investieren und mich festzubeissen. Das liegt in meiner Persönlichkeit. Wenn ich etwas tue, dann richtig. Und ich bin ein total freiheitsliebender Mensch, auf Abenteuer aus. Wenn es nicht geklappt hätte mit dem Tennis, wäre ich halt als Backpackerin herumgereist, statt in Fünf-Sterne-Hotels abzusteigen. Ich hätte die Welt auf andere Weise entdeckt.

Das ganze Interview von Simon Häring

Bild: Jürgen Hasenkopf

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