Traumjob Stuntfrau: Wenn Mama grün und blau geprügelt von der Arbeit kommt

Fokus

watson – Simone Meier

Sie stecken enorm viel ein – und fliegen gelegentlich mit Tom Cruise durch die Luft. Der Dokfilm «Cascadeuses» zeigt drei Stuntfrauen und ihren surrealen Arbeitsalltag.

Es ist schon ein respektabler Weg, wenn man es aus dem Kinderzirkus Basilisk nach Hollywood an die Seite von Tom Cruise in «Minority Report» schafft. Wenn auch nur als gesichtsloses Verbrauchsmaterial, das bei Explosionen durch die Luft fliegt. Sofort ersetzbar, sollte man durch einen Unfall ausfallen. Zwischen dem Zirkus für die Kleinen und Hollywood lag für die Basler Stuntfrau Petra Sprecher auch noch der Cirque du soleil, denn viele Stuntfrauen haben wie sie einen Karrierestart als Artistin. Besitzen die perfekte Körperbeherrschung. Und Kraft. Und dazu unendlich viel Mut. Oder vielleicht auch bloss die grösste Gelassenheit der Welt.

Die in Pristina geborene und im Jura aufgewachsene Regisseurin Elena Avdija hat Petra zusammen mit Estelle und Virginie im Dokumentarfilm «Cascadeuses – Stuntfrauen» porträtiert. Die Französin Virginie Arnaud ist seit bald 30 Jahren Stuntfrau, zuvor arbeitete sie in einem Pariser Cabaret als Artistin, sie war bei «Lucy» von Luc Besson, «Fast & Furious», «R.E.D.» und gut 250 weiteren Produktionen dabei, heute, in einem Alter, dass sie nicht verraten will, arbeitet sie lieber als Stunt-Koordinatorin, choreografiert Massenschlägereien oder trainiert ihre Tochter, die auch eine gewisse Affinitiät zum professionellen Verprügeltwerden zeigt.

«Hattest du mal Angst?», fragt die Tochter. «Um mein Leben? Nie. Nicht bei den Stunts», antwortet die Mutter. Wenn die Tochter früher nach Hause kam, fand sie ihre Mutter oft grün und blau geschlagen am Herd. Und oft holte Virginie ihr Kind mit einer Sonnenbrille von der Schule ab. Wo andere häusliche Gewalt vermutet hätten, wusste man bei Virginie, dass sie ganz normal zur Arbeit gegangen und alles gut war.

Als Virginie, Petra und die Französin Estelle Piget – die sich zum Zeitpunkt des Drehs noch in der Ausbildung befand – Stuntfrauen wurden, stellten sie sich darunter etwas ganz anderes vor. Sie dachten an Actionszenen, wie sie Männer drehen. In denen sie aktive Heldinnen doubeln. Fliegen, Bomben entschärfen, kämpfen. Stattdessen müssen sie Opfer spielen. Frauen, die von Männern geschlagen, gewürgt, getreten, vergewaltigt, getötet werden. Und dann auch noch auf High Heels. Das nervt sie. Aber es ist nun mal der Mainstream. In «CSI», im «Tatort», in tausend anderen Filmen und Serien, die sich um Gewalt und Verbrechen drehen.

Wir sehen Virginie als Prostutierte, der wieder und wieder in den Bauch getreten wird. Estelle, wie sie eine Treppe hinuntergeschmissen wird, wieder aufsteht, alles gut, okay, der Kopf surrt ein bisschen und ihre Beine sind blau, aber die Szene sitzt noch nicht, sie fliegt noch ein paarmal die Stufen runter. Petra erzählt ihrer Mutter am Telefon, wie sie bei einer Schiesserei in «Westworld» getötet wird, sonst hat sie nichts zu tun, aber es sei toll, für HBO zu arbeiten, der totale Luxus, sie müsse nicht einfach auf den Boden fallen, sondern auf eine richtig gute Trainingsmatte, die wie ein Marmorboden aussehe.

Von einer Karriere wie Zoë Bell, der wohl berühmtesten Stuntfrau der Welt, die in allen Tarantino-Filmen mitmachte und der Tarantino mit «Death Proof» quasi einen ganzen Film schenkte, in dem sie mit ihrem Namen und ihrem Gesicht spielen darf, können die drei nur träumen. Ein bisschen tun sie es. Petra stünde nur zu gerne selbst im Scheinwerferlicht.

Mit Zoë Bell verbindet Petra und Virginie die Liebe zu den superschnellen Autos, die sie dressieren können wie Pferde, da wachsen Auto und Frau zusammen. Und es ist die beste Beschäftigungsmöglichkeit im Alter, wenn schon vieles am eigenen Körper zu Schrott gegangen ist. Im Auto kann man einfach sitzen und fahren. Das Auto ist quasi der Bürojob für Stuntmenschen. Wenn nichts mehr geht, geht immer noch «Fast & Furious».

Es sind faszinierend surreale Einsichten in eine Art Spitzensport, bei dem das Knochenbrechen bereits einkalkuliert ist. Und in dem die einen ihre ganze, der Realität zum Verwechseln ähnlich sehende Körperkunst zur Verfügung stellen, damit die Stars möglichst naturalistisch leiden und sterben. Die Frauen wissen, worauf sie sich einlassen. Was sie für sich daraus gewinnen, erklärt Estelle, sei ein Rausch von Freiheit: «Es ist ein befreiendes Leben. Zu wissen, dass man aus 70 Metern Höhe springen kann. Innerlich haben wir Spass.»

Der Artikel von Simone Meier

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