«Teilzeit muss die Zukunft sein»: Ein Zürcher Startup setzt sich für mehr Vereinbarkeit ein

Fokus

Neue Zürcher Zeitung – Nelly Keusch 

Vor zweieinhalb Jahren gründeten vier Frauen Zürichs ersten Coworking-Space mit Kinderbetreuung. Heute sagen sie: Echte Vereinbarkeit geht nur in Zusammenarbeit mit Unternehmen.

Wenn man die Büroräume von Tadah betritt, fühlt man sich sofort wohl. Durch die hohen Fenster des weitläufigen Raumes fällt viel Licht, die Möbel, Wände und Treppen sind aus hellem Holz gearbeitet.

Abgerundet wird das Wohnzimmergefühl durch bunte Bilder an den Wänden, gepolsterte Sitzflächen in Pastelltönen, Bücherregale und viele Pflanzen

In der grossen Küche haben die vier Gründerinnen zum Kaffee eingeladen, auf einem Tisch stehen Kuchen und Brownies. Die Stimmung ist gelöst, man plaudert und lacht. Das Einzige, was einen davon abhält, sich wie zu Hause zu fühlen, sind die Menschen, die überall herumsitzen und arbeiten, auf Sofas, an Schreibtischen oder langen Konferenztafeln, vertieft in ihre Laptops.

Zürichs erster Coworking-Space mit Kinderbetreuung

Als Julia Cebreros, Sarah Steiner, Klara Zürcher und Diana Wick ihren Coworking-Space in Zürich Albisrieden vor zweieinhalb Jahren eröffnet haben, war genau das ihr Ziel: einen Ort zu schaffen, an dem die Kunden sich wohlfühlen und gleichzeitig konzentriert arbeiten können. Und das vor allem, ohne sich wegen der Betreuung ihrer Kinder Sorgen machen zu müssen. Denn die vergnügen sich zwei Stockwerke tiefer in der hauseigenen Kita.

Tadah trat im Herbst 2019 an mit dem Vorhaben, der erste Deutschschweizer Coworking-Space mit integrierter Kinderbetreuung zu werden. Die Kunden sollten spontan Arbeitsplätze buchen und bei Bedarf sogar ihr Kind mitbringen können. Damit wollte man dem Wunsch vieler Eltern nach mehr Flexibilität gerecht werden. Doch dann kam die Pandemie, und ein halbes Jahr nach ihrer Öffnung musste die Kita wieder schliessen. Auch die Nachfrage nach Büroplätzen brach ein.

Die Pandemie hat die Herausforderungen sichtbar gemacht

Heute liegen hinter den Gründerinnen zwei schwierige Jahre, doch das merkt man ihnen nicht an. Im Gegenteil, sie sind in Aufbruchsstimmung. Schliesslich habe die Pandemie eines auf eindrückliche Weise gezeigt: wie wichtig es sei, sich endlich mehr um das Thema Vereinbarkeit zu kümmern. Fehlende Kinderbetreuung und die täglichen Herausforderungen beim Home-Office hätten viele an ihre Grenzen gebracht.

Die Pandemie hat Arbeit und Privatleben so eng zusammengebracht, wie sie es nie zuvor waren. Für die meisten war das zu eng: Kaum sind die Zeiten des Home-Office vorbei, sind Coworking-Space und Kita wieder gut gefüllt. Vor allem die Kinderbetreuung ist beliebt, zurzeit müssten sie Eltern sogar abweisen, weil es nicht genug Plätze und Betreuungspersonal gebe, sagt Gründerin Diana Wick.

Die Pandemiejahre haben die vier Frauen zum Nachdenken gebracht. Denn sie hätten gezeigt: Vereinbarkeit bedeutet mehr als «nur» die Koordination von Familie und Beruf. «Vereinbarkeit ist extrem individuell und umfasst alle Lebensbereiche», sagt Wicks Kollegin Sarah Steiner. Und das Thema betreffe nicht nur Eltern. So seien die Bedürfnisse einer Mitarbeiterin, die Angehörige pflegt, ebenso zu berücksichtigen wie die ihres Kollegen, der vormittags zum Sport gehen möchte oder sich in einem Verein engagiert. Damit die Mitarbeiter in ihrem Arbeitsalltag die nötigen Freiräume dafür haben, müssten Arbeitgeber dazu beitragen, sie zu schaffen.

Unternehmen hätten viele Möglichkeiten

«Wir haben festgestellt, dass Vereinbarkeit strategisch auf Unternehmensseite betrachtet werden muss», so Steiner. Um diese Zusammenarbeit voranzutreiben, hat Tadah ein White Paper verfasst mit dem Titel «Schweizer Unternehmen und die viel zitierte Vereinbarkeit». Darin sprechen die vier sich für eine «Work-Life-Integration» anstelle einer «Work-Life-Balance» aus. Statt Arbeit und Freizeit gegeneinander aufzuwiegen, sollten die beiden Lebensbereiche zusammengedacht werden. Was Schweizer Firmen tun können, um das zu ermöglichen, dazu haben die Gründerinnen einige Ideen.

«Man muss nicht gleich eine Betriebs-Kita einrichten», findet Diana Wick, «es ist mindestens genauso wichtig, Teilzeitstellen und Jobsharing zu ermöglichen, auch in den Führungsetagen.» Die Firmen müssten weg von der sturen 42-Stunden-Woche und sich stattdessen gemeinsam mit den Mitarbeitern überlegen, wie man das Arbeitspensum am sinnvollsten aufteilen kann. Weitere wichtige Massnahmen seien zudem, flexibles Home-Office zu ermöglichen und wichtige Sitzungen nicht während der Randzeiten abzuhalten.

Vereinbarkeit auch in den Führungsetagen?

Für das Paper hat Tadah bei zahlreichen Schweizer Firmen, darunter Allianz, Lindt & Sprüngli, Migros und Zurich, nachgefragt, wie sie es mit der Vereinbarkeit halten. Ihr Fazit: Bei den Unternehmen gebe es eine hohe Bereitschaft, die Integration von Arbeit und Privatleben voranzutreiben. Oft fehle es jedoch an konkreten Programmen und Kommunikationsstrategien. Vor allem die Führungsetagen gingen meist nicht mit gutem Beispiel voran, auf Managementebene gebe es bis anhin kaum Jobsharing oder Teilzeitstellen.

Dass es auch anders geht, wollen die Gründerinnen mit ihrem Startup beweisen, das sie zu viert, als Mütter von kleinen Kindern und in Teilzeit gegründet haben. Ihre Erfahrungen wollen sie an andere Unternehmen weitergeben und sie beim Wandel unterstützen. In einem Land wie der Schweiz, das in einer Unicef-Studie zur Familienfreundlichkeit in europäischen Ländern auf dem hintersten Platz landete, sei es für Unternehmen ein Leichtes, mit eigenen Massnahmen voranzugehen und sich zu profilieren.

Doch auch die Tadah-Gründerinnen müssen beizeiten feststellen, dass das Teilzeitmodell an seine Grenzen kommt, besonders in Phasen, in denen es viel zu tun gibt. «Wir versuchen, unsere eigenen Ideale vorzuleben, aber es ist nicht immer einfach», sagt Julia Cebreros. Wenn man selber gründet, rücken Arbeit und Privatleben dann hin und wieder doch etwas zu eng zusammen.

Zum Artikel in der NZZ

Sponsoring