Spreitenbacherin bezwingt 6800-Meter-Berg im Himalaya: «Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich es schaffen kann»

Fokus

Aargauer Zeitung – Sarah Kunz

Vor einem Monat stieg Gentiana Zyba auf den Gipfel des Ama Dablam in Nepal. Jetzt erzählt sie von den Strapazen während des Aufstiegs, dem tragischen Tod zweier Alpinisten und der unglaublichen Stille auf der Spitze des Bergs.

Götterberg wird er genannt, Matterhorn von Nepal, Wahrzeichen des Himalaya-Gebirges. Die Rede ist nicht vom weltbekannten Mount Everest, sondern vom nahe gelegenen Ama Dablam.

6812 Meter hoch ragt der Gipfel aus dem Wolkenmeer und gilt bei Alpinisten als Traumziel. Gentiana Zyba kann das nur bestätigen. Die 32-Jährige ist im Kosovo aufgewachsen, zog mit 13 Jahren nach Spreitenbach und absolvierte in Baden ihre KV-Lehre. Vor einem Monat hat sie den Gipfel des Bergs erklommen.

Mittlerweile ist Zyba zurück in der Schweiz und wieder im Alltag als Traderin einer Schweizer Bank angekommen. Richtig verarbeitet habe sie das Abenteuer noch nicht, sagt sie am Telefon. Und sie wisse auch gar nicht, welche Worte sie verwenden soll, um zu erzählen, was sie erlebt habe. Alles sei immer noch so surreal.

Kurz herrscht Stille, während sie überlegt. Dann lacht sie und sagt: «Auf die Gefahr hin, dass es abgedroschen klingen mag: Es war eine Zeit, die ich nie vergessen und von der ich noch mein Leben lang zehren werde.» Schliesslich findet aber sie doch noch Worte, um das Erlebte, die schwierigen Bedingungen, den harten Aufstieg, die Angst und letztlich die unermessliche Erleichterung zu beschreiben.

Der Anfang: Die Idee setzt sich fest

Eigentlich hatten Zyba und ihre Kollegin geplant, «nur» den Ostgipfel des Lobuche zu besteigen – einen rund 700 Meter kleineren Berg in derselben Region, der technisch etwas weniger anspruchsvoll ist. Expeditionsleiter Nimsdai Purja – unter anderem bekannt durch die Netflix-Doku 14 Peaks – machte ihnen den schwierigeren Berg schliesslich schmackhaft. «Wir waren körperlich fit und hatten den Ama Dablam auf dem Weg zum Lobuche ständig vor Augen», erzählt Zyba. «Umso näher wir am Berg waren, umso grösser wurde der Wunsch, auch ihn zu besteigen».

Zyba absolviert seit fünf Jahren Bergtouren in der Schweiz, ist schon auf mehrere 4000er geklettert. Zu Hause – seit kurzem wohnt sie in Zürich – habe sie sich auf das Abenteuer vorbereitet, indem sie unter anderem mit Rucksack ausgestattet zwei Mal pro Woche auf den Uetliberg gejoggt sei. «Aber die Erklimmung des Ama Dablam war dann doch um einiges intensiver.»

Der Aufstieg: Zwei Bergsteiger starben an Erschöpfung

Nach diversen organisatorischen Arrangements ging es für Zyba und ihre Kolleginnen schliesslich ins Basislager zur Akklimatisierung. Auf dem Weg bis zur Spitze befinden sich insgesamt drei Zeltlager, wo sich die Bergsteigenden jeweils an die neue Höhe gewöhnen und je nachdem etwas Schlaf finden können. Die gesamte Expedition dauert dreieinhalb Wochen – und das für lediglich acht Minuten auf dem Gipfel.

Das letzte Camp befindet sich auf 6400 Metern über Meer. Temperatur: eisige minus 25 Grad. Sauerstoffsättigung: ungefähr 65 Prozent. «Kaum waren wir aus dem Zelt, fehlte uns schon der Atem», erinnert sich Zyba. Ansonsten habe sie sich aber gut gefühlt.

Andere Leute im Camp hatten hingegen stärker mit der Höhe zu kämpfen: Zwei von ihnen starben an Erschöpfung, einer von ihnen war erst 30 Jahre alt. «Das war ein sehr schwieriges Erlebnis», sagt Zyba. «Ihr Tod hat uns alle stark getroffen.» Einige hätten sich daraufhin überlegt, die Besteigung abzubrechen. Für Zyba war dies jedoch kein Thema: «Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich es schaffen kann», sagt sie. «Diese Einstellung braucht es, wenn man bis ganz nach oben will.»

Der Gipfel: Wo Tausende von Emotionen herrschen

Um 6 Uhr morgens machte sich die Gruppe auf, die verbleibenden 400 Höhenmeter zu bewältigen. 20 Stunden waren dafür eingeplant. Denn weniger der Höhenunterschied ist für dieses letzte Stück auf den Gipfel ausschlaggebend, sondern die Länge des Grats und dessen Schwierigkeit. Viele Felstürme müssen überwunden werden, am Fixseil herrscht Hochbetrieb. Wer spät dran ist, steht schnell eine Stunde oder länger im Stau.

«Auf den letzten Metern wurde ich von Emotionen überwältigt», erzählt Zyba weiter. Schritt für Schritt näherte sie sich ihrem Ziel, jede Bewegung ein Kraftakt. Nach knapp sechs Stunden stand sie oben. «Da brach alles über mich herein. Erleichterung, Stolz, die Aussicht, die Stille.»

Und doch beschreibt sie den Gipfel im Nachhinein nicht als das Grösste: «Vielmehr war es das gesamte Erlebnis, der ganze Weg, der mich an diesen Punkt geführt hat.» Acht Minuten lang konnte sie den Ausblick auf den Lhotse und den Mount Everest geniessen, dann musste sie sich auf den Rückweg machen.

Der Abstieg: Langsam lassen die Kräfte nach

Man könnte denken, das Schwierigste sei mit dem Gipfel geschafft. Doch Zyba erging es anders. «Während des Abstiegs war es dunkel, ich konnte kaum noch etwas sehen, habe zu wenig geschlafen, war müde und meine Kräfte liessen nach», erzählt sie. «In diesem Moment habe ich zum ersten Mal an mir gezweifelt.»

Pause machen, Schoggi essen, Kräfte sammeln, mit kleinen Schritten weiter. «Mental muss man da unglaublich stark sein.» Ihr Sherpa habe ihr extrem dabei geholfen, wieder zu der Einstellung zurückzufinden, die sie am Anfang hatte, sagt Zyba. «Ich habe ihm mein Leben anvertraut.»

Die Zeit danach: Der Alltag ist nicht mehr derselbe

Gegen Ende des Telefonats spricht Zyba immer schneller, immer lebendiger. Die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus. «Wenn ich jetzt wieder darüber rede, kommt alles wieder hoch», erklärt sie darauf angesprochen. An diesem Tag habe sie zudem noch das Zertifikat erhalten. Ein Beweis für ihr Erlebnis. Das mache das Geleistete erneut spürbar.

Auch wenn Zyba bereits seit einem Monat wieder im normalen Leben gefangen ist: Das Erlebte begleitet sie immer noch auf Schritt und Tritt. «Mein Alltag erscheint mir seither viel einfacher», sagt sie. «Auf dem Berg lernt man, alles Schritt für Schritt anzugehen.» Dadurch erscheinen die kleinen Probleme im Leben plötzlich viel unbedeutender und jede noch so unüberwindbar scheinende Hürde machbar.

«Diese Erfahrung werde ich noch lange mit mir mittragen», ist Zyba überzeugt. Nächste Ziele hat sie sich auch bereits gesetzt: das Matterhorn in der Schweiz. Und vielleicht irgendwann der Mount Everest.

Der Artikel von Sarah Kunz

Bild ZvG/Baderner Tagblatt

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