Schweizer «Tatort»: Es geht ja doch

Fokus

NZZ Magazin – Denise Bucher – Arthouse-Regisseurin Christine Repond inszeniert mit «Schattenkinder» den dritten «Tatort» aus Zürich. So gut war der Krimi noch nie.

Unser «Tatort» ist gerettet. Oder: Könnte gerettet sein, wenn das Schweizer Fernsehen SRF den Mut aufbringt, die Krimireihe so fortzuführen, wie die Arthouse-Regisseurin Christine Repond es mit «Schattenkinder» jetzt vorlegt.

Sie erzählt in der Folge, die am 13. März ausgestrahlt wird, eine atmosphärisch-düstere Geschichte, die einem nahegeht, weil sie sich mehr für die Psychologie ihrer Figuren interessiert als dafür, dem Publikum das sonntägliche Mordsvergnügen zu liefern. Sie schafft ein Milieu, statt Zürich nur als Schauplatz zu nutzen, und die Figuren reden wie richtige Menschen.

«Schattenkinder» spielt in einer befremdlichen Parallelwelt, welche die Künstlerin Kyomi (Sarah Hostettler) erschaffen hat. Die Ermittlerinnen Tessa Ott (Carol Schuler) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) kommen mit ihr in Berührung, nachdem Max, Sohn eines Schönheitschirurgen, tot aufgefunden wurde. Er hängt in einer Industriehalle, sorgfältig in Plastikfolie eingewickelt, keine Spur von Blut.

Der lebende Max, so erfahren wir, war Teil einer Installation, an der Kyomi arbeitet und für die sich junge Leute, die ihr traumatisiertes Ich aufgeben wollen, von ihr zu «Objekten» transformieren lassen: Sie rasiert ihnen den Schädel, tätowiert Kopfhaut, Gesicht und auch die Augen. Hat Kyomi Max getötet? Oder war es sein Vater? Ein Schlüssel zur Wahrheit liegt in den Videointerviews, die Kyomi mit ihren «Objekten» macht. Auch mit Max, der darin vom sexuellen Missbrauch erzählt, den er in seiner Jugend erlitten hat.

Diese Videoaufnahmen waren eine Idee von Christine Repond. In einer frühen Drehbuchfassung habe Max keine Stimme gehabt, erzählt sie im Gespräch. Sie aber wollte nicht, dass er bloss die Leiche ist, die den Ermittlungsprozess auslöst. Er sollte ein Mensch sein, dessen Geschichte im Handlungsgeflecht eine Rolle spielt.

In diesem Geflecht gibt sie auch Tessa Ott einen besonderen Platz, nimmt ihr Problem mit Waffen aus der zweiten Folge wieder auf, ergründet ihre Psyche und verankert sie damit endlich im Geschehen. Repond fand, das Publikum müsse mehr aus deren Psychogramm erfahren, so wie es in der sogenannten Serienbibel von SRF beschrieben ist, einem Dokument, das notwendig ist, weil immer wieder andere Leute am «Tatort» arbeiten.

Dass SRF Repond machen liess, macht «Schattenkinder» zu einer ungewohnt sinnlichen Erfahrung, vergleichbar mit der «Polizeiruf 110»-Trilogie von Christian Petzold, der das Verbrechen als Kulisse nutzte, um die emotionalen Abgründe des Ermittlerpaars zu ergründen.

Ob Petzold oder Repond – wenn Autorenfilmer sich traditioneller Fernsehformate annehmen, wird evident, woran es diesen sonst fehlt: Der Zwang, ein möglichst grosses Publikum zu bedienen, lässt zu wenig Platz für Originalität. Dass man dem Fernsehpublikum aber längst mehr als nur Altbekanntes zumuten kann, hat jüngst der Erfolg von «Tschugger» gezeigt.

Weitere Informationen bei NZZ Magazin

Sponsoring