Mit dem Unterleib «ein Vögelchen fliegen lassen»: Wie Frau den Beckenboden nach einer Geburt am besten trainiert

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NZZ Magazin – Deborah Stoffel

Frauen, die nach einer Entbindung zu früh wieder mit Sport einsteigen, riskieren eine Funktionsstörung des Beckenbodens. Doch ein Aufruf zur Passivität ist das nicht. Wie die Rückkehr zum Sport am besten gelingt.

Nach Schwangerschaft und Geburt wieder mit Sport anzufangen, ist für Frauen mehr als die Reaktivierung eines Hobbys. Nach Monaten, in denen die Biologie den Körper dominiert hat, ist es ein Akt der Selbstbestimmung.

Entsprechend ungeduldig warten viele auf den Moment, in dem sie zurück dürfen auf die Laufstrecke, aufs Spielfeld, ins Fitnesscenter.

«Wann kann ich wieder joggen gehen?» Sie höre diese Frage oft, sagt Monika Leitner, Dozentin für Physiotherapie an der Berner Fachhochschule. Das ist nicht unproblematisch. «Die Frauen verstehen nicht, was ihr Körper gerade für einen Marathon gelaufen ist», sagt sie. Wer sich zu früh zu viel zumutet, riskiert eine Funktionsstörung des Beckenbodens.

Leitner beobachtet eine Tendenz in der Gesellschaft, die natürlichen Konsequenzen einer Schwangerschaft auszublenden. Dass sich Prominente auf Instagram wenige Wochen nach einer Geburt mit flachem Bauch im Bikini inszenieren, sei gefährlich, nicht jede Frau habe dieselben physischen Voraussetzungen. Auch Schlagzeilen wie «Spitzensportlerin XY trainiert schon wieder» würden nicht weiterhelfen. «Ich denke dann immer: Hoffentlich liest das niemand», sagt sie.

Frauen werden allein gelassen

Das ist kein Argument dafür, nichts zu machen. Im Gegenteil. Körperliche Aktivität nach einer Geburt ist wichtig, schon ab dem ersten Tag. Aber wann kann man von der Rückbildung zum Sport übergehen? Die Antwort ist – und das ist das Problem – individuell. Breitensportlerinnen hätten nach der Geburt eine Beratung nötig, ist Leitner überzeugt. «Wenn ein Regionalfussballer eine Oberschenkelverletzung hat, bekommt er eine individuelle Rehabilitation mit Sportarzt und Physiotherapeut. Wenn eine Frau eine Beckenbodenverletzung hat, schaut man nicht hin.»

Auch Sportmedizinerin Nora Wieloch von der Universitätsklinik Balgrist sieht ein Beratungsdefizit. Zusätzlich zur Beratung durch eine Hebamme empfiehlt sie deshalb, im Minimum eine Sitzung mit einer Physiotherapeutin in Anspruch zu nehmen, die sich auf den Beckenboden spezialisiert hat. Ein entsprechendes Verzeichnis führt die Vereinigung Pelvisuisse.

Generelle Aussagen dazu, wann eine Rückkehr in den Sport möglich ist, hält Wieloch für unseriös. Es gibt zu viele Variablen. Ob eine Geburt spontan erfolge oder per geplantem Kaiserschnitt, ist dabei weniger wichtig, als man denken würde. Denn die Belastung des Beckenbodens ist schon während der Schwangerschaft enorm. Entscheidender ist die Anzahl der Geburten. Das zeigen Studien zum Auftreten einer Inkontinenz. «Nach zwei oder mehr Schwangerschaften ist der Unterschied gering», sagt Leitner.

Stillende sollten Gelenke schonen

Der Wiedereinstieg hängt natürlich auch von der Sportart ab. Trampolin, Beachvolleyball und andere Disziplinen mit Sprüngen und Schlägen sind lange zu vermeiden. Als ideal für den Anfang nennt Wieloch Schwimmen. Bald könnten auch Kraftausdauerübungen gemacht werden. Wann Joggen oder leichte Ballsportarten wieder möglich sind, ist von drei Faktoren abhängig. Neben dem Beckenboden sind das die Rumpfstabilität, insbesondere die Stabilität der Bauchdecke, und der Zustand der Skelettmuskulatur und der Gelenke.

Zu bedenken ist, dass Stillen den Hormonhaushalt verändert und Sehnen, Bänder und Muskeln weich macht. Mütter, die stillen, sollten einen gut sitzenden Sport-BH tragen und die Gelenke schonen. Zur Kräftigung des Beckenbodens gibt es bewährte Übungen und Hilfsmittel. Ein starker Beckenboden beugt Inkontinenz vor. «Und er hat viele weitere Vorteile», so Leitner, «Lustgefühl, Standhaftigkeit, Selbstbewusstsein – das Training zahlt sich aus.» Auch Wieloch empfiehlt Beckenbodentraining: «Am besten fängt man während der Schwangerschaft damit an.» Das beschleunigt später die Rehabilitation.

Schwierig, auch für Fachleute, ist das Thema Bauchdecke. Viele Frauen fürchten eine Rektusdiastase. Davon spricht man, wenn sich der Abstand zwischen den geraden Bauchmuskeln nach einer Geburt ungenügend zurückbildet, was Betroffene je nach Ausprägung kosmetisch oder auch funktional beeinträchtigt. Wie man darauf reagieren soll, ist unklar. «Wir haben die Studien zum Thema gesammelt. Es gibt eine mässige Evidenz», so Wieloch.

Lange lautete die Empfehlung, die geraden Bauchmuskeln nach der Geburt nicht zu belasten, keine Crunches, also Bauchpressen, zu machen und nur die tiefer liegende Bauchmuskulatur zu trainieren. Leitner verweist auf eine Studie von 2014, die feststellt, dass Übungen für die geraden Bauchmuskeln die Rektusdiastase verringern. «Was bedeutet das für das Training von Frauen mit Rektusdiastase? Wir wissen es noch nicht.» Sie selbst rate nicht mehr gänzlich von Crunches ab, man solle aber die am tiefsten liegende Bauchmuskulatur vorspannen und die Übung auch zur Seite ausführen – und sich professionell begleiten lassen.


Trainingshilfen für den Beckenboden

Kurse: Ein Rückbildungskurs bei einer spezialisierten Physiotherapeutin ist der beste Weg, um sich mit Beckenbodentraining vertraut zu machen. Frauen, die auf eigene Faust trainieren wollen, finden auf Youtube bei Gesundheitsförderung Schweiz eine mit ärztlicher Begleitung erstellte kostenlose Videoreihe. Detaillierte Lehrvideos bietet die Pelvina-App, sie ist mit rund 75 Franken aber teuer. Als Fortsetzung der Rückbildung eignen sich Yoga- und Pilatesklassen – wie vor der Rückkehr in andere Sportarten sollte man sich im Vorfeld professionell beraten lassen.

Vaginalbälle: Ein seit Jahrhunderten eingesetztes Hilfsmittel zum Beckenbodentraining sind Vaginalbälle, für die je nach Typ und Anwendung eine Reihe von Synonymen gebräuchlich sind – wie Geisha Balls, Ben Wa Balls und andere. In der Regel handelt es sich heute um Kunststoffbälle, die eine Metallkugel einschliessen. Gerät diese in Bewegung, erzeugt das Schwingungen, die als angenehm bis stimulierend empfunden werden. Es können eine oder mehrere Kugeln gleichzeitig getragen werden, wobei sich der Trainingseffekt für den Beckenboden daraus ergibt, diese nicht zu verlieren.

Kegeltrainer: State of the Art sind smarte Kegeltrainer – benannt nach der Beckenbodenübung schlechthin, dem vom amerikanischen Gynäkologen Arnold Kegel erfundenen Kegeln. Sie sehen aus wie kleine Dildos, sind per Bluetooth mit dem Handy verbunden und führen einen via App durch das Training, das in der Regel stark «gamifiziert» daherkommt. So steuert man mit seinen Unterleibskontraktionen beispielsweise den Flug eines Vögelchens, spielt «Hau den Lukas» und schaltet neue Levels frei.

Der Artikel von Deborah Stoffel

Bild NZZ-Getty

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