Meinung: Transphobie verdient keine Plattform

Fokus

annabelle – Sandra Huwiler

Ab dem 1. Januar 2022 können Transmenschen ihren Geschlechtseintrag vereinfacht persönlich beim Zivilstandsamt ändern lassen – ein riesiger Schritt für die Trans Community. Ganz anders stellt dies die transphobe Berichterstattung von «20 Minuten» dar, in der vor potenziellen «Tricksereien mit dem Geschlechtseintrag» gewarnt wird.

Bis anhin ist der Weg zur Änderung des Geschlechtseintrags für Transmenschen ein langwieriger und kostspieliger Prozess: Verlangt wird ein schriftliches Gesuch beim Gericht, je nach Kanton eine persönliche Anhörung vor Gericht plus eine Bestätigung der Geschlechtsidentität durch eine Fachperson. Neben dem zeitlichen Aufwand kommt die emotionale Belastung für Betroffene dazu.

Nun wird der Prozess massiv vereinfacht: Ab dem 1. Januar 2022 können Transpersonen ihren Geschlechtseintrag persönlich beim Zivilstandsamt ändern lassen. Einzige Voraussetzung: Das Kennen der eigenen Geschlechtsidentität. Ein wichtiger Schritt, wenn man bedenkt, dass vor einem Jahrzehnt noch eine operative Sterilisation vorausgesetzt wurde für die Änderung des amtlichen Geschlechts. Und ein grosser Schritt Richtung Selbstbestimmung für Transmenschen, der eigentlich gefeiert werden sollte.

Trans sein ist nicht plötzlich easy

Diese Änderung hat eine Signalwirkung: Sichtbarkeit, Unterstützung und nicht zuletzt Anerkennung von Transmenschen. Das bedeutet aber nicht, dass es jetzt plötzlich unglaublich einfach ist, trans zu sein. Und dass Menschen nun spasseshalber ihr amtliches Geschlecht je nach Profitmöglichkeit ändern würden, wie das ein realitätsferner Artikel suggeriert, den «20 Minuten» gestern publizierte.

Geschlechts- und Namensanpassung: Bald kann sich jeder für 75 Franken vom Militärdienst befreien.

Der Artikel stellt die Änderung des Geschlechtseintrags als praktische Möglichkeit dar, um den Militärdienst zu umgehen – oder das Pensionsalter zu senken. Ohne Bewusstsein für die Alltagsrealität von trans Menschen gibt der Artikel transphoben Social Media-Usern und Politikern (unter anderem von der SVP, die im Zusammenhang mit trans Menschen gerne von «Gender-Gaga» spricht) eine Plattform. Das ist schlicht geschmacklos.

Missbrauch ist kein realistisches Szenario

Die Berichterstattung lässt vermuten, dass die Redaktoren sich ihrer Verantwortung nicht bewusst sind im Zusammenhang mit der Berichterstattung über trans Menschen. Dazu äusserte sich auch Alecs Recher vom Transgender Network Switzerland (TGNS) im besagten Artikel – immerhin kommt mit Recher ganz am Ende des Artikels doch noch jemand zu Wort, der die Situation auch tatsächlich professionell und erfahren einordnen kann.

Ein Missbrauch sei kein realistisches Szenario angesichts dessen, was die Änderung des Geschlechtseintrags ganz konkret bedeute: Vom Druck des Coming-out als trans gegenüber Arbeitgebenden, dem sozialen Umfeld, Sozialversicherungen und Ärzt:innen bis hin zum Risiko von Transfeindlichkeit in Form von Diskriminierung und Gewalt.

Medien bilden Meinungen – und Vorurteile

Trans Menschen als potenzielle Betrüger:innen darzustellen, die den einfachen Weg wählen und sich je nach Lust und Laune für das gerade passende Geschlecht entscheiden würden, ist schlicht verantwortungslos.

Die Redaktoren des Artikels ignorieren die Tatsache, dass trans Menschen immer noch erschreckend oft Opfer von Gewalt und Diskriminierung sind. Und die Suizidraten – vor allem bei jungen trans Menschen – zeugen von den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, seine wahre Geschlechtsidentität leben zu können. Da spielen gesellschaftliche Meinungen und Wertungen eine grosse Rolle.

Und da wären wir wieder bei der Verantwortung, die wir Journalist:innen mit unserer Berichterstattung über trans Menschen tragen. Die Medien beeinflussen unsere Wahrnehmung, die Art, wie wir über dieses Thema denken und diskutieren. Diffamierende, transphobe Berichte unbedacht einer Millionen Leser:innen vorzulegen und damit alte, gefährliche Vorurteileüber trans Menschen zu zementieren, ist nicht nur leichtfertiges Clickbaiting. Es grenzt an Hetze.

Der ganze Artikel auf annabelle

Bild: Stocksy

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