
BEEHIVE –
Wir alle wurden von der Pandemie überrumpelt. Zeitgleich erlebte ich meine grösste persönliche Krise. In der zweiten Woche des Lockdowns, also vor genau zwei Jahren, sass ich plötzlich alleine mit meinen drei Kindern da. Der Mann und Vater war soeben ausgezogen. Draussen lauerte eine unbekannte Gefahr, welcher mit drastischen Massnahmen begegnet wurde. Drinnen war mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Meine Lebensillusion war geplatzt, und sowohl meine persönliche als auch die gesellschaftliche Zukunft waren völlig unsicher.
In dieser unglaublich herausfordernden Situation machte ich das Beste, was ich jemals in meinem Leben getan habe: Ich gab auf.
Arbeitsaufträge der Schule, Emails zu Covid-Schutzkonzepten, Dreck im Haus, Menuplanung… alles war auf einmal egal. Ich legte mich ins Bett und wollte nicht gestört werden. Es störte mich auch keiner, da Kontakte verboten und sämtliche Termine abgesagt worden waren.
Ich war zu einem kompletten Stillstand gekommen. Die Welt ging dadurch aber nicht unter. Nichts passierte. Im Äusseren. Dafür in meinem Inneren. Zuerst kam die Angst, dann die Wut und zuletzt die Trauer. Die Erinnerungen kamen. Die Dinge, die ich nicht wahrhaben wollte über mich und mein Leben. Die Selbstlügen. Die Schmerzen. Die ständige Anspannung, die ich als normal erachtet hatte. All das hatte plötzlich Raum und durfte sich nun zeigen. Ich habe die Zeit genutzt – Online Coaching sei Dank –, um mich intensiv mit meinen Lebensthemen auseinanderzusetzen.
Die letzten zwei Jahre haben mit jedem von uns etwas gemacht. Die Ängste, die Verluste, die zerrütteten Beziehungen sind alle noch hier und damit stehen viele wiederum allein da.
Mit Fassungslosigkeit schaute ich als Psychologin auf die Einseitigkeit der Kommunikation und Massnahmen zur Begegnung der Pandemie. Sie betrafen ausnahmslos objektive Faktoren wie Regelungen zu unserem Verhalten, medizinische Testwerte, Fallzahlen und Impfquoten. Das innere Erleben der Menschen und unsere Beziehungen zueinander wurden komplett ausgeblendet. Schlimmer noch, massive negative Konsequenzen wurden stillschweigend in Kauf genommen. Mit der Folge, dass unser psycho-soziales Versorgungssystem aktuell komplett überlastet ist.
Ich fragte mich, was jetzt, da die Massnahmen mehrheitlich aufgehoben sind, im Inneren der Menschen passiert? Die letzten zwei Jahre haben mit jedem von uns etwas gemacht. Die Ängste, die Verluste, die zerrütteten Beziehungen sind alle noch hier und damit stehen viele wiederum allein da.
Der heftige Einschnitt in mein Leben zwang mich dazu, dieses grundlegend zu überdenken. Viele Dinge, die mir weder guttaten noch entsprachen, wurden dadurch ans Licht gebracht. So zum Beispiel meine Arbeit. Unterdessen habe ich mein Berufsleben so umstrukturiert, dass ich vermehrt online arbeite, und statt langen Arbeitstagen plane ich mir nun täglich Zeit für die Familie und Zeit für mich selbst ein. Diese Veränderungen wurden begleitet von einem tiefen Empfinden von Sinn, einer Freude, lebendig zu sein und dem Vertrauen in mich selbst, in andere und in die Welt.
Menschen brauchen Herausforderungen, um daran zu wachsen. Selbstbewältigte Krisen führen dazu, dass sich Selbstwirksamkeit entwickelt und Widerstandskraft aufgebaut wird. Dafür braucht es eine aktive Auseinandersetzung mit dem Erlebten sowie das Finden eines individuellen Sinns darin.
Wenn du dir nur die alte Normalität zurückwünschst, hast du noch nicht aufgegeben.
Meine Pandemiegeschichte ist eine Liebesgeschichte. In den zwei Jahre seit dem Tiefpunkt meines Lebens habe ich gelernt mich selbst zu lieben und so anzunehmen und zu zeigen, wie ich wirklich bin. Weil ich nichts mehr zu verlieren hatte. Und weil ich mich nach der kompletten Resignation mit Menschen vernetzt habe, die davon überzeugt sind, dass unsere Gesellschaft aus dieser Zeit etwas lernen kann und gestärkt herauskommen wird.
Wenn du dir nur die alte Normalität zurückwünschst, hast du noch nicht aufgegeben.
Veränderungen beginnen immer bei dir selbst. Ich wünsche mir, dass auch du die vergangenen zwei Jahre bewusst reflektierst, deine eigene Pandemiegeschichte schreibst und daraus Sinn und Motivation für die Zukunft mitnimmst.
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Bild: UNSPLASH.COM