Mediatorin im Dschungel Madagaskars

Fokus
Horizonte  -Das Schweizer Forschungsmagazin

Sie forscht in den abgelegensten Gebieten der Welt. Manchmal wird sie freundlich empfangen, manchmal erntet sie Misstrauen. Mit Nachhaltigkeitsspezialistin Julie Zähringer auf Expedition.

Immer, wenn das kleine Flugzeug auf der holprigen Piste des Flughafens Maroantsetra zwischen Reisfeldern aufgesetzt hat und sich die Tür öffnet, schwappt ein Schwall feuchtheisser Luft hinein, der T-Shirt und Haare am Körper kleben lässt. Schweissgeruch mischt sich mit Duft von Vanille, Nelken und Pfeffer. Julie Zähringer liebt diesen Mix, der unverwechselbar für Madagaskar steht und den nur wenige kennen.

Bloss einmal pro Woche landet hier ein Flieger, und die einzige Nationalstrasse – vielmehr eine Buschpiste – wird durch schlammige Flüsse unterbrochen. Aber die meisten Dörfer im Norden der Insel sind ohnehin nur zu Fuss erreichbar. Die Expeditionen, welche die Nachhaltigkeitsforscherin seit zwölf Jahren unternimmt, führen sie durch die am wenigsten erschlossenen Gegenden dieser Welt. Meist sind es geschützte Regenwälder, an deren Rändern Menschen leben, die dieses Land seit vielen Jahrzehnten beackern oder abholzen, die Vieh züchten oder Bergbau betreiben – und dabei ins Gemenge globaler Interessen geraten. Ihnen bleibt – auch durch Naturschutzbestimmungen – immer weniger Raum.

Immer an den Rändern der Schutzgebiete

Bevor sie das genauer erklärt, berichtet Zähringer von den abenteuerlichen Bedingungen. Meist werde sie zwar freundlich empfangen, es gebe aber auch ab und zu Misstrauen bei Indigenen, sobald die blonde Frau auftaucht. «In Madagaskar wurde viel Rosenholz illegal abgeholzt und exportiert. Einmal wurden wir verdächtigt, die Polizei ins Dorf zu bringen», erzählt sie. «Wir mussten flüchten. Vielleicht hätte uns der Mob angegriffen.» Ein anderes Mal sei vermutet worden, ihre Gruppe arbeite für die Steuerbehörde. «Niemand mehr wollte mit uns sprechen.»

Dabei können Informationen überlebenswichtig sein: Als die Vanillepreise in astronomische Höhen schnellten, schossen etwa die Villen der Vanillebarone wie Pilze aus dem ­Boden. Mit dem Reichtum schlichen sich Korruption und Diebstahl in die Reihen der Ein­heimischen. Das Gewürz, bald so wertvoll wie Silber, hing auf den Plantagen schliesslich zum Greifen nah.

So verwandelten sich Vanille­wälder in herrlich duftende «Minenfelder»: Ein falscher Tritt, und der Fuss wäre in einer der versteckten Bärenfallen zerfetzt worden. Solche Dinge müsse man zuerst wissen. Allerdings spaziere sie nicht einfach allein in indigene Dörfer, schon nur wegen der Sprache. Neben Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch spreche sie nur wenig haitianisches Kreolisch, Wolof und Malagasy.

Madagaskar sei ein Beispiel dafür, wie sehr das Handeln der Menschen im Regenwald von den globalen Märkten abhängt. Nationalparks zum Schutz vor Landnutzung? Klar, aber das reiche nicht aus, da die Menschen hier ums Überleben kämpften. Zähringers Ziel ist es, besser zu verstehen, wie sich Tropenwälder wirklich schützen liessen. «Artenschwund und Klimawandel führen zu solchen Bemühungen. Damit diese funktionieren, muss auch die Bevölkerung vor Ort davon profitieren.»

So kann es ein guter Ansatz sein, Parks von Indigenen selbst leiten zu lassen – mit finanzieller Unterstützung. Manchen Bauern in Madagaskar un­terstützt Zähringer auch dabei, Bienenstöcke zu bauen, um das wenige Land, das neben dem Naturschutzgebiet noch übrigbleibt, besser zu nutzen. «Statt Flyer zu verteilen, bringen wir sie zu erfahrenen Imkern.»

Um die besten Lösungen zu finden, sprechen Zähringer und ihr Team mit den Dorfältesten und den Familien. Was wollen sie von der Zukunft? Gleichzeitig wertet das Team Satel­liten­bilder und Kartenmaterial aus, ­errechnet Szenarien und entwirft mögliche ­Lösungen für Umweltprobleme. Sie sagt: «Wir er­forschen die letzten grossen bestehenden Tropenwälder dieser Welt. Sie sind extrem ­bedroht. Es ist kompliziert.»

Nationalparks reichen nicht

Wie kompliziert, lernte Zähringer selbst erst nach und nach: Im Gymnasium will sie zunächst Schwertwale retten. Im Biologiestudium fasziniert sie dann der Dschungel mit den ­wilden Tieren. In der Freizeit tanzt sie zu afrikanischer Musik. Sie organisiert einen Volontäreinsatz in Ghana. «Ich hatte die romantische Vorstellung, dass ich in den Nationalpark komme, wo in den Dörfern überall Musik zu hören ist, während ich den Ärmsten helfe, ihre Wildtiere zu retten. War ich naiv!», erinnert sie sich.

Zähringer darf als Volontärin bei der Familie des Parkmanagers einziehen. Während sie tagsüber im Park mit anpackt, merkt sie, dass der Direktor auch nachts keine Ruhe hat: «Ständig standen Menschen vor dem Haus, die sich über den Park beschwerten: Mal frassen die Elefanten den Bauern quasi die Haare vom Kopf, mal gingen Affen auf ihre Kinder los», erzählt sie. «Mir wurde bewusst: Wer die Natur schützen will, muss den Menschen mitdenken. So etwas lernten wir nicht im Bio­logiestudium.» Heute kombiniert sie darum verschiedene Fachrichtungen: Sie hat einen Bachelor in Biologie, einen Master in Umweltnaturwissenschaften, einen Doktortitel in Geografie und nachhaltiger Entwicklung.

Gerade jetzt sitzt die Forscherin in einem Café in Kenia. Hier wird sie zusammen mit der Wyss Academy for Nature vier Monate lang Ideen entwickeln. Ein Beispiel: Da sich durch den Klimawandel Regenphasen verschieben und es zu längeren Dürreperioden kommt, finden Viehhirten immer weniger Futter für ihre Tiere.

Zähringer und ihr Team errechnen: Wie könnte man mehr Futter erwirtschaften? Wie mehr Biodiversität erreichen? Die Szenarien werden dann mit der Bevölkerung diskutiert. «Uns geht es nicht darum, Resultate in Fachmagazinen zu publizieren oder den Menschen etwas aufzudrücken», betont sie. «Wir ver­suchen den Betroffenen Entscheidungshilfen zu liefern, die sie nutzen können.» Das sei ein relativ neuer Ansatz. «Wir sind dabei, die Rolle der Forschung neu zu definieren.»

Auf die einheimischen Forschenden setzen

Hoffnung würden ihr aber vor allem die einheimischen Forschenden geben, die vielleicht einmal in die Politik gingen. So organisierte Zähringer etwa den Austausch Madagaskar –Laos, ein vom SNF gefördertes Projekt. «Ich habe noch nie so stark bedrohten Wald wie in Südostasien gesehen.» Um den Fleischhunger in China und Vietnam zu stillen, würden Wälder zu Weideflächen.

«Und wo der Regenwald noch steht, ist er leise ­geworden: Vögel, Säugetiere und Reptilien wurden illegal weggejagt oder für Medizinalprodukte verkauft.» Die einheimischen Forschenden sahen auf ihrer Reise mit eigenen Augen: Wenn es in Madagaskar so weitergeht, sieht die Landschaft dort bald aus wie die im Norden von Laos.

Zähringer spricht schnell, müde werde sie sicher nicht! Den Nationalpark Masoala im Nordosten von Madagaskar habe kaum jemand je besucht. Die Menschen in der Schweiz kennen die Landschaft höchstens aus der gleichnamigen Halle des Zürcher Zoos. Dabei sei dieser Wald für die gesamte Menschheit von unschätzbarem Wert: als Oase der Artenvielfalt, als Schatzkammer vieler Heilkräuter, als grosser Kohlenstoffspeicher. «Solange ich arbeite», sagt sie, «gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir Menschen unseren Platz in der Natur doch noch finden.»

Ein Artikel von Katharina Rilling

Foto Kang-Chun Cheng

Zur Verfügung gestellt von Horizonte dem Schweizer Forschungsmagazin

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