Löst das unser Energieproblem? US-Forschende vermelden Durchbruch bei Kernfusion

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Aargauer Zeitung – Stephanie Schnydrig

In einem Forschungslabor bei San Francisco ist es Physikern erstmals gelungen, mehr Energie bei der Kernfusion zu gewinnen, als sie zuvor aufwenden mussten. In dieser Technologie ruht die Hoffnung einer sicheren, sauberen und nahezu unerschöpflichen Energiequelle.


Es ist ein uralter Witz unter Physikerinnen und Physikern: Die Fusionsenergie sei nur noch 30 Jahre entfernt, und werde es immer sein. Denn die Entwicklung der ersten Fusionsreaktoren reicht zurück in die 1950er-Jahre. Aber trotz immenser Fortschritte gelang es bislang nie, mit Kernfusion unter dem Strich Energie zu gewinnen.

Nun aber bestätigt die US-Energieministerin Jennifer Granholm anlässlich einer Pressekonferenz den zuvor angekündigten «grossen wissenschaftlichen Durchbruch». Den Forschenden der National Ignition Facility (NIF) des staatlichen Lawrence Livermore National Laboratory bei San Francisco gelang es demnach, mehr Fusionsenergie zu ernten als sie zuvor in die Zündung gesteckt hatten. Granholm sprach «von einer der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts».

Für die Wissenschaft der Kernfusion sei das Experiment tatsächlich eine sehr gute Nachricht, sagt Yves Martin, Stellvertretender Direktor des Swiss Plasma Center an der ETH Lausanne (EPFL): «Die Ergebnisse belegen, dass die Kernfusion funktioniert und wirklich eine gute Energiequelle für die Zukunft ist.» Wie viele andere Experten betont er allerdings, dass der Weg noch lang sei bis zu einem kommerziellen Fusionsreaktor. Denn noch reicht die Energieausbeute bei weitem nicht aus, damit sich die Technologie lohnen würde.

 

Ein Gramm Wasserstoff statt elf Tonnen Kohle

 

Als Vorbild von Fusionsreaktoren dient die Sonne. In deren Kern herrschen bis zu 15 Millionen Grad und ein Druck, der 200 Milliarden Mal stärker ist als der Luftdruck auf der Erde. In diesen extremen Bedingungen verschmelzen im Inneren des Sterns jede Sekunde 600 Millionen Tonnen Wasserstoff zu Helium, was immense Energien freisetzt. Gelänge es, das Prinzip auf der Erde zu verwirklichen, liesse sich aus einem Gramm Wasserstoff ohne klimaschädliche Emissionen genauso viel Verbrennungswärme erzeugen wie aus elf Tonnen Kohle.

Forschende haben verschiedene Konzepte ausgetüftelt, um die Sonne in irdische Kraftwerke zu holen. Am NIF nutzen die Physiker Laserstrahlen, die sie auf eine kleine, mit Atomen gefüllte Kapsel richten. Die Laser treffen von allen Seiten auf die Kapsel und komprimieren sie so stark, dass darin die schweren Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium miteinander zu Helium verschmelzen. Das Problem sei, sagt der EPFL-Physiker Martin, dass der Laser noch viel zu viel Energie verschlinge, um ein Kraftwerk sinnvoll betreiben zu können. Das ist denn auch der Haken an der US-Erfolgsmeldung.

Der Fusionsreaktor mit dem Namen Iter, der derzeit in Südfrankreich als «Proof of Concept»-Anlage gebaut wird, verfolgt eine andere Methode. In ihm wird ultraheisser Brennstoff mit Hilfe von Magnetfeldern eingeschlossen, sodass die Atomkerne zusammenschlagen und fusionieren. Martin und das Team vom Swiss Plasma Center sind ebenfalls an Iter beteiligt, wenn auch nur noch indirekt wegen des gescheiterten Rahmenabkommens mit der EU. Die Lausanner Forschenden ergründen, wie sich der Brennstoff im Fusionsreaktor am besten erhitzen und einschliessen lässt.

 

Keine Endlagerung von radioaktivem Müll nötig

Während sich bei der Kernfusion zwei Atome vereinen, werden in heutigen AKWs die Atome gespalten. Die dadurch entstandenen Produkte sind radioaktiv und zerfallen weiter, sodass eine Kettenreaktion entsteht. Während diese in einer Atombombe explosionsartig abläuft, geschieht der Zerfall in Atomkraftwerken kontrolliert – wenn nicht, drohen Nuklearunfälle. Solche Katastrophen können bei Fusionskraftwerken nicht passieren. Auch entsteht bei der Kernfusion viel weniger langlebiger radioaktiver Müll. Eine Endlagerung ist im Prinzip nicht nötig.

Das schlagende Argument für Fusionskraftwerke ist, dass sie die Grundlast decken könnten – ähnlich wie heute Atomkraftwerke. Ob bis Mitte des Jahrhunderts allerdings genügend kommerzielle Fusionskraftwerke gebaut werden können, um die Klimaziele zu erreichen, ist allerdings umstritten. Yves Martin verweist darauf, dass Europa eine Roadmap erarbeitet habe, wonach der erste Fusionsreaktor im Jahr 2050 Energie liefern solle.

Der Artikel von Stephanie Schnydrig

Bild AZ: Bild: Damien Jemison/AP

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