Krank durch zu viel Licht

Fokus

NZZ Magazin – Felicitas Witte

Die nächtliche Landschaft wird immer heller. Was für Auswirkungen die «Lichtverschmutzung» auf unsere Gesundheit hat und wie wir uns davor schützen können.

Zahlreiche Ortschaften und Städte haben beschlossen, freiwillig an der Beleuchtung zu sparen. So strahlen beispielsweise Zürich und Luzern die Fassaden öffentlicher Gebäude nicht mehr an, und die Stadt Uster schaltet die Beleuchtung an Kantons- und Gemeindestrassen nachts aus.

Während auf der einen Seite Beschwerden aufkommen, die nächtliche Atmosphäre werde gestört oder man könne nicht genügend sehen, freut es Kritiker, die schon seit Jahren vor zu viel künstlichem Licht in der Nacht warnen. Denn diese «Lichtverschmutzung» schade Pflanzen, Tieren und Menschen.

«Keiner braucht Angst zu haben, allein durch zu viel Licht in der Nacht krank zu werden», sagt Christian Cajochen, Leiter der Abteilung Chronobiologie in den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. «Aber wir sollten uns klarmachen, dass Licht neben den visuellen Effekten noch diverse andere hat, die uns und unserer Umwelt nicht guttun.»

Pflanzen blühen früher

So blühen manche Pflanzen früher im Jahr, und sie begeben sich später in die Winterruhe, Insekten werden vom künstlichen Licht angezogen und leichter von Fledermäusen oder Spinnen gefressen. Die Fortpflanzung von Nachtfaltern wird gestört, Zugvögel werden von ihren Routen abgelenkt und prallen an Gebäude oder Mobilfunkmasten. Studien mit Menschen zeigen zudem einen Zusammenhang zwischen künstlichem Licht und gewissen Krankheiten wie Brustkrebs, Prostatakrebs oder starkem Übergewicht.

Dass aber das Licht ursächlich dafür verantwortlich ist, ist nicht belegt. So geht aus den Studien nicht hervor, ob die Personen, die öfter an Krebs erkrankt waren, auch wirklich mehr Licht ausgesetzt waren. Abgesehen davon haben sie womöglich geraucht, sich zu wenig bewegt und zu viel Alkohol getrunken – all das erhöht das Krebsrisiko, und es ist nicht klar, ob und wie viel das Licht zusätzlich dazu beigetragen hat.

Auch könnte es sein, dass die von Krebs oder Übergewicht betroffenen Personen zufällig häufiger an Orten wohnten, wo nachts mehr künstliches Licht ist. Und schliesslich ist nicht auszuschliessen, dass die Lichtmessungen in den Studien ungenau waren.

Für Dieter Kunz, Chefarzt der Klinik für Schlaf- & Chronomedizin im Alexianer-St.-Hedwig-Krankenhaus Berlin, sind die bisherigen Erkenntnisse aber erdrückend. «Nur weil der letzte Stein in der Beweiskette fehlt, sollten wir nicht tatenlos zusehen.» Mit der Beweiskette meint er die Hypothese, dass das künstliche Licht die inneren Uhren durcheinanderbringt, was dann das Risiko für Krankheiten erhöht.

Die oberste innere Uhr im Gehirn dirigiert ein «Orchester» aus vielen einzelnen inneren Uhren in unserem Körper. An diese Uhren sind elementare physiologische Prozesse gekoppelt, etwa Temperatur, Stoffwechsel, Herz-Kreislauf-System und die Ausschüttung von Hormonen. Werde nun dieses harmonische Spiel durch zu viel künstliches Licht in der Nacht gestört, so Kunz, erhöhe sich das Risiko für Krankheiten. Dieser direkte Effekt von Licht ist aber bisher nicht bewiesen. Was aber inzwischen als gesichert gilt: Zu viel künstliches Licht von aussen kann indirekt der Gesundheit schaden.

Die oberste innere Uhr im Gehirn dirigiert ein «Orchester» aus vielen einzelnen inneren Uhren in unserem Körper.

Fällt abends und nachts Licht in unser Heim, wird unser Schlaf-Wach-Zyklus gestört. Wir schlafen kürzer und schlechter, was das Risiko für Depressionen, Diabetes, Übergewicht und Herz-Kreislauf-Probleme steigert. Schlafprobleme kann man natürlich auch dann bekommen, wenn man sich ständig über die zu helle Strassenlaterne vor der Tür aufregt. «Machen Sie Ihr Schlafzimmer dunkel, und sorgen Sie für möglichst viel natürliches Licht tagsüber», rät Chronobiologe Kunz. Studien weisen nämlich darauf hin, dass der Körper empfindlicher auf nächtliches Kunstlicht reagiert, wenn er tagsüber keinem natürlichen Licht ausgesetzt ist.

Wer sein Zimmer nicht abdunkeln möchte, kann zumindest sein Bett weiter weg vom Fenster stellen. «Und vor allem nicht noch abends vor dem Einschlafen in blaue oder kaltweisse Handys und Computer schauen», sagt Kunz. Denn diese künstlichen Lichtquellen sind viel näher vor dem Auge als die Strassenlaterne vor dem Fenster.

Es bringe nichts, sagt auch Chronobiologe Cajochen, sich über die Lichtverschmutzung zu ärgern und andere Risikofaktoren ausser acht zu lassen. «Wenn man raucht wie ein Schlot, keinen Sport macht und sich nicht bewegt, darf man sich nicht wundern, wenn man krank wird», sagt er, «egal, ob man nachts zu viel künstlichem Licht ausgesetzt ist oder nicht.»

Lichter mit Bewegungsmeldern

Abgesehen davon schadet es nichts, jegliche Aussenbeleuchtung kritisch zu hinterfragen. «So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig», sagt Andreas Quednau vom Architekturbüro SMAQ in Berlin, das sich für nachhaltigere Architektur einsetzt. Das bedeutet beispielsweise weniger Licht auf eine Garageneinfahrt oder eine Fussgängerzone, wenn diese hell gepflastert sind, ein schwächeres Strassenlicht auf dem Dorf als in der Stadt oder Lichter mit Bewegungsmeldern.

Bisher gibt es keine Belege, dass weniger Licht zu mehr Straftaten oder zu mehr Verkehrsunfällen führt. Hendrik Scholl, Direktor der Augenklinik im Universitätsspital Basel, warnt aber vor übertriebenen Massnahmen aus Angst vor Lichtverschmutzung oder aus «Energiesparwahn». «Gerade für ältere Menschen kann zu wenig Licht fatal sein», sagt er. «Stürze und Verletzungen sind dann quasi vorprogrammiert.» Schlecht sehen im Dunkeln können nicht nur Senioren mit altersabhängiger Makuladegeneration, sondern auch jüngere Menschen, etwa die mit erblicher Netzhauterkrankung oder mit starker Kurzsichtigkeit.

Der Artikel von Felicitas Witte

Bild:

Nächtliches Lichtermeer: Aufnahmen des Suomi-NPP-Satelliten im Jahre 2012.

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