Ist das Kunst oder kann das weg?

Fokus

The Silver Magazin – Dörte Welti – Wenn es nach dem Willen der Automobilkonzerne geht, werden alle Autos mit Verbrennermotor über kurz oder lang in die Tonne getreten. Das Foto versinnbildlicht das: Irgendein VW-Golf steckt Schnauze voran in einem überdimensionalen Papierkorb, davor ein shiny new Volvo fully electric.

Tschüss Verbrenner, hallo Elektroauto. «Schlamassel» nennt der Künstler Ottmar Hörl sein Werk (also nur der Golf im Korb), das er anlässlich der Bad RagARTz 2021 im Park vor dem ehrwürdigen Grand Resort Bad Ragaz platzieren durfte. Recht hat er.


Die Automobilindustrie manövriert sich in einen Riesenschlamassel, dafür gibt es gar keinen Papierkorb, der gross genug wäre. Gefühlt wöchentlich werden neue Elektroautos von so ziemlich jedem Hersteller auf den Markt geworfen. Die meisten Automobilkonzerne wollen bis 2025 einen Teil oder ihre gesamte Flotte nur noch elektrisch anbieten, ab 2035 sollen gar keine Autos mehr mit Verbrennermotor verkauft werden, einige Staaten und Länder kündigen sogar ihrerseits Verkaufs- oder Fahrverbote für Dieselfahrzeuge und Benziner an. Energiewende nennt man das. Man wendet die Energie, die man vorher dafür vewendet hat, möglichst viele hochprozentige Autos zu verkaufen, weil das Arbeitsplätze und Steuern bringt, jetzt dafür auf, die elektrischen Autos zu pushen (das muss man im Ernstfall übrigens oft, wenn man die Ladestationen verpasst, sie besetzt oder kaputt sind und man sozusagen leer läuft…).

 

Ich bin ja keine Fachfrau. Der Verband freier Autohandel Schweiz VFAS veröffentlichte gerade ihre Jahresstatistik. Demnach wurden in der Schweiz (einem Land mit rund 8,7 Millionen Menschen) 2020 stattliche 234’311 Autos neu zugelassen. Rund ein Viertel davon sind bereits Elektrofahrzeuge, wenn man die Hybridautos dazunimmt, sind es sogar 55 Prozent, also roughly jedes zweite neu zugelassene Auto. Das Bundesamt für Statistik meldet, dass 2021 6,3 Millionen Strassenfahrzeuge im eidgenössischen Land immatrikuliert waren, davon 4,7 Millionen Personenwagen. Also mehr als jeder zweite Schweizer, rechnet man alle, hat ein Auto. Hat mal jemand prognostiziert, wieviel Strom wir brauchen, wenn alle Fahrzeuge gegen Elektroautos ausgetauscht worden sind? Ich kann das nicht, aber danke für jeden Hinweis. Für das Laden von 1 Million E-Autos durchschnittlicher Reichweite braucht es die volle Leistung von fünf Atomkraftwerken, hat mir neulich ein Elektroingenieur einer grossen Stromfirma vorgerechnet. Das nur mal so.

 

Wenn wir davon ausgehen, dass alle – wie es mir eine Managerin einer deutschen Automarke in einem Interview kürzlich bekräftigte – das Recht auf individuelles Fahren behalten sollen und das Auto als Ausdruck persönlicher Freiheit verstanden werden soll, dann würden also in gut 15 Jahren, wo ja alle elektrisch rollen sollen, 4,5 Milliarden Elektroautos auf dem Markt sein (die UN geht von einer Weltbevölkerung von 9 Milliarden Menschen in 2035 aus). Und klar, es gibt ärmere und reichere Länder, nicht überall können sich die Menschen ein Auto leisten, aber das wird ausgeglichen mit denen, die zwei, drei oder mehr Autos haben, ich mache hier ja auch nur eine bunte Zahlenakrobatik. Wir brauchen dafür wieviel Atomkraftwerke? Windräder? Sonnenkollektoren? Oder doch wieder Kohlekraftwerke? Ach nein, in der Schweiz ist ja Wasser der grösste Energiespeicher. Aber nein, das klappt auch nicht, Wasser wird knapp und knapper als freies Gut, ist also irgendwann auch nicht mehr für jeden einfach so zugänglich, und ob man dann seine Speicherkraft für so etwas Banales wie E-Autos aufladen nutzen will?

 

Alles nicht so schlimm, tatsächlich spricht man aktuell von «nur» 1,37 Milliarden Autos weltweit, wenn man einem live-counter und verschiedenen Statistiken Glauben schenken darf. Wie viele es auch immer sind: Die Autos, die jetzt rollen, mit Stinkezeugs wie Benzin und Diesel, müssen dann ja so oder so abgeschafft und entsorgt werden, weil anscheinend hat es noch niemand geschafft, an eine Art Umrüsten zu denken. Nachhaltig denken und nicht wegwerfen, sondern solange wie möglich behalten kann man die Dreckschleudern auch nicht, weil es ja keine Ersatzteile mehr geben wird, wenn alle Autohersteller komplett die Produktion umstellen auf lauter neue E-Autos. Porsche tüftelt immerhin seit geraumer Zeit an einem synthetischen Kraftstoff, mit dem sie auch sicher stellen wollen, dass vor allem ihre Classic Cars weiter laufen könnten, man soll nur die Zündkerzen auswechseln müssen und juhudihei emissionsfrei fahren – wieso geht das nicht auch für alle anderen PKWs? Ach ja, Lobby und die riesigen Plants, die Batterien produzieren, Politik und so, schon klar…

 

1,37 Milliarden Kraftfahrzeuge, die entsorgt werden müssen, früher oder später. Einen so grossen Mülleimer kann auch Ottmar Hörl nicht bauen. Ich weiss, die werden nicht alle auf einmal verschrottet. Aber schon jetzt füllen unsere Rostlauben Müllhalden in Drittweltländern, werden Reifen auf merkwürdigen Wegen in Richtung Ostblockstaaten entsorgt (Warum? Riesengeschäft. Weil alle Welt recycelt, brennen die Müllhalden in den Müllverbrennungsanlagen nicht nur in der Schweiz nicht mehr so gut. Altreifen irgendwohin zu karren, wo es – noch – niemanden interessiert, was aus den Schornsteinen schlotet, und dafür Geld zu kassieren, ist ein mega Business…) und es gibt Länder, da häufen sich die abgestellten Blechbüchsen zum Verrotten nur so an den Strassenrändern, weil man dort keine Sensibilität für die Umwelt hat.

 

Ja, ich fahre gerne Auto. Sehr gerne. Am liebsten ganz lange dasselbe Modell, bis es auseinanderfällt (leider immer zu früh/schnell, mein Volvo hat endgültig den Geist aufgegeben nach nur bummeligen 285 Tsd Kilometern, das ist doch kein Alter für einen Volvo! Aller guten Dinge sind drei, ich hab mir ein neues Occasionsmodell zugelegt, dazu an anderer Stelle mehr…). Und auch ich will die Freiheit haben, mich ins Auto zu setzen, wann ich will, hinfahren wohin ich will, mit wem und mit was ich will. Das hat man mir so beigebracht, das Auto ist mir als Symbol des Aufstiegs seit 40 Jahren geläufig, ich werde Mühe haben, umzudenken. Ich wünsche mir vor allem schlaue Mobilitätskonzepte, ich frage mich, wieso nicht Städte und Gemeinden umdenken und die jungen Generationen, die ja gar nicht mehr alle ein eigenes Auto fahren wollen, in die Verkehrsplanung einbeziehen.

 

Aber egal wohin die Reise geht und das Thema Auto fährt: Im Moment rasen alle wie die Lemminge auf der Elektroschiene, das kann nicht die Lösung sein. Eine spannende Sache ist es trotzdem, wie denken Sie darüber? Irgendjemand mit guten Ideen? Her damit, es wird Zeit.

 

Das Auto vor dem «Schlamassel» ist übrigens ein Volvo (nein, nicht meiner), ein XC 40 Recharge, fully electric. Ich hatte ihn als Testwagen und fuhr damit zu einem Anlass letzten Juni im Grand Resort Bad Ragaz, wo ich dann den VW-Golf im Papierkorb entdeckte. Bevor ich nach Bad Ragaz fuhr, fragte ich nach beim Hotel, ob man denn Ladestationen hätte. Der junge Mann in der Telefonzentrale war sich nicht sicher, im Grand Resort Bad Ragaz laden Menschen ihre Batterien auf, aber Autos? In der Tiefgarage der Therme vermutete der Mann welche, Recht hatte er, aber die waren erst besetzt, vorbuchen ging nicht, man musste immer wieder schauen gehen, ob die anderen E-Auto-Fahrer so nett waren und beizeiten den Platz räumten. Probleme, die uns noch lange begleiten werden.

 

Der Volvo XC Recharge ist mir zum ersten Mal in Mailand vorgestellt worden, vor ungefähr zwei Jahren. Damals wurde mir der Eindruck vermittelt, dass zumindest diese Automarke komplexer denkt. Björn Anwall, heute CFO Volvo, damals Leader Volvo Cars und zuständig für ganz viel mit Marketing, Sales, Strategie und alles was Commercial beinhaltet, erklärte damals mit McKinsey-geschulten Worten (sein Arbeitgeber davor), dass man sehr wohl multiple Mobilitätslösungen bei Volvo entwirft. Eine sei der Mobility Brand M, eine Car Sharing Lösung, wo einem ein Volvo dann zur Verfügung steht, wenn man ihn braucht, das spielt aber vorerst nur in Schweden, den ehrgeizigen Plan, 2019 M auch in den USA anzubieten, vereitelte die grasierende Pandemie. Anwall erklärte weiter, man würde eng mit Städten zusammenarbeiten und sich Gedanken machen über die Flächen, die parkende Autos brauchen. Ein wichtiger Punkt, weil die meisten Autos die meiste Zeit still stehen. Auch im ÖV denke man nach, immerhin gibt es ja auch elektrische Volvo Busse. Aber eben. Auch alles elektrisch und von den ehrgeizigen Projekten ist im Moment nicht viel zu hören.

 

Na klar haben wir gerade ganz andere Probleme. Und die Autoflut ist auch etwas eingebremst, weil es nicht genügend Chips auf dem Markt hat, die man in Autos verbauen kann, sie werden alle in die Compis eingesetzt, die Hochkonjunktur haben, weil Homeoffice angesagt ist, ergo harzt es bei der Autoauslieferung. Wäre das nicht auch grad ein guter Moment zu sagen «halt, stop, wir müssen nachdenken, ob wir auf dem richtigen Weg sind»? Wenn sich Homeoffice etabliert und weniger Menschen pendeln respektive zum Arbeitsort fahren wollen, wie sieht dann das perfekte Konzept für individuelles Fahren aus?

 

Wir werden das Thema heute und hier nicht erschöpfend lösen, Sie merken, ich dreh mich im Kreis, das mit den Autos und den Menschen, die sie fahren, ist wie mit der Henne und dem Ei. Ottmar Hörl hat nicht wirklich gewusst, wie aktuell sein Kunstobjekt «Schlamassel» ist oder werden würde, nehme ich an. Das kann ein Künstler nur hoffen, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein und Aufmerksamkeit zu bekommen. Einen Denkanstoss hat er zumindest mir gegeben und einen Input für diesen Text. Und jetzt Sie.

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