«Ich wollte, dass der Druck aufhört» – deshalb brechen Jugendliche ihre Lehre ab

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20 Minuten – Anna Ehrensberger

11’810 Lehrlinge, die 2017 ihre Ausbildungen begonnen hatten, lösten ihre Verträge auf. Vier Abbrecherinnen und Abbrecher erzählen, was sie zu diesem Entscheid bewogen hat.

Noch nie zuvor haben so viele Jugendliche ihre Lehre abgebrochen: 22,4 Prozent aller Lehrlinge, die ihre Ausbildungen 2017 begannen, haben im Verlauf der Lehre ihre Verträge aufgelöst – das sind so viele wie nie zuvor.

Vier Lehrabbrecherinnen und Lehrabbrecher berichten, weshalb sie Ihre Ausbildung nicht abgeschlossen haben, und was sich für ein besseres Arbeitsklima im Lehrbetrieb ändern sollte.

 

«Der Druck, sich für eine Lehre zu entscheiden, ist einfach zu hoch»

 

Jannik (18) hat seine Lehre nach nur drei Monaten abgebrochen: «Im Sommer 2020 habe ich meine Lehre als Landschaftsgärtner begonnen.» Entschieden habe er sich dafür, weil er einfach eine Stelle haben wollte. Die Lehrpersonen in der Schule hätten auf die Schülerinnen und Schüler so viel Druck ausgeübt, dass er das erstbeste Stellenangebot genommen habe. «Ich wollte einfach, dass der ganze Druck aufhört.» Für seinen Entscheid habe er von der Schule wenig Unterstützung erhalten. «In der Probezeit habe ich dann gemerkt, dass mir der Beruf überhaupt nicht zusagt», sagt der 18-Jährige. «Nach der Probezeit habe ich dann meinen Arbeitsvertrag aufgelöst.»

Auch Allyson (19) kennt diesen Druck. «Unser Lehrer hat damals jeder Schülerin und jedem Schüler bei Erhalt einer Lehrstelle einen Gutschein gegeben. Wir haben also alle so schnell wie möglich versucht, irgendeine Lehrstelle zu bekommen, um belohnt zu werden.» Habe man noch keine Lehrstelle gehabt, habe man das Gefühl bekommen, schlecht zu sein.

 

«Junge Leute wollen ernst genommen und fair behandelt werden»

 

Nach nur einem Jahr brach Lorena (20) aus Zürich ihre KV-Lehre bei einem Zürcher Grossunternehmen im Juli 2018 ab. «Ich musste mir während meiner Zeit in der Lehre viele herablassende Sprüche anhören. Oftmals sei sie nur auf ihr Äusseres reduziert worden. «Nur weil ich mich gerne schminke und lange Nägel trage, musste ich mir öfters anhören, dass ich mich nur um mein Äusseres kümmern würde und meinen Job so nicht richtig erledigen könne. Dazu hat mir das Arbeitsklima überhaupt nicht zugesagt.»

Bei ihren Eltern sei der Entscheid gar nicht gut angekommen, erzählt die heute 20-Jährige. Auch ein Arbeitszeugnis habe sie keines für das absolvierte Jahr bekommen. «Ich hatte Mühe, etwas Neues zu finden.» Als Anschlusslösung entschied sich Lorena für eine private KV-Schule. «Im letzten Jahr der Ausbildung muss man ein Praktikum absolvieren, das tue ich gerade, doch auch hier wurde uns wieder sehr viel Druck gemacht.» Die Anzahl an Bewerbungen, welche die Schülerinnen und Schüler verschickten, seien kontrolliert worden. In der Berufswelt wünscht sich Lorena mehr Wertschätzung gegenüber Lehrlingen und Praktikanten. «Junge Leute wollen ernst genommen und fair behandelt werden, dann arbeiten sie auch gerne für die Firma.» Natürlich spiele auch der Praktikums- und Lehrlingslohn eine wichtige Rolle.

 

«Wegen der Umstände im Geschäft ist es mir immer schlechter gegangen»

 

«Wutausbrüche und verbale Gewalt», das musste K.E. (22) aus Bern während seiner Lehre als Produktionsmechaniker EFZ über sich ergehen lassen. Das Verhältnis zu seinem Lehrmeister sei von Beginn an sehr schlecht gewesen und habe sich im Laufe der Zeit nicht verbessert. Der Lehrmeister sei oftmals wegen Kleinigkeiten ausgerastet. Abfedern musste dies K.E. «Er hat mich oft beschimpft und bei kleinen Fehlern komplett überreagiert.» Nach einem halben Jahr musste er die Lehre abbrechen, nicht weil ihm der Beruf nicht gefallen hat, sondern weil es K.E. psychisch, aufgrund der Umstände im Geschäft immer schlechter ging. «Ursprünglich habe ich mich für die Lehre zum Produktionsmechaniker entschieden, weil der Beruf des Mechanikers mich fasziniert hat.» Auch während des halben Jahres in der Ausbildung habe ihm die Arbeit Spass gemacht.

Aus Verzweiflung über das fehlende Einkommen begann der 22-Jährige eine neue Lehre zum Haustechnikpraktiker. «Da hat es mir wesentlich besser gefallen, doch auch im neuen Betrieb musste ich mir anhören, dass bei mir in meiner Grundausbildung etwas schiefgelaufen sei.» Die zweijährige Ausbildung schloss K.E. 2020 aber ab. Ganz gut gehe es ihm aber immer noch nicht: «Aufgrund meiner Erlebnisse bin ich derzeit in psychologischer Behandlung.»

Der Artikel von Anna Ehrensberger

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