Tagesanzeiger/Mamablog – Nathalie Sassine-Hauptmann
In ihrem neuen Roman thematisiert Milena Moser Entscheidungen, die unser Leben beeinflussen. Wir haben mit der Autorin über Zufälle und ihre Rolle als schreibende Mutter gesprochen.
Milena, du bist im Moment auf Lesereise in der Schweiz mit deinem neuen Roman «Mehr als ein Leben». Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit wieder hier zu sein und deine Kinder zu sehen?
Wunderbar, es hat wieder viel zu lange gedauert, was zum Teil auf die Pandemie und zum Teil auf Probleme mit den Behörden zurückzuführen war. Umso mehr geniessen wir es jetzt.
Du bist auf Social Media sehr aktiv. Deine Posts wirken sehr authentisch. Sind sie es auch oder lebst du da dein «anderes Leben»?
Es ist definitiv kein anderes Leben, das ich auf Social Media zeige – es ist einfach nicht mein ganzes Leben. Was ich poste, ist absolut direkt und ehrlich. Es gibt aber durchaus Dinge, die ich nicht teile.
In deinem neuen Roman erzählst du davon, wie eine Entscheidung unser Leben vollkommen beeinflussen kann. Je nachdem, wie die Protagonistin Helen sich entscheidet, lebt sie Elaines oder Lunas Leben. Hast du dir für dich schon einmal ein anderes, ein zweites Leben vorgestellt?
Ich bin da gar nicht so sicher. Die beiden Lebensversionen im Buch überschneiden sich durchaus. Die Frage, wie weit wir den Verlauf unseres Lebens beeinflussen können und wie viel auch einfach Schicksal ist, vorbestimmt ist, interessiert mich sehr. Eine schlüssige Antwort habe ich aber nicht. In meinem Leben gibt es Hunderte solcher Momente, kleine Entscheidungen, deren Folgen ich gar nicht absehen konnte. Ich stelle mir die alternativen Lebensvarianten gern vor, wie Filme, die vor meinem inneren Auge ablaufen. Aber eher aus Neugier, nicht im Sinn von «Oh, hätte ich doch …»
Was wäre so ein Moment gewesen, als dein Leben eine andere Wendung hätte nehmen können?
Wie gesagt, da gibt es viele: Wenn ich mit 15 nicht das Gymi geschmissen hätte, wenn ich mit 21 in Paris geblieben wäre, wenn ich schon mit 25 mit Mutter und Baby für ein halbes Jahr nach San Francisco gezogen wäre …
Gibt es auch Momente, in denen du dich bewusst für eine Richtung entschieden hast oder besteht das Leben aus Zufällen? Oder war es gar vorbestimmt?
Da bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, es ist eine Mischung. Und ich glaube, das Leben macht einem auf jeden Fall und in jeder Version unverhoffte Geschenke. Deshalb war es mir auch im Roman wichtig, dass nicht ein Leben eindeutig das bessere und eine Entscheidung die richtige ist.
Gibt es Entscheidungen, die du bereust? Oder bereust du eher, etwas nicht gemacht zu haben?
Früher habe ich mich in meinen Entscheidungen zu oft von den – vermeintlichen – Wünschen und Ansprüchen anderer leiten lassen. Vor allem, wenn ich verliebt war (lacht). Verliebtheit ist nicht unbedingt der beste Ratgeber – andererseits bin ich nun mal eine unverbrüchliche Romantikerin, also passen diese Entscheide auch zu mir.
Von wegen anderem Leben. Du hast des Öfteren erzählt, dass das Schreiben mit zwei kleinen Kindern nicht immer einfach war. Hast du dir jemals gewünscht, kinderlos geblieben zu sein, damit du deinen Beruf freier ausüben kannst?
Nein. Ich habe mir allerdings oft gewünscht, ein Mann zu sein. Dann wäre mein Wunsch zu schreiben nicht nur akzeptiert und respektiert worden, ich wäre auch nie dem Verdacht der Rabenmutterschaft ausgesetzt gewesen. Und wäre nicht bei jeder Lesung gefragt worden, wie das denn für meinen Mann sei, dass ich «solche» Bücher schreibe, und wer auf meine Kinder aufpasse, wenn ich abends unterwegs sei. Ich bilde mir gern ein, das sei heutzutage für junge Autorinnen mit kleinen Kindern nicht mehr so …
Dein Roman spielt in der Schweiz und in San Francisco, wo du auch heute lebst. Du hast früher schon ein paar Jahre da gewohnt. Wünschst du dir manchmal, damals bereits da geblieben zu sein?
Ja, ich bin früher schon mal ausgewandert, allerdings dann nach acht Jahren wieder in die Schweiz zurückgezogen. Das ist definitiv auch so ein Moment, wo ich manchmal phantasiere: Was, wenn ich damals in San Francisco geblieben wäre? Doch in diesem Moment war die Entscheidung für mich ganz klar. Und die Schweiz hat mir ja dann auch viel Schönes und Neues ermöglicht, zum Beispiel eine wöchentliche Kolumne, das Theaterspielen und so weiter.
Wie verbringst du die Zeit gleich nach Erscheinen eines Romans? Bist du bereits an einem nächsten Projekt oder gibt es für dich auch mal Ferien?
Zwischen Abgabe des Manuskripts und Erscheinen des Buches liegen ja mindestens sechs Monate. Da hat also alles Platz: Feiern, in ein Loch fallen, oder mit einer neuen Geschichte beginnen.
Und was passiert bei dir nach der Lesereise?
Ich fliege nach Hause zu meinem Mann Victor und unseren Katzen und natürlich zu meinem Schreibschuppen.