elleXX – Nadine Jürgends –
Leandra Bias – Die Expertin für geschlechterspezifische Friedensförderung betont, dass gerade im Krieg die Körper der Männer benutzt werden, äussert sich positiv über die Zukunft der Ukraine, die Notwendigkeit einer feministischen Sicherheitspolitik und was wir jetzt alle tun können.
Du forschst über die Verbindung zwischen Maskulinitäten und Militarismus: Wie beurteilst du Putins Verhalten unter diesem Gesichtspunkt?
Aus dieser Perspektive ist sein Verhalten wirklich kongruent. Er meint, dass sich Machtansprüche notfalls gewaltvoll durchsetzen müssen. Alles andere wäre eine Schwäche. In Putins patriarchalem Weltbild müssen Untergeordnete folgen: von der Frau bis zur Ukraine, die als verweiblicht dargestellt wird. Insofern ist die Ukraine seine Unterworfene, die es wagt, ein selbstständiger, freier Staat zu sein. Das ist ein Affront, der notwendigerweise mit Gewalt «wiedergutgemacht» wird.
Babys werden in U-Bahn Stationen geboren. Sind Frauen durch den Einmarsch und die Kriegsgewalt speziell bedroht?
Bei unserer Arbeit der geschlechterspezifischen Friedensförderung hadere ich immer mit dem Wort «speziell». Wenn speziell «mehr» heisst, dann Nein. Alle Menschen leiden unter dem Krieg – uns aber geht es darum, aufzuzeigen, wer wie leidet. Aus einer feministischen Perspektive sind das nicht nur die Frauen. Aber um auf die Frauen zu sprechen zu kommen: Ja, sie sind betroffen, weil sie beispielsweise alleine flüchten müssen, weil ihre Männer eingezogen worden sind und sie ihre Familien selber durchbringen müssen, auf die Care-Arbeit bezogen haben sie sehr oft noch pflegebedürftige Eltern und können diese nicht verlassen. Viele Kinder haben auch einfach keinen Pass. Und wenn wir von der aktuellen Krise weiter denken, wenn eine Gesellschaft militarisiert wurde, dann steigt die häusliche Gewalt oftmals auch sehr stark an, weil mehr Waffen im Umlauf sind.
Du haderst mit der klassischen Opferdarstellung?
Ja, es ist mir wichtig zu betonen: Geschlechterspezifische Friedensförderung bezieht sich nicht nur auf die Frauen. Es ist unmenschlich, dass Männer im Krieg als Waffen eingesetzt werden, sowie die Traumatisierung, die damit einhergeht. Den Männern wird die Verwundbarkeit abgesprochen. Was wir wollen, ist, diese Zweiteilung zu brechen. Frauen sind demnach nur immer Opfer und keine aktiven Akteure und Männer sind immer nur Täter und können keine Opfer sein. Diese Sicht ist fatal. Gerade im Krieg werden die Körper der Männer einfach nur benutzt.
Wie steht es um die Sicherheit der Zivilbevölkerung?
Es gibt gesichertes Material von Bombardements von Wohnhäusern und Ambulanzen, es stimmt also nicht, dass nur militärische Ziele getroffen werden. Die Berichterstattung ist leider immer sehr abstrakt. Man hört ständig: Jetzt rücken sie in nächste Stadt vor. Dabei leben dort Menschen und werden verletzt und getötet. Es fehlen diese konkreten Bilder in der Berichterstattung.
Selenski verlässt sein Land nicht, die Ukrainer verteidigen ihr Land, nun werden auch Waffen zusätzlich geliefert aus dem Westen. Wird es die Ukraine als Land in absehbarer Zeit noch geben, wie beurteilst du die Situation?
Ich bin trotz allem überzeugt, dass es die Ukraine weiterhin geben und es das Ende von Putin sein wird. Es wird leider zu einem sehr hohen Preis sein, aber Putin ist so verblendet und hat die Ukraine völlig unterschätzt. Selbst wenn Kiew fällt, wird Putin das Land nicht regieren können, nicht einmal mit Waffen, der Protest kann auch schweigend geschehen. Und selbst in Russland wird der Rückhalt in der Bevölkerung schwinden. Ein Krieg gegen ein Land, in dem die selbe Sprache gesprochen wird, in das man in die Ferien reist, das wird langfristig keinen Rückhalt bringen. Zudem: Die Menschen werden merken, dass ihr Leben seit Jahren nicht besser geworden ist angesichts der hohen Militärausgaben. Wenn jetzt noch Sanktionen dazukommen, die greifen werden, und ihre Söhne grundlos sterben, werden selbst Loyalisten zweifeln.
An der Sicherheitskonferenz in München hat das Foto des all-male CEO-Lunch einmal mehr gezeigt, wer kommerziell vom Krieg profitiert: die Waffenproduzenten. Wer profitiert im aktuellen Krieg konkret? Wer hat ein Interesse daran?
Es gibt eine Kriegswirtschaft, die profitiert sowohl in der Vorbereitung als auch während der Krise. Profiteure sind sicher Waffenhersteller, aber auch die Spekulanten an den Aktienmärkten. Eine Kriegswirtschaft braucht Kämpfer, Waffen und Geld. Waffen werden legal und illegal gehandelt, hier gibt es die grössten Profite. Im Donbass sind seit 2014 Söldner stationiert – das ist ein lukratives Business! Und Russland zahlt Milizionäre grosszügig. Bricht ein Staat zusammen, birgt das zudem Opportunitäten für den Schwarzmarkt, für den Menschenhandel.
Was könnte eine feministische Sicherheitspolitik bewirken?
Der Grundansatz einer feministischen Sicherheitspolitik ist es, dass man nicht Staaten und ihre Grenzen in den Fokus setzt, sondern die Menschen, die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung. Diese Form der Sicherheitspolitik setzt auf Diplomatie. Es geht um eine humanistische Weltsicht. Eine grosse Herausforderung wird es jetzt sein, diese Form weiter zu stärken, weil sich das Narrativ, der Westen sei zu weich gewesen, habe zu viel abgerüstet, bereits wieder stark verbreitet. Man liest jetzt schon wieder die Aufforderung, dass mehr Geld ins Militär fliessen soll – wo es dann fehlt, ist bei der Care-Arbeit und für die Grundbedürfnisse der Menschen im Land.