Gender Intelligence Report

Fokus

#geschlechtergerechter – Nora Keller – 

Heute kann man fast alles messen. So wird beispielsweise der Glücksindex erhoben oder eben der Fortschritt der Gleichstellung. Nora Keller von der HSG weiss, warum dies wichtig ist.

Die Ursachen von Chancen(un)gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern fesseln mich, seit ich denken kann. Als Forscherin und Mitverfasserin des jährlichen Advance & HSG Gender Intelligence Report habe ich die einzigartige Chance, einem breiten Publikum näherzubringen, weshalb Frauen auch 50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechtes so selten in die Führungsetagen der Schweizer Wirtschaft gelangen (laut dem diesjährigen GIR machen sie lediglich 17% des oberen und obersten Kaders aus!).

Meine Hoffnung ist, dass unser Bericht Führungskräfte zum Reflektieren und Handeln anregt, dass sich die Spielregeln langsam ändern, ganz nach der Devise, «what gets measured gets done».

Forschung und Praxis im Dialog

Zahlen alleine sind aber noch nicht aussagekräftig. Es ist auch wichtig, die Datenauswertungen zu erklären und eine Geschichte zu erzählen, die möglichst viele Perspektiven mit einbringt. Die Auswertungen der HR-Daten haben wir beispielsweise dieses Jahr durch eine Umfrage unter Manager:innen in der Schweiz ergänzt. So können wir die Sichtweise der Frauen, über die wir schreiben, besser abbilden. Zudem integrieren wir jedes Jahr auch die neuesten wissenschaftlichen Studien zum Thema. Wissenschaft und Wirtschaft in einen Dialog zum Thema Chancengerechtigkeit zu bringen, ist wichtig, nur so können sie eine Wirkung entfalten. Erst wenn wissenschaftliche Studien zu gesellschaftlich wichtigen Themen wie Geschlechter(un)gleichheit für die Menschen in der Praxis zugänglich sind, kann sich etwas ändern.

Wenn Forschung persönlich wird

Die Erkenntnisse des GIR betreffen mich als 33-jährige, berufstätige Frau natürlich auch sehr persönlich. Eine Haupterkenntnis des diesjährigen Berichtes war, dass Frauen viel weniger häufig in Schlüsselpositionen befördert und rekrutiert werden, weil diese Karrieresprünge mit der «Family Prime Time» zwischen ungefähr 30 und 40 zusammenfallen: 47% aller Beförderungen gehen an Mitarbeitende in dieser Altersgruppe. Frauen übernehmen in der Schweiz aber auch immer noch etwa drei Viertel aller Betreuungsaufgaben und haben somit genau in den für die Karriere essenziellen Jahre eine Doppelbelastung.[1] Studien zeigen zudem klar, dass Frauen über 30 aufgrund des «Maybe Baby Bias» (ob sie Kinder haben oder haben wollen oder nicht) markante Nachteile in ihrer Karriere erleben – einfach weil Manager:innen davon ausgehen, dass Karriere und Arbeit nicht ihr Fokus ist.[2] Daraus schliesse ich: Sowohl das hartnäckige Rollenverständnis der Geschlechter als auch das gängige (veraltete) Karrieremodell müssen sich wandeln, wenn wir wirklich Fortschritte punkto Geschlechtergerechtigkeit erzielen wollen. Es macht mich wütend, dass ich immer noch mit diesen Windmühlen kämpfen muss.

Eine Grundlage zum Weiterdiskutieren

Was ich Leser:innen des Gender Intelligence Reports und ähnlicher Berichten mitgeben möchte: Beim Lesen ist es wichtig, sich die Frage zu stellen, zu welchen Aspekten der Chancen(un)gleichheit ein Report Aussagen machen kann und zu welchen nicht. Beim GIR benutzen wir beispielsweise HR-Daten, was uns erlaubt, möglichst viele Angestellte in der Schweiz in die Auswertung miteinzubeziehen (dieses Jahr über 320’000). Damit ist eine sehr hohe Datenqualität gewährleistet. Aber: Das bedeutet auch, dass wir aus Datenschutzgründen gewisse Vielfaltsaspekte nicht analysieren können, weil das HR diese (zu Recht) nicht erheben darf: etwa Race & Ethnicity, Behinderungen, Religionszugehörigkeit, Geschlechteridentität oder sexuelle Orientierung. Das Ziel meiner Arbeit ist aber auch nicht, die Realität perfekt abzubilden (Daten könnten das nie!). Wichtig ist mir, dass der GIR den Leser:innen eine Grundlage zum Weiterdenken und Weiterdiskutieren gibt zum Thema Chancen(un)gleichheit.

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