Frauen gegen das Frauenstimmrecht

Fokus

watson – Nicht alle Frauen wollten das Stimmrecht.

Einige bekämpften es sogar und gingen dabei bis an die höchste politische Instanz: den Bundespräsidenten.

Im August 1969 erhält Ludwig von Moos Post vom Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht. Dieser will den Bundespräsidenten mit einer Broschüre davon überzeugen, dass die Einführung des Frauenstimmrechts nicht nur der Demokratie, sondern auch den Frauen schade.

Der katholisch-konservative Obwaldner setzt sich mit dem Gesamtbundesrat zwar für die Einführung des Frauenstimmrechts ein, hegt aber grosse Sympathien für die Absenderinnen. Bereits im Mai hat er sie empfangen, kurz nachdem er die Anwältin und Frauenstimmrechtsgegnerin Verena Keller in das Komitee für ein neues Familienrecht berufen hat.

Verena Keller verkörpert die Widersprüchlichkeit der Frauenstimmrechtsgegnerinnen am deutlichsten. Wie viele ihrer Mitstreiterinnen hat sie studiert, ausserdem doktoriert. Sie ist ledig und finanziell unabhängig. Als Anwältin mit eigener Kanzlei ist sie täglich mit Fragen von Recht und Unrecht konfrontiert. Mit spitzer Feder schreibt sie Zeitungsartikel und Leserbriefe, insbesondere zum Thema Frauenstimmrecht.

Wie ist es zu erklären, dass sich eigenständige Frauen so vehement gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter auflehnen? Ihr Engagement scheine «auf den ersten Blick paradox», räumt die Präsidentin des Bundes, Ida Monn-Krieger, in einem Interview ein. Aussergewöhnlich ist es indes nicht: Als das Frauenwahlrecht Anfang des 20. Jahrhunderts aufs politische Tapet westlicher Staaten kam, gerieten befürwortende und gegnerische Frauen vielerorts in Konflikt. Sie stritten insbesondere um Vorstellungen des Frau- und Mannseins. «Echte» Frauen lehnten das Wahlrecht ab, argumentierten die Gegnerinnen, die «Weiblichkeit» käme der Welt sonst für immer abhanden.

Mit dem Ersten Weltkrieg flauten die Debatten ab, das Frauenwahlrecht wurde in vielen Ländern eingeführt. In der Schweiz aber nahmen die Diskussionen jetzt erst Fahrt auf. Als kantonal über das Frauenstimmrecht abgestimmt wurde, formierten sich erstmals Gegnerinnen, insbesondere in der Romandie. Der Name der 1919 gegründeten Ligue vaudoise féministe antisuffragiste war ebenso widersprüchlich wie ihre Aktivität: Selbsterklärte feministische Frauen setzten sich aktiv und selbstbestimmt dafür ein, in der Welt von Politik und Gesetzgebung passiv und fremdbestimmt zu bleiben.

«Gleich viele Rechte, aber nicht gleiche Rechte»

Nach der ersten nationalen Abstimmung über das Frauenstimmrecht 1959 schliessen sich Gegnerinnen zu einer nationalen Organisation zusammen. Der Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht möchte das Frauenstimmrecht ausgerechnet auf dem Terrain bekämpfen, das den Frauen auch in Zukunft verschlossen bleiben soll: der Politik. Von der Parteipolitik distanzieren sie sich jedoch – trotz teils engen Kontakten zur Konservativ-Christlichsozialen Volkspartei, der späteren CVP.

Sie argumentieren dahingehend, nicht gegen «mehr» Rechte für die Frauen zu kämpfen, sondern gegen die «falschen» Rechte und Pflichten. Weil die Männer Militärdienst leisten müssen, dürfen die Frauen politisch benachteiligt sein. Beim Frauenstimmrecht geht es für sie um viel mehr als um das Recht, einen Stimm- oder Wahlzettel auszufüllen. Sie sehen darin den ersten Schritt zur totalen Umwälzung der bestehenden Geschlechterordnung.

In dieser Ordnung ist der Mann zwar das alleinige Oberhaupt der Familie, den Frauen kommt als Hüterinnen des Hauses aber eine eminent wichtige, ja sogar staatstragende Rolle zu: Nach aussen vertritt der Mann die Familie in deren bestem Interesse, während die Frau Gleiches innerhalb der Familie tut. Ganz im Sinne Gotthelfs: «Im Hause muss beginnen, was blühen soll im Vaterland.»

Auf watson.ch von noëmi crain merz / schweizerisches nationalmuseum
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