Film „Was wir wollen“ thematisiert Sexualität bei Behinderten

Fokus

NDR – Anina Pommerenke Eine Gruppe Studierender der Hamburg Media School hat einen Film über Sexualität bei Behinderten gedreht. Bei der Produktion von „Was wir wollen“ gab es viele Hürden. Ein Gespräch mit der Drehbuchautorin Sophie Dittmer.

Es ist eine besondere Coming-of-Age-Geschichte, die sich die Hamburger Drehbuchautorin Sophie Dittmer für ihren Abschlussfilm ausgedacht hat: Zwei junge Verliebte planen ihr erstes Mal. Die Herausforderung: Beide sitzen im Rollstuhl. Mit dem Thema Sexualität und Behinderung knöpft sich der Film nicht nur ein Tabu vor, er ist auch mit Blick auf die Besetzung eine echte Novität. Denn den Studierenden war sogleich klar, dass die beiden Hauptrollen von Menschen mit Behinderung übernommen werden sollen – und das war einfacher gesagt als getan.

Wie hast du den Stoff entwickelt, Sophie?

Sophie Dittmer: Die Idee zu diesem Stoff hatte ich schon seit meines FSJ, das ich in der Pflege von Menschen mit Behinderung absolviert habe. Erst dort ist mir bewusst geworden, wie hoch die Barrieren für diese Menschen sind. Da geht es nicht nur um Hürden wie nicht barrierefreie Bahnstationen, sondern auch um fehlende Sichtbarkeit und Vorbilder. In der Filmlandschaft gibt es kaum Repräsentation von Menschen mit Behinderung. Wenn dann in irgendwelchen Nebenrollen aber in den seltensten Fällen als Figuren mit einem Sexualleben. Daher wollte ich eine Coming-of-Age Liebesgeschichte erzählen, die die universellen Themen rund um das erste Mal aufgreift, aber aus der Perspektive eines Paars mit körperlicher Behinderung. Glücklicherweise hat es dann geklappt, dass ich mich mit einem tollen Team für unseren Abschlussfilm von der Hamburg Media School zusammentun konnte, das genau so für die Idee brannte wie ich: Eléna Weiss (Regie), Paula Maria Martin-Karg (Produktion) und Matthias Pöltinger (Bildgestaltung).

Warum habt ihr euch dafür entschieden, die beiden Hauptrollen mit Menschen mit Behinderung zu besetzen? 

Dittmer: Dass wir die Rollen inklusiv besetzen würden, war uns von Anfang an klar. Das war auch eine Bedingung dafür, den Film überhaupt zu drehen. Es wäre ja auch ein bisschen paradox, wenn wir eine Geschichte über ein Paar im Rollstuhl erzählen, aber bei der Besetzung auf den Sichtbarkeits- und Inklusionsfaktor pfeifen.

Welche Herausforderungen hat diese Entscheidung mit sich gebracht? 

Dittmer: Mit der Entscheidung kamen wirklich ungeahnt viele Herausforderungen. Denn es gibt wirklich kaum ausgebildete Schauspieler*innen mit Behinderung in Deutschland. Die Barrieren an Schauspielschulen und allgemein in der Filmwelt sind hoch. Wir haben Social-Media-Aufrufe gemacht, haben uns mit Menschen aus der Community vernetzt und so letztendlich unsere Hauptdarsteller*innen gefunden, die beide vorher Laien waren.

War ein barrierefreier Drehort schwer zu finden?

Dittmer: Bei jeder Drehlocation waren wir angehalten, auf die Barrierefreiheit zu achten, was auch erschreckend schwierig war. Und als wir dann unsere Darsteller*innen gefunden hatten, kam das Problem mit der Personenausfallversicherung. Die Filmversicherung weigerte sich, unseren Hauptdarsteller Leonard Grobien zu versichern, weil er die im Volksmund so genannte Glasknochenkrankheit hat.

Laut Versicherung war das Risiko zu hoch, dass Leonard ausfallen könnte, was in keiner Relation zu seiner Gesundheitshistorie steht. Er selbst ist als Filmemacher oft an Filmsets und auch so komplett selbstständig unterwegs auf Reisen und so weiter. Wir sahen also genau so wenig Anlass zur Sorge wie bei jedem anderen Crewmitglied. Diese Hiobsbotschaft wurde uns vier Wochen vor eigentlichen Drehbeginn präsentiert. Unsere Hochschule meinte daraufhin, wir sollten umbesetzen, um unseren Abschlussfilm nicht zu gefährden. Aber das war für uns keine Option.

Welche Lösungen habt ihr gefunden? 

Dittmer: Eléna, Paula, Matthias und ich haben uns daraufhin anderthalb Wochen durch alle Stiftungen telefoniert, die wir finden konnten, in der Hoffnung, irgendwo eine Förderung oder Geld für unseren Dreh zu finden, damit wir Leonard quasi selbst versichern können. Ohne Ergebnis. Da haben wir angefangen, Menschen aus unserem privaten Umfeld anzufragen, ob sie sich vorstellen können, eine Teilbürgschaft zu übernehmen.

So hatten wir dann innerhalb von zehn Tagen Bürgschaften in Höhe von insgesamt 45.000 Euro beisammen. Das ist allein den Menschen aus unserem Umfeld zu verdanken. Die haben verstanden, wie wichtig es uns war, diesen Film zu drehen. Am Set wurde uns dann sehr auf die Finger geschaut, aber wir haben es geschafft, unseren Film in den vorgegebenen zehn Tagen zu drehen – übrigens ohne jeglichen Ausfall einer unserer Darsteller*innen.

Was würdest du dir in Zukunft für mehr Inklusion in der Filmbranche wünschen?

Dittmer: Ich würde mir wünschen, dass weniger Scheinheiligkeit herrscht. Alle lieben es, über Inklusion zu reden. Aber wenn es dann um Taten geht, wird es plötzlich ganz still. Die diskriminierenden Versicherungspraktiken, die übrigens auch Menschen mit psychischen Erkrankungen einschliesst, sollten reformiert werden: Damit Inklusion wirklich mal angegangen wird. Die Nachfrage nach Sichtbarkeit und Repräsentation ist da, aber wenn man versucht, so ein Projekt zu starten, werden einem unheimlich viele Steine in den Weg gelegt. Das haben wir am eigenen Leib erfahren und es hat in uns den Wunsch geweckt, die Industrie etwas aufzurütteln. Wir als Filmteam, zusammen mit der AG Inklusion von Pro Quote Film, veranstalten mit Cast Me In von Casting Network und Crew United am 16. Februar auf der Berlinale ein Panel mit dem Thema „Struktureller Ableismus? Wenn Filmschaffende mit Behinderung nicht versichert werden“. Wir hoffen, dass „Was wir wollen“ einen kleinen Anteil an einer inklusiven Bewegung innerhalb der Filmindustrie haben kann und dass der Film selbst als das gesehen wird, was er ist: Die Geschichte von zwei unsicheren jungen Menschen, die sich lieben und zusammen neue Erfahrungen machen wollen.

Das Interview führte Anina Pommerenke. 

Sponsoring