Es ist kein Zufall, dass Obst und Gemüse beim Einkaufen zuerst kommen – das ist der Grund

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watson.ch – jilline bornand

Du denkst, du lässt dich im Laden nicht beeinflussen? Kaufst nur, was du dir vorgenommen hast? Dann gehörst du zur Minderheit. Supermärkte investieren viel, um zu wissen, wie Konsumentinnen und Konsumenten ticken. Und gestalten die Läden so, dass du mit einer möglichst vollen Einkaufstüte rauskommst.

«Wir lügen uns was vor», sagt Michael Grund, Studiengangsleiter des CAS Customer Behavior an der HWZ.

Mit «uns» meint er uns Kundinnen und Kunden, die glauben, vernünftig einzukaufen und sich nicht beeinflussen zu lassen. Es gibt bestimmte grundlegende Denkmuster, die wir Menschen nicht wegkriegen, und die uns zum irrationalen und manipulierbaren Kunden machen.

«Slow down»

Es beginnt beim Eingang des Supermarkts, wo uns farbenfrohe und kunstvoll in Kisten drapiertes Gemüse und Früchte dazu anregen, stehenzubleiben, die Auswahl zu betrachten, sorgfältig auszuwählen und durch die nicht ganz gerade angeordneten Gänge zu bummeln – wie auf dem Markt eben. Das lässt uns erst einmal entschleunigen, durchaus gewollt: Die Kunden sollen abgebremst werden. Ihren Einkauf entspannt und stressfrei in Angriff nehmen – bei idealer Temperatur und mit dezenter Hintergrundmusik.

Die Feel-Good-Stimmung könnte dann allerdings bei der Kasse verfliegen, wenn die Erdbeeren etwas zermanscht zuunterst im Einkaufskorb auftauchen. Ein Supermarkt will es uns aber nicht so praktisch wie möglich machen, sondern ein Erlebnis bieten. Und das von Beginn an.

«Frisch für dich»

Der Eindruck «Frische Ware» macht Appetit und wird auf das restliche Sortiment übertragen – Beispiel Backwaren: Auch hier werden in erster Linie die Sinne angesprochen. Zum einen verleiht gelbliches Licht den aufgestapelten Brötchen einen frischeren Teint. Zum andern lässt uns der unwiderstehliche Duft von frisch (auf)gebackenem Brot das Wasser im Mund zusammenlaufen und Bilder in uns hochsteigen von natürlicher, bodenständiger und ehrlicher Handwerkskunst.

 

Wir sind nicht im Supermarkt, sondern in der Backstube, bleiben gern etwas stehen

 

Bisweilen werden diese Bilder sogar real in Form von echten Bäckerinnen und Bäckern, die in weissen T-Shirts vor unseren Augen Teig kneten, Brote formen und sich fröhlich unterhalten. Wir sind nicht im Supermarkt, sondern in der Backstube, bleiben gern etwas stehen, wählen mit Bedacht aus und gehen gut gelaunt und mit angeregtem Appetit weiter.

«It’s a long way…»

Das gemässigte Tempo soll beibehalten werden, denn es ist im Prinzip ganz einfach: «Je länger ich im Laden bin, beziehungsweise je mehr Regalmeter ich abspule, desto höher wird die Summe auf dem Kassenzettel», so Michael Grund. Die Folge davon ist ein langer Weg zur Kasse, und der verläuft in Supermärkten meist gegen den Uhrzeigersinn. Diese Richtung empfinden insbesondere Rechtshänder als gewohnter und angenehmer.

Die Macht der roten Schilder

Um mich immer wieder abzubremsen, stosse ich auf sogenannte Stopper, also im oder am Laufweg platzierte Aktions- oder Aktuell-Schilder. Auch hier machen sich die Ladengestalter unsere Denkmuster zunutze: Ein leuchtend gelbes oder rotes Etikett übersetzen wir in der Regel unbewusst mit «Achtung, hier kann ich profitieren». Und schnell habe ich Mehrfach- oder Grosspackungen im Wagen, auch wenn sie nicht zwingend günstiger sind.

Denn «Aktuell» heisst in der Regel nicht «Aktion» (mit entsprechend vergünstigten Preisen). Das Gefühl, ein Schnäppchen gemacht zu haben, ist wichtiger als die konkrete Zahl einer möglichen Ersparnis. «50 Rappen Vergünstigung erachten wir als Kaufgrund, obwohl wir vorher gar nicht gewusst hätten, wie viel das Produkt eigentlich normal kostet», beschreibt Michael Grund den irrationalen Kunden.

Auswahl – aber bitte nicht zu viel

Spielt es denn gar keine Rolle, ob ich ein Einkaufslisten-Typ oder eher die Spontaneinkäuferin bin? Sicher hilft eine Liste, disziplinierter einzukaufen. Aber wie entscheide ich mich, wenn auf meiner Liste «Spaghetti» steht, mich vom Regal aber nicht nur Spaghettini, Spaghetti, Spaghettoni oder Linguine anlachen, sondern auch handgemachte Markenspaghetti im gehobenen Preissegment und solche der hauseigenen Billiglinie? Hier kommt oft die «Tendenz zur Mitte» zum Tragen: Spezielle Teigwaren vielleicht für Gäste, aber nicht für mich selbst. Zu billige aber auch nicht.

Deshalb gibt es von vielen Produkten eine Mehrfach-Auswahl. Zu gross darf die allerdings nicht sein; zu schnell ist man mit der Entscheidung überfordert und vertagt sie im schlimmsten Fall. Der Sortimentsgestaltung kommt eine bedeutende Rolle zu.

Sind sie zu gross, bist du zu knauserig

Die Einkaufswagen sind definitiv grösser geworden, wo es der Platz zulässt. Ebenso die Einkaufskörbe, die jetzt oft mit Rollen versehen sind. So merken wir nicht, wenn sie schwer geworden sind. Viel Platz im Einkaufswagen signalisiert mir: Du hast noch so gut wie nichts gekauft, brauchst also kein schlechtes Gewissen zu haben. Im Gegenteil, das kann doch noch nicht alles sein, vermutlich fehlt noch etwas. Und viel kosten kann das Bisschen im Wagen ja nicht.

Ein etwas schräger Boden lässt die Ware nach hinten aus dem Blickfeld rollen. (Wie viel es eigentlich ist, merke ich spätestens, wenn es das Volumen der einzigen mitgebrachten Einkaufstüte bei Weitem übersteigt.)

Was tun?

Michael Grund, was also kann ich konkret tun, um nicht regelmässig beim Einkauf mein Budget zu strapazieren? «Der alte Leitspruch ‹Geh niemals hungrig einkaufen› unterstützt dieses Vorhaben sicher. Ebenso eine Einkaufsliste – allenfalls mit einer Jokerposition, um nicht allzu streng mit dir selbst sein zu müssen. Nimm einen Korb statt einen Einkaufswagen. Und arbeite an deiner Fitness: Greif nicht immer zu dem Produkt auf Augenhöhe, sondern schau vor allem auch in den unteren Regalen – der sogenannten Bück-Zone –, wo oft die günstigeren Varianten platziert sind. Prüfe vermeintliche Aktionen genau. Und wenn du davon ausgehst, im Laden nicht vernünftig bleiben zu können, bleibt noch der Online-Einkauf – allerdings bist du auch dort nicht vor gewissen Einkaufsfallen gefeit …».

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illustration: hwz/mathias bamert

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