Durchstarten mit 50

Fokus

Missmoneypenny – Jelena Martinelli

Mitarbeitende 50 plus haben es auf dem Arbeitsmarkt nicht einfach, denn nach wie vor bevorzugen Firmen jüngere Arbeitskräfte. Doch der demografische Wandel könnte die Karten neu mischen. Von den Chancen jenseits der fünfzig. Mit über 50 Jahren ins Blaue hinaus kündigen?  Es gibt Menschen, die es trotzdem gewagt haben mit ü50 durchgestartet sind. Nicht veränderungsbereit, unflexibel, weniger produktiv, häufiger krank und teuer – wurde etwas vergessen? So oder so ähnlich lauten die Vorurteile, die älteren Mitarbeitenden hierzulande entgegenschlagen.

Ältere Arbeitnehmende in Schweizer Unternehmen leiden oft unter Diskriminierung, heisst es im aktuellen HR-Barometer, einer Studie, die von der ETH Zürich, der Universität Zürich und der Universität Luzern alle zwei Jahre durchgeführt wird. Demnach haben 61% der Befragten negative Vorurteile gegenüber älteren Kolleginnen und Kollegen im Arbeitsalltag beobachtet. Konkret wurden die Studienteilnehmenden gefragt: Gilt in Ihrer Abteilung die Ansicht, dass ältere Beschäftigte weniger fähig sind, sich technologischen Veränderungen anzupassen? Eine Mehrheit bejahte dies. Auch wenn laut HR-Barometer das Vorurteil unbegründet ist, da ältere Arbeitnehmende nach eigener Auskunft der Digitalisierung positiv gegenüberstehen, ist eine solche Denkhaltung trotzdem gefährlich. Denn ein negatives, altersdiskriminierendes Unternehmensklima hängt laut der Studie mit einer schlechteren Unternehmensleistung zusammen. Nicht nur das: Obwohl rund 40% der befragten Personen sich vorstellen können, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten, würde Altersdiskriminierung diese Bereitschaft massiv beeinträchtigen. Sprich, je stärker sich ältere Arbeitnehmende mit negativen Stereotypen konfrontiert sehen, desto weniger wollen sie länger als bis zur Pensionierung im Job bleiben.

Aber genau damit ist der Schweizer Wirtschaft kein Gefallen getan. Denn diese ist je länger je mehr darauf angewiesen, dass alle Mann an Deck sind, ob männlich, weiblich, jung oder – pensioniert. Ab dem Jahr 2023 werden nämlich voraussichtlich mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt austreten als eintreten; es wird mehr Frischpensionierte geben als Lehrabgänger oder Hochschulabsolventen, die sie ersetzen können.

Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 690 000 Arbeitnehmende bis zum Jahr 2029 in den Ruhestand treten werden. Allerdings ist das Problem, geeignete Arbeitskräfte zu finden, für viele Firmen heute schon Realität, denn der Renteneintritt der Babyboomer hat bereits vor zehn Jahren eingesetzt. Die Arbeitsmarktstudie der Versicherung Axa verdeutlicht dies mit den folgenden Zahlen: Letztes Jahr hatten 37% der Schweizer KMU mehrheitlich oder immer Mühe, die passenden Leute zu rekrutieren, 78% hatten es zumindest teilweise schwer.

Graue Decke

Trotzdem existiert eine sogenannte «graue Decke» in den Unternehmen. Der Begriff ist eine Analogie zur «gläsernen Decke», welche zumeist Frauen davon abhält, über eine bestimmte Karrierestufe hinauszukommen – im Falle der grauen Decke drücken sich die Arbeitgeber davor, ältere Mitarbeitende zu befördern oder einzustellen. Die graue Decke ist nicht nur subjektives Empfinden, sondern sie besteht tatsächlich. Das bestätigen die Unternehmen selbst: Laut Axa-Studie stellen rund zehn Prozent der befragten Unternehmen in der Regel niemanden mehr ein, der über 45 Jahre alt ist. Knapp ein Drittel zieht die Grenze zwischen 45 und 54 Jahren. Es scheine eine mentale Barriere zu geben, so die Studie, die Firmen davon abhalte, ältere Personen für eine Vakanz zu berücksichtigen – und dies trotz des demografischen Wandels und des immer drängenderen Problems des Fachkräftemangels. Viele Firmen hoffen weiter auf die Jungen, obwohl sich der Trend eindeutig hin zu einer alternden (Arbeits-)Gesellschaft bewegt. Solche Scheuklappen verhindern, dass wertvolles Wissen und Erfahrung sowie Manpower der Wirtschaft erhalten bleiben. So schreiben die Autoren der Axa-Studie: «Ein Abbau dieser mentalen Barrieren könnte dagegen zu einer Dynamisierung des Arbeitsmarktes beitragen und helfen, bislang unausgeschöpftes Potenzial zu aktivieren.»

Es gibt aber auch einen Silberstreifen am Horizont. Ein Fünftel der befragten KMU stellt sogar Leute ein, die das Rentenalter bereits erreicht haben. Das sind Firmen, die erkannt haben, dass mit den Älteren viel zu gewinnen ist. Denn, und damit wären wir bei den guten Nachrichten, die Arbeitgeber wissen sehr wohl, was sie an den älteren Mitarbeitenden haben – und zwar nicht nur diejenigen, die die Jobs auch tatsächlich an die «Generation Silber» vergeben. Laut Axa-Studie werden die Eigenschaften der über 50-jährigen Mitarbeitenden von zwei Dritteln der befragten KMU besser bewertet als die der jüngeren Belegschaft. Explizit genannt werden die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, Loyalität und – besonders bemerkenswert – die höhere Leistungsbereitschaft der über 50-Jährigen im Vergleich zu den Jüngeren.

Berufliche Veränderungen in der Lebensmitte

Doch selbst wenn man als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer weiss, dass man einiges auf dem Kasten hat, und dies von vielen Firmen eigentlich gesehen und geschätzt wird: Oft fehlt der Mut, sich in der Lebensmitte beruflich zu verändern, indem man etwa eine neue Stelle sucht oder vielleicht ganz auf eine neue Branche umsattelt. Oder würden Sie einfach so ins Blaue hinaus kündigen? Das traut man sich vielleicht mit 30, aber mit 50? «Bist du denn wahnsinnig», tönt es dann. Aber es gibt Menschen, die es trotzdem gewagt haben und ein gutes Beispiel dafür sind, dass man auch mit ü50 durchstarten kann.

Silvia Casanova ist eine davon. Die ehemalige CEO-Assistentin hält Alter für eine Einstellungssache, wie sie sagt, und hat deshalb einfach mal gemacht, statt sich von einer Zahl zurückhalten zu lassen. Die heute 54-Jährige hat ihren Assistenzjob vor zwei Jahren an den Nagel gehängt und eine eigene Firma gegründet. Wäre es nicht vernünftiger gewesen, mit über 50 im Angestelltenverhältnis zu bleiben und auf Nummer sicher zu gehen bis zur Pensionierung? Silvia Casanova verneint: «Im Leben muss man beweglich bleiben, gerade in der heutigen Zeit. Man kann jahrzehntelang in der gleichen Firma arbeiten und trotzdem den Job verlieren, weil etwa die Firma im Zuge einer Reorganisation Leute entlässt.» Hat es denn Mut gekostet, in ihrem Alter diesen Schritt zu gehen? Nein, sagt sie. Sie habe schon immer ihre Jobs gekündigt, bevor sie etwas Neues in Aussicht hatte, und auch immer etwas gefunden. «Vielleicht nicht auf Anhieb und nicht gleich das Gelbe vom Ei.» Aber das habe sie nie gestört, denn Casanova ist der Ansicht, dass man keine Berührungsängste haben darf – ob das Jobs, Menschen oder neue Branchen und Technologien betrifft. «Mit 50 ist das Leben längst nicht vorbei», sagt sie. Im Gegenteil, ab da könne man aus dem Vollen schöpfen. Und das tut sie: Mit ihrer noch jungen Firma «Professional Office Management» bietet Casanova Assistenz-Dienstleistungen auf Abruf.

«Während meiner Zeit als CEO-Assistentin hatte ich mir ein paar Mal gewünscht, jemanden kurzfristig beiziehen zu können – sei es für Projektarbeit oder bei Krankheitsausfällen. Aber eben jemanden mit Wissen und Erfahrung, den man nicht lange einarbeiten muss.» Sie beschloss, selbst dieser jemand zu werden. Als Selbstständige spielt sie heute die Trümpfe aus, die sie sich während ihrer vielen Jahre im Geschäft erworben hat: «Ich habe den Assistenzjob 13 Jahre lang gemacht, habe viel Erfahrung sammeln können und weiss, was alles dazugehört; man ist die Drehscheibe, muss vernetzt denken und für andere mitdenken können.» Auch die Digitalisierung sei keine Hürde für sie – zwar wechseln die Programme, mit denen sie arbeitet, von Auftraggeber zu Auftraggeber, aber: «Ich habe während meiner langen Laufbahn mit so viel unterschiedlicher Software gearbeitet, es fällt mir nicht schwer, mich auf eine neue einzulassen.» Meist müsse man ihr nur erklären, wie die Dinge intern laufen. «Dann kann ich übernehmen.» Es gab jedoch schon Einsätze, da war niemand vor Ort für eine Einführung oder Übergabe. «Dann ist der Job tatsächlich nur mit genügend Wissen und Erfahrung zu bewältigen», sagt sie.

Wichtig findet Silvia Casanova, dass man mit lebenslangem Lernen am Ball bleibe. Denn die Zeiten, als man eine Lehre machte und für den Rest des Lebens im gleichen Betrieb und in der gleichen Funktion blieb, seien vorbei, sagt sie. «Heutzutage muss man sich mit Weiterbildungen up to date halten.» Sie selbst habe alle paar Jahre eine neue Ausbildung in Angriff genommen. «Ich hatte immer den Ehrgeiz, dazuzulernen, um wieder die Chance auf eine neue Karriere zu bekommen.» So hat Casanova, die ursprünglich eine kaufmännische Lehre gemacht hat, Ausbildungen zur Pflegefachfrau, zur Direktionsassistentin sowie in der Hotellerie in der Tasche. Zuletzt hat sie einen Bachelor in BWL an der Hochschule St. Gallen erworben. «Jede Ausbildung hat mir neue Perspektiven eröffnet.» Sie lacht: «Im Moment überlege ich, ob ich noch das Wirtepatent dranhängen soll.»

Auf das Thema Alter angesprochen sagt sie: «Bisher hatte ich noch bei keinem meiner Auftraggeber das Gefühl, dass mein Jahrgang ein Problem ist. Im Gegenteil: Die meisten sind froh, wenn ich so schnell wie möglich übernehmen kann. Das geht halt nur, wenn man die entsprechende Erfahrung mitbringt.»

Wie war das also nochmal mit unflexibel, nicht mehr lernbereit oder veränderungsunwillig? Das Beispiel von Silvia Casanova zeigt: Die Generation Ü50 hat einiges auf dem Kasten. Hat man die fünfzig erreicht, heisst das eben nicht, dass man ab sofort mit einem Bein in der Pensionierung steht und die Zeit bis dahin einfach nur unbeschadet hinter sich bringen will. Sondern es ist viel Elan, Lern- und Leistungsbereitschaft vorhanden – brachliegendes Potenzial also, das, wenn von Firmen und Arbeitnehmenden entsprechend genutzt, für die Schweizer Wirtschaft zu einer Fachkräftequelle werden könnte. Vielleicht sogar zu einem wahren Jungbrunnen

Der Artikel von Jelena Martinelli

(Bild: iStock)

 

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