«Durch die Pandemie gerieten fast alle Sexarbeitenden in Existenznöte»

Fokus

watson – Larissa Speziale

Eliane Burkart ist Sozialarbeiterin FH und seit Kurzem Co-Leiterin des Vereins LISA. Dieser setzt sich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeitenden ein. Ein Blick hinter die Kulissen und ein Gespräch über eine etwas andere Karriere.

Der Verein LISA (Luzerner Verein für die Interessen der Sexarbeitenden) engagiert sich für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Sexarbeitenden im Kanton Luzern. Die rund 20 Mitarbeitenden sind im direkten Kontakt mit den Sexarbeitenden. LISA betreibt unter anderem einen Beratungscontainer am Strassenstrich sowie einen wöchentlichen Mittagstisch. Zudem hat der Verein ein gynäkologisches Gesundheitsangebot, führt eine Beratungsstelle und macht Gesundheitsprävention in allen Erotikbetrieben im Kanton Luzern. Geführt wird LISA von Daniela Gisler und Eliane Burkart, beides diplomierte Sozialarbeiterinnen. Ich habe mich mit Eliane Burkart zum Gespräch verabredet, um herauszufinden, wie ihre Arbeit aussieht und was sie zum Thema Sexarbeit geführt hat.


Eliane, wie ist die aktuelle Situation auf dem Strassenstrich?
Eliane Burkart: Die Pandemie löste bei fast allen Sexarbeitenden existenzielle Krisen aus. Viele arbeiten im Meldeverfahren und fielen deshalb komplett durch das Hilferaster. Sie erhielten keine Entschädigung und hatten von heute auf morgen kein Einkommen mehr. Die meisten hatten keine Ersparnisse. Niemand wusste, wie lange das Arbeitsverbot dauern wird. Bis heute haben viele Sexarbeitende berechtigte Existenzängste. Das Business kehrt nur zögerlich zurück. Die Arbeitssituation ist prekärer geworden. Die Kunden haben sich verändert – einige versuchen mehr auszuhandeln: Sie wollen den Preis drücken oder verlangen Sex ohne Kondom.

Wie konnte der Verein LISA in der Krise helfen?
Wir haben während des Lockdowns sofort einen Nothilfefonds erstellt und explizit dafür Spendengelder gesucht. Wir haben den Sexarbeitenden vorübergehend die Krankenkassenprämie bezahlt und kurz auch etwas an die Mieten. Zudem haben wir Caritas-Lebensmittelgutscheine abgegeben. Jetzt versuchen wir, zu erreichen, dass der Erwerbsersatz verlängert wird. Auch wenn die meisten nur wenig Erwerbsersatz erhielten, so gab das immerhin ein bisschen Stabilität.

Seit einem halben Jahr bist du Co-Geschäftsführerin vom Verein LISA. Wie bist du zu diesem Job gekommen?
Ich habe ursprünglich das KV gemacht und an einer Volksschule gearbeitet. Danach habe ich an der Hochschule Luzern Sozialarbeit studiert. Während des Studiums hatten wir die Möglichkeit, ein Ausland-Praktikum zu absolvieren oder bei einer Projektumsetzung in der Schweiz mitzuwirken. Ich wollte ins Ausland und irgendetwas in der Frauenarbeit machen. Also googelte ich drauflos: Immer wieder bin ich auf den Frauentreff Olga in Berlin gestossen. Der Frauentreff Olga ist eine Anlauf- und Beratungsstelle für drogenkonsumierende Frauen, Trans*frauen und Sexarbeiterinnen an der Kurfürstenstrasse. Ich habe mich schon früher mit dem Thema Sexarbeit auseinandergesetzt und schickte kurzerhand eine Blindbewerbung. Ich bekam den Job. Das Thema hat mich sehr berührt.
Als ich zurückkam, suchte der Verein LISA Beraterinnen für den Container am Strassenstrich. Anfangs arbeitete ich im Stundenlohn und hatte noch eine andere Arbeit daneben. Später bekam ich eine Festanstellung und wurde stellvertretende Geschäftsleiterin. Als die ehemalige Geschäftsleiterin, Birgitte Snefstrup, pensioniert wurde, haben Daniela und ich uns als Co-Geschäftsführerinnen für die Position beworben.

 

Was genau sind deine Aufgaben?
Mein Job ist es primär, den Verein zu leiten. Das bedeutet einerseits das Weiterentwickeln und Führen unserer Angebote sowie des Personals. Andererseits sind wir regional und national gut vernetzt und tauschen uns über aktuelle Entwicklungen aus. Wir sind verantwortlich, die Mitglieder zu verwalten und Geld aufzutreiben. LISA ist nur zu einem Teil staatlich finanziert, weshalb wir uns selbst um unsere Finanzierung kümmern müssen und auf Spenden von Privatpersonen und Stiftungen angewiesen sind. Ausserdem setzen wir uns bei den Behörden und in der Politik für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle Sexarbeitenden ein und geben den Sexarbeitenden somit eine Stimme.

 

Bist du noch in Kontakt mit den Sexarbeitenden?
Ja, Daniela und mir war es wichtig, dass wir weiterhin an der Basis arbeiten können. Aus diesem Grund haben wir die Co-Geschäftsleitung initiiert. Ein kleiner Teil des Pensums arbeiten wir vor Ort am Strassenstrich im Beratungscontainer. Wir machen Beratungsgespräche bei uns auf der Geschäftsstelle und ich gehe ab und zu mit bei den aufsuchenden Touren in die Erotikbetriebe. So kennen wir die aktuellen Bedürfnisse aus erster Hand und erhalten Einblick in die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Sexarbeitenden.

 

Was sind für dich die grössten Herausforderungen?
Mein Ziel ist es, zu vermitteln, dass wir alle gleichwertige Menschen sind, egal welcher Arbeit wir nachgehen. Sexarbeit wird extrem stigmatisiert. Dieser Stigmatisierung möchte ich entgegenwirken, indem ich es zum Thema mache – auch wenn es mancherorts nicht gerne gehört oder gesehen wird. Es ist für mich eine Herzensangelegenheit, aufzuklären und mich für Menschen einzusetzen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Es ist aber auch kräftezerrend – es gibt noch viel zu tun.
Eine weitere Herausforderung ist die Finanzierung des Vereins. Wir sind der Meinung, dass unsere Angebote eigentlich von der öffentlichen Hand finanziert werden sollten. Es sollte im Interesse der öffentlichen Gesundheit sein, dass sich jemand um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Sexarbeitenden kümmert. Das hat sowohl eine Auswirkung auf die Gesundheit der Sexarbeitenden als auch auf die Gesundheit der Kundschaft und deren Partnerinnen und Partner und Familien.

 

Ich kann mir vorstellen, dass deine Arbeit auch ziemlich belastend sein kann. Wie grenzt du dich ab?
Es gelingt mir nicht jeden Tag gleich gut. Wenn man einen Job mit Herzblut macht, ist man voll dabei. Entsprechend ist die Abgrenzung manchmal eine Herausforderung. Ich bin Mutter – das hilft mir. Sobald ich nach Hause komme, habe ich meine Aufgaben und Rolle als Mutter und kann so grundsätzlich gut abschalten. Trotzdem gibt es Geschichten oder Situationen, die mir nahegehen. Zum Glück haben wir ein gutes Team auf der Geschäftsstelle, sodass ich diese Geschichten nicht alleine mit mir herumtragen muss.

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bild: flavia korner/fh schweiz

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