«Du Schwuchtel!»

Fokus

BEEHIVE Magazin – Nathalie Sassine

Schweizer Teenager sind homophob. Das Problem liegt aber bei den Erwachsenen.

«Du Schwuchtel!» – so und schlimmer beleidigen sich Teenies zwischen 12 und 18 Jahren gemäss einer Studie der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Offenbar ist es für (zu) viele Jugendliche nicht ok, homosexuell zu sein. Das sieht man nicht nur an den zahlreichen Beleidigungen.

Die Kids wurden auch befragt und manche gaben ganz klar zum Ausdruck, dass sie Homosexualität als krank empfinden. Oder gar, dass man Homosexuelle umbringen sollte.

Schlimm genug, dass Kinder das so sehen. Woher sie das wohl haben? Ich weiss es nicht, aber die Vermutung liegt nahe, dass es von den Eltern kommt. In den üblichen fremdenfeindlichen Kreisen wird gemutmasst, dass der Migrationshintergrund das Problem ist. Ein gewisser kultureller Hintergrund ist sicherlich Teil des Problems, aber er ist nicht das ganze Problem.

 

Letzte Woche brachten die Maus und der kleine blaue Elefant ihren Zuschauern trans Menschen näher. Die Reaktion darauf? Empörung!

 

Liest man nämlich die Kommentare unter dem Artikel «Junge Schwule leiden unter abwertender Sprache und Gewalt» von vergangener Woche wird schnell klar, woher diese Abneigung kommt. Von Erwachsenen, die sich darüber empören, dass Kinder nicht einmal mehr auf dem Schulhof andere Kinder runtermachen dürfen: «Früher haben wir das unter uns geregelt, heute macht man Studien» Alles wolle man den Kids verbieten und die LGBT-Community sei sowieso nervig und beeinflusse die Jugend. Es gab gar jemanden, der behauptete, das Thema sei vor dem 16. Altersjahr sowieso nicht angebracht.

Das war aber nicht die einzige Meldung zum Thema vergangene Woche.

Erinnern Sie sich an «Die Sendung mit der Maus»? Die Kindersendung, die uns und unseren Kindern      erklärte, wie die Welt funktioniert? Letzte Woche brachten die Maus und der kleine blaue Elefant ihren Zuschauern trans Menschen näher. Die Reaktion darauf? Empörung! Nicht etwa von den Kindern, sondern von Erwachsenen in den Kommentarspalten der Sozialen Medien .

Ebenfalls vergangene Woche wurde in Florida ein Gesetz verabschiedet, das den Lehrpersonen      untersagt, in der Primarschule über sexuelle Orientierung zu referieren. «Wir werden dafür sorgen, dass Eltern ihre Kinder zur Schule schicken können, um Bildung zu erhalten, keine Indoktrination«, erklärte der Gouverneur DeSantis bei der Unterzeichnung des Gesetzes. Zudem liess er sich mit dem Dekret fotografieren und strahlte stolz, als hätte er ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine erwirkt. Intoleranz als Superpower? Das scheint jetzt salonfähig zu sein.

 

«Wieso ist es ok, eine Vierjährige im Scherz zu fragen ‹Und? Hast du schon einen Freund?›, aber es ist nicht ok, wenn Kinder über Gefühle reden, die sie wirklich empfinden, statt über solche, die ihnen eingeflüstert werden?»

 

Man will also nicht, dass unsere Kinder mit Themen wie Homosexualität und Transgender in Berührung kommen und spricht gar von Indoktrinierung. Aber wissen Sie was? Unsere Kinder haben das Thema schon längst mitgeschnitten! Einwände von Kommentatoren, in der Primarschule sei das ja wohl kaum ein Thema, sind schlicht falsch. Viele Kinder wissen schon sehr früh, dass sie «anders» sind, als es die Gesellschaft von ihnen erwartet. Unsere Tochter erzählte uns bereits mit 11, dass sie auch auf Mädchen stehe. Wieso auch nicht? In dem Alter probieren Kinder so viel aus: Frisuren, Kleider, Freunde, wieso nicht auch das Verliebt-sein? Und wer sagt denn, dass man sich überhaupt festlegen muss im Leben?

Gerade, weil sie betroffen ist, habe ich unsere Tochter zu den News in letzter Zeit befragt. Ihre Reaktion: «Wieso ist es ok, eine Vierjährige im Scherz zu fragen ‹Und? Hast du schon einen Freund?›, aber es ist nicht ok, wenn Kinder über Gefühle reden, die sie wirklich empfinden, statt über solche, die ihnen eingeflüstert werden?»

Wieso denken so viele Erwachsene, es sei ein Trend, sich als homo-, bi- oder sonstwie -sexuell zu outen? Gerade sie können sich doch denken, dass es keinen besonderen Spass machen kann, sich der Kritik, den Beleidigungen und gar dem Hass auszusetzen, der dann auf einen zukommt. Schliesslich verbreiten sie diesen Hass mit ihrer Haltung mit.

 

«Du kommst Montag lieber nicht in die Schule, sonst bist du mein Boxsack»

 

Unser schlimmstes Erlebnis war, als unsere Tochter von ihren sogenannt besten Freundinnen in einem Klassenchat homophob angegangen wurde. Sie war relativ offen damit umgegangen, in der Annahme, dass es 2020 wohl kaum ein Problem darstellen würde. Das war sicher unser Fehler, weil wir ihr nie nahegelegt haben, sich zu verstecken oder zu verstellen. Aber als sie (interessanterweise erst ein Jahr später) im Chat «Wäää, Homo!» und «Du kommst Montag lieber nicht in die Schule, sonst bist du mein Boxsack» zu lesen bekam, war die Verletzung gross. Am traurigsten aber war, dass die Eltern, die wir daraufhin informierten, gar nicht erst darauf reagierten. Als sei das halt so ein Kinderding, das könne man ihnen doch nicht verbieten. Mir kam es so vor, als würde man heute noch das N-Wort benutzen und es wäre für alle ok.

 

«Wenn ihr nicht so wärt, müssten wir nicht demonstrieren.»

 

Als meine Tochter von einem Schulfreund wegen ihres Buttons auf dem Rucksack für die Ehe für alle angefeindet wurde – «Man hört ja nur noch von euch Homos, überall seid ihr, dauernd demonstriert ihr!» –,antwortete sie ihm: «Ja, und zwar wegen Leuten wie dir. Wenn ihr nicht so wärt, müssten wir nicht demonstrieren.» Wo sie recht hat….

Und jetzt hätte ich eine Denksportaufgabe für Sie: Stellen Sie sich vor, es beträfe ihr eigenes Kind. Wäre es für Sie auch einfach ok, mit dem Argument, dass Kinder halt so sind?      Eltern sind heutzutage sehr empfindlich, aber offenbar nur, wenn es den eigenen Nachwuchs betrifft. Für alle anderen gilt «Schwuchtel» auf dem Pausenhof als ok. Wieso wird Empathie nicht gelebt und auch weitergegeben? Gehört das nicht in das Programm des «Projekts Kind»? Ich finde schon. Mehr denn je.

 

Zum Artikel auf BEEHIVE

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