Die «Schattenministerien» sind in der Hand der Frauen

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Watson.ch – Seit dem Amtsantritt von Christine Schraner Burgener sind alle Staatssekretärinnen Frauen. Dabei galt das Amt lange als Männerdomäne.

Bild: Die Staatssekretärinnen: Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, Daniela Stoffel, Chrstine Schraner Burgener, Livia Leu, Martina Hirayama (v.l.)

Auch wenn sie in der Öffentlichkeit wenig bekannt sind und innenpolitisch eher selten in Erscheinung treten, gehören die Spitzen der fünf Staatssekretariate des Bundes zu den mächtigsten Figuren im Berner Politbetrieb. Bei Gesprächen mit anderen Staaten oder Akteuren wie der EU und der OECD führen sie im Namen der Eidgenossenschaft Verhandlungen. Als «Schattenminister» hat man sie auch schon bezeichnet. Doch dieser Ausdruck muss jetzt durch «Schattenministerinnen» ersetzt werden. Denn seit Anfang dieses Jahres befinden sich alle fünf Staatssekretariate der Schweiz in Frauenhand.

Per 1. Januar ersetzte Christine Schraner Burgener Mario Gattiker an der Spitze des Staatssekretariats für Migration (SEM). Sie gesellt sich zu Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, der Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), Daniela Stoffel (internationale Finanzfragen), Martina Hirayama (Bildung, Forschung und Innovation) sowie Livia Leu, der Staatssekretärin im Aussendepartement EDA.

 

Bis 1972 galt Zölibatspflicht für Diplomatinnen

Das rein weibliche Quintett steht für einen spektakulären Wandel innerhalb eines guten Jahrzehnts. Denn bis 2011 waren die Staatssekretäre ausschliesslich Männer. Das Amt wurde in den 1970er-Jahren im Rahmen einer Verwaltungsreform geschaffen, um die Bundesräte zu entlasten, insbesondere bei internationalen Verhandlungen. 1979 richtete der Bundesrat die ersten zwei Staatssekretariate ein, inzwischen stieg deren Zahl auf fünf. Was gleich blieb: In die Kränze kamen nur Männer. 16 an der Zahl, bis zur Ernennung von Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch zur Seco-Direktorin 2011.

Angesichts dieser Vorgeschichte spricht EDA-Staatssekretärin Livia Leu, unter anderem für das EU-Dossier verantwortlich, von einer erstaunlichen Entwicklung: «Wir sind innerhalb eines Jahrzehnts von null auf hundert gegangen», sagt die Bündnerin. Es freue sie ausserordentlich, dass so viele hochqualifizierte Frauen in diese Posten gewählt worden seien. Angesichts des hundertprozentigen Frauenanteils betont Leu, Diversität bleibe natürlich wichtig, was innerhalb der Teams in den Staatssekretariaten der Fall sei: Die fünf Frauen an deren Spitze seien «eine schöne, aber nicht eine dauernde Fügung».

Die Staatssekretärinnen hätten sich seit Anfang Jahr bereits einmal zu fünft getroffen: «Es gibt viele Schnittmengen zwischen unseren Aufgabenbereichen, und die Zusammenarbeit unter uns Staatssekretärinnen funktioniert sehr gut», so Leu. Die meisten haben eine Vergangenheit in der Diplomatie und sind mit Leu, die 1989 in den Dienst des EDA eingetreten ist, seit Jahrzehnten bekannt: «Wir haben ein gutes Netzwerk.»

Livia Leu war 2005 Gründungspräsidentin des Vereins Diplomatinnen im EDA. Dieser setzt sich für die Interessen der Frauen im Departement ein, so etwa für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im diplo­matischen Dienst mit seinen häufigen Ortswechseln ist das eine besonders grosse Herausforderung. Bis 1972 gab es in diesem Bereich eine aus heutiger Sicht haarsträubende Regel: Den Frauen, welchen eine diplo­matische Laufbahn erst ab 1956 überhaupt offenstand, war es nicht gestattet zu heiraten, solange sie im diplomatischen Dienst verbleiben wollten. Den Männern schon.

 

Bund schneidet schlecht ab

Seither habe sich viel getan im EDA. «Aber wie die Einführung des Frauenstimmrechts ist das Heiratsverbot noch gar nicht so lange her», gibt Leu zu bedenken. Insofern seien die fünf Staatssekretärinnen ein «starkes Signal» dafür, dass die Frauen in der Politik und der Verwaltung «oben angekommen sind».

Von einem «tollen Zeichen» spricht GLP-Aussenpolitikerin Tiana Moser. Die Schweiz habe in puncto Gleichstellung «zweifellos grossen Aufholbedarf». Die Staatssekretärinnen – «alles hochqualifizierte Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Biografien» – könnten andere Frauen dazu motivieren, auch in schwierigen Momenten in ihrer Karriere durchzuhalten und ihren Anspruch auf Führungspositionen geltend zu machen.

Beim Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EGB) spricht man von einem Signal dafür, dass die Schweiz im Bereich weiblicher Führungskräfte «langsam, aber sicher aufholt». Gleichzeitig dürfe diese Momentaufnahme den Blick auf die bestehenden Herausforderungen nicht verstellen. So beträgt der Frauenanteil im obersten Kader der Bundesverwaltung (ohne Armee und Grenzschutz) 23,4 Prozent. In der Privatwirtschaft liegt er bei 13 Prozent (Geschäftsleitungen) bzw. 24 Prozent (Verwaltungsräte). Das Ziel bleibe eine ausgewogene Vertretung beider Geschlechter auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens, sagt EBG-Sprecherin Sina Liechti.

 

Frauenherrschaft könnte bald enden

Als ehemalige Botschafterin im Iran kennt sich Staatssekretärin Livia Leu mit unausgewogenen Geschlechterverhältnissen aus: «Man kommt als Frau auch in solchen Situationen zurecht», sagt sie. Dennoch freut sie sich über die Zusammenarbeit mit den anderen Staatssekretärinnen und hofft auf «Vorbildwirkung» über die Bundesverwaltung hinaus. Es bleibe viel zu tun, die aktuelle Konstellation sei nur eine Momentaufnahme.

Diese könnte bald Geschichte sein, denn Seco-Chefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch tritt zurück. Der Bund sucht per 1. August eine Nachfolge. Das Stelleninserat ist geschlechtsneutral formuliert.

christoph bernet/ schweiz am wochenende

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.bild: watson/keystone

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