Die Frau an der Spritzpistole: Katharina Grosse berauscht mit ihrer ersten Einzelausstellung in der Schweiz

Fokus

Bote.ch – Anna Raymann – Bern widmet der Farbgigantin eine Einzelausstellung. Sie zeigt, dass Katharina Grosse auch im Kleinformat den Rahmen sprengt.

Der Anfang lag in einer Ecke. Grün angestrichen markiert diese 1998 in der Kunsthalle Bern einen wichtigen Moment in der Laufbahn einer der heute erfolgreichsten Malerinnen.

Katharina Grosse färbt seither Wände, und mehr: Ganze Räume samt Einrichtung tauchte sie in Farbe, wanderte vom Innen- in den Aussenraum, wo sie 2016 beispielsweise auf der Rockaway Peninsula, New York, eine seit dem Hurrikan Sandy verlassene Armee-Station mit Fuchsia übergoss oder 2017 im dänischen Aarhus einen kompletten Küstenstrich einen pinken Anstrich verlieh.

Katharina Grosse ist bekannt dafür, Grenzen, wenn vielleicht nicht zu überschreiten, dann doch grosszügig auszuweiten. Die «System-Sprengerin» nannte sie die Süddeutsche Zeitung. «Think Big!», heisst ein Dokumentarfilm über sie. «Imagine» titelt sie selbst, als sie 2020 eine Ausgabe der deutschen Vogue gestaltet.

25 Jahre nachdem die deutsche Künstlerin in der Kunsthalle Bern eine Ecke grün färbte, kehrt sie nun also in die Stadt zurück. «Studio Paintings 1988–2022» heisst die Ausstellung im Kunstmuseum Bern. Sie redimensioniert das bekannte Bild Katharina Grosses. Kuratorin Kathleen Bühler zeigt 43 Gemälde in der Schau, die mit dem Kemper Art Museum in St. Louis (US) entwickelt wurde. Die meisten von ihnen sind im allgemeinen Verständnis zwar grossformatig, aber klein im Vergleich. Es ist Malerei auf Leinwand. Wenn es denn so einfach wäre …

Kunst ist keine Fragestunde

In der Schaffenszeit von 1988 bis 2022 findet Grosse vom Pinsel zur Spritzpistole, vom Öl zum Acryl, vom Eckigen ins Runde (die Künstlerin ist übrigens auch Fussballexpertin), sie arbeitet dicht am Material und mit meterlangen Werkzeugen weit von ihm entfernt. Ist das alles wirklich gemalt ? Wo endet die Malerei, wo beginnt die Installation, die Aktion? «Wenn man malt, ‹befragt› man die Kunst nicht», greift Katharina Grosse die Kunstkritikerinnenfloskel auf, die schon auf der Zunge liegt. «Genauso wenig befragt man das Kochen, wenn man kocht.» Die Künstlerin ist für die Ausstellungseröffnung in Bern anwesend, sie spricht überlegt – druckreif. Sie ist gewohnt, Kunst begreiflich zu machen. An verschiedenen Akademien hatte sie Professuren unter anderem in Düsseldorf, wo die heute 61-Jährige in den 90er Jahren selbst beim Maler Gotthard Graubner studierte. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin und Neuseeland.

Die Atelierarbeiten, wie sie in Bern zu sehen sind, begleiten die Künstlerin seit der Studienzeit. Mal sind sie Recherche, mal Nacharbeit. Wo die frühen Werke aus der Intuition schöpfen, wird es bald strukturierter, methodischer. Der verdichtete, fast monochrome Farbauftrag bricht zunehmend auf. Die einzelnen Farbschichten bahnen sich Wege, die Grundierung dringt an die Oberfläche, die wiederum zerschnitten die Wand dahinter freilegt.

Farbe berührt wie ein gutes Musikstück

Star der Ausstellung und eigenmächtige Muse von Katharina Grosse ist die Farbe. Wer meint, es brauche ein Motiv, um ein Bild zu verstehen, wird von ihr eines Besseren belehrt. Farbe sei ihr auch deshalb so wichtig, weil sie Resonanz erzeuge, meint die Künstlerin: «Bevor du es bewusst merkst, reagierst du instinktiv darauf, wie wenn in einer Theateraufführung oder einem Konzert eine Stimme dich anrührt, bevor du die Worte oder den Liedtext verstehst.» Auch vor kleineren Formaten versetzt sie ihr Publikum in einen beschwingten Farbrausch.

Die Atelierarbeiten, wie sie in Bern zu sehen sind, begleiten die Künstlerin seit der Studienzeit. Mal sind sie Recherche, mal Nacharbeit. Wo die frühen Werke aus der Intuition schöpfen, wird es bald strukturierter, methodischer. Der verdichtete, fast monochrome Farbauftrag bricht zunehmend auf. Die einzelnen Farbschichten bahnen sich Wege, die Grundierung dringt an die Oberfläche, die wiederum zerschnitten die Wand dahinter freilegt.

 

Ihre Bilder entstehen schnell, im Flow, aber mit schwerem Geschütz. Die Spritzpistolen, mit denen sie heute überwiegend arbeitet, kommen aus der Industrie, dazu gebaut, Küchenfronten einzufärben. Ein Overall wie beim «Tatort» und eine Maske wie vom Seuchenschutz schirmen verirrte Farbspritzer ab. Es ist harte Arbeit. Doch nach Versuchen mit Video und Fotografie kehrte sie zur Farbe zurück. Sie brauche den Körper, um besser denken zu können. Ihre Bilder, auf denen Abdrücke und Fussspuren zu sehen sind, skizzieren einen taktilen Gegenentwurf in einer medial geglätteten Welt. Vor einigen Jahren bestellte sie sich zwei Tonnen Erde ins Atelier, um sie als durchlässige Schablone zu verwenden. Inzwischen ist sie auf leichtere Folien umgestiegen. Hölzer, halbe Bäume gar, lässt sie über die Farbe direkt mit dem Bild verschwimmen. Einmal mehr sprengt sie den Rahmen. Grenzen interessierten sie, sagt Katharina Grosse in Bern, denn sie seien der beste Raum für Verhandlungen. Das mag auf der Leinwand gelten, aber womöglich auch darüber hinaus.

bis 25. Juni, Kunstmuseum Bern.
Zur Ausstellung erscheint ein gleichnamiger Katalog bei Hatje Cantz.

Der Artikel von Anna Raymann

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