Anaïs Keller aus Aarau über ihre ersten Tage als Nichtraucherin: «Manchmal fühlte es sich an, als fehle mir ein Körperteil»

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Aargauer Zeitung – Livia Häberling

Am 1. November ist das nationale Programm «Rauchfreier Monat» gestartet. 8000 Personen nehmen teil – auch die 42-jährige Anaïs Keller. Nach knapp 30 Jahren Abhängigkeit soll Schluss sein mit dem Qualmen. Die AZ begleitet sie dabei.

An einem Mittwochnachmittag in den 90ern stand Anaïs Keller auf einem Pausenplatz und fühlte sich erwachsen, ein bisschen rebellisch auch. 13 Jahre war sie jung und alt genug, «es» mal auszuprobieren, wie sie fand. So paffte sie mit einer Freundin ihre erste Zigarette.

Zweimal war sie schwanger, eine dritte Pause gelang ihr zu Beginn der Coronapandemie. Ansonsten rauchte Anaïs Keller seither eine Schachtel pro Tag. So fand, zurückhaltend geschätzt, der Rauch von ungefähr 200’000 Parisienne-Zigaretten den Weg in ihre Lungen.

Keller kennt die Kaskade des Rückfalls: ein Verlangen, ein Zug auf Probe, eine ganze Zigarette. Später ein eigenes Päckchen, weil schnorren doof ist. Es sind flache Stufen, hinunter in die Abhängigkeit. Ein Atemzug macht den Unterschied.

Jede vierte Person in der Schweiz raucht

Jetzt will Anaïs Keller einen Schlussstrich ziehen. Die Zigarette, die sie sich am 31. Oktober auf ihrem Balkon angezündet hat, soll die letzte gewesen sein. Rund 8000 Raucherinnen und Raucher haben sich das Gleiche vorgenommen. Sie wollen nicht mehr zum Anteil der Schweizer Bevölkerung gehören, der regelmässig zum Glimmstängel greift. Bei der letzten Erhebung des Bundesamts für Statistik im Jahr 2017 waren das bei den über 15-Jährigen insgesamt rund 27 Prozent.

Glücken soll der Ausstieg mit dem Programm «Rauchfreier Monat». Dieses ist kostenlos und wird vom Tabakpräventionsfonds und von mehr als 30 lokalen sowie nationalen Partnern getragen. In der Vergangenheit hat es mit «Stopgether» ein ähnliches Projekt gegeben. Dieses war mit 2000 Teilnehmenden allerdings deutlich weniger beliebt.

Beim neu initiierten Programm sei nicht nur die Teilnehmerzahl höher, auch die Betreuung vor, während und nach dem Rauchstopp-Monat sei intensiver, erklärt Claudia Künzli von der Lungenliga Schweiz, die das Projekt mitfinanziert. So erhielten die Teilnehmenden jeden dritten Tag einen Newsletter, der zum Dranbleiben motivieren soll, und neben Facebook stünden weitere Kommunikationskanäle zur Verfügung.

Kein abhängiger Mensch mehr sein

Längst nicht jede Person, die raucht, möchte damit aufzuhören. Gemäss Schweizer Monitoringsystem Sucht und nicht übertragbare Krankheiten ist es die Hälfte, die den Ausstieg sucht. Aufhörwillige sind mehrheitlich zwischen 30 und etwa 60 Jahre alt.

Anaïs Keller liegt in dieser Altersspanne: Sie ist 42-jährig, und obwohl sie sagt, bisher körperlich kaum Schäden gespürt zu haben, war da in der zweiten Oktoberhälfte wieder diese Kurzatmigkeit. Zudem steuern auch ihre beiden Kinder, bald 13 und zehn, auf die heikle Lebensphase zu, in der sie einst selber schwach geworden war.

Zur Vorbereitung auf ihre Entwöhnung hat Anaïs Keller die Programmunterlagen quergelesen, die sie per E-Mail erhalten hat. Daraus hat sie einige Tipps notiert. Zudem hat sie angefangen, Podcasts zu hören, die sich mit Meditation und der Änderung von Gewohnheiten beschäftigen. Ansonsten lautet ihr Plan: Alles so machen wie immer – nur ohne Zigaretten. Und an den Leitspruch denken, wozu sie das alles macht:

Anaïs Keller will nicht mehr automatisch zur Schachtel greifen, sobald sie ihren Kaffee getrunken hat, an der Bushaltestelle wartet, Stress hat, Freunde trifft, gegessen hat, im Ausgang ist oder auf dem Balkon den Abend ausklingen lässt. Sie will kein abhängiger Mensch mehr sein.

Als wäre ihr Körper nicht mehr komplett

Um das Verlangen nach Nikotin gar nicht erst zu wecken, hat sie geplant, morgens Tee zu trinken statt Kaffee. Und für den Fall, dass die Lust dennoch in die Aufhörpläne reingrätschen würde, hat sie sich ein paar Kniffe überlegt. Statt nach der Zigi will sie zum Wasserglas greifen, nach einem kleinen Früchtesnack oder zur Not halt nach Nikotin-Kaugummis.

Wie es ihr in den ersten Tagen ergangen ist, berichtet sie in einem Café in Aarau. Am Abend des 31. Oktobers habe sie sich auf ihren Balkon gesetzt und drei letzte Zigaretten geraucht. Das Foto von diesem Moment habe sie auf Facebook mit anderen Programmteilnehmenden geteilt. Am Tag darauf habe sie morgens Tee getrunken, sei zur Arbeit gegangen. Alles wie immer…

… wären da nicht die Schweissausbrüche, die Müdigkeit und das Zittern gewesen. Und die Wehmut, die in schwachen Minuten tränige Gedanken evozierte: nie wieder eine Zigarette anzünden. Obwohl es doch schön war, irgendwie. «In manchen Momenten fühlte es sich an, als fehle mir ein Körperteil.»

In den ersten acht Tagen hat sie 63 Franken gespart

In den ersten drei Tagen hat Anaïs Keller auf Nikotinkaugummis zurückgegriffen, um die Entzugserscheinungen abzufedern. Auch die anderen Tricks helfen ihr: durchatmen, ein Glas Wasser trinken.

Und hin und wieder auf die App gucken, die zählt, wie viel Geld sie bisher als Nichtraucherin gespart hat, seit sie keine Zigaretten mehr kauft. Bis Dienstag waren es 63 Franken und bis zum Ende dieses Monats werden es über 200 Franken sein.

Wenn Anaïs Keller durchhält.

Der Artikel von Livia Häberling

Bild Mathias Förster

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