4 Femizide in den letzten 8 Tagen: Warum es gefährlich ist, eine Frau zu sein

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watson.ch – Helene Obrist – 

Seit Anfang Oktober wurden drei Frauen und ein Mädchen getötet.

In allen Fällen ist davon auszugehen, dass sie auch getötet wurden, weil sie Frauen waren. Es sei Zeit, dass die Behörden über Femizide sprechen, sagt eine Expertin.

13. Oktober: Eine 30-jährige Frau wird in Altstetten (ZH) erstochen – mutmasslich von ihrem Mann.

16. Oktober: Im Netstal im Kanton Glarus soll ein 27-Jähriger eine 30-jährige Frau in seinem Auto erschossen haben.

18. Oktober: In Rapperswil-Jona (SG) werden ein Mann und dessen 12-jährige Tochter tot aufgefunden. Die Polizei geht davon aus, dass der Vater zuerst seine Tochter erschossen und sich dann selbst das Leben genommen hat.

21. Oktober: Am frühen Donnerstagmorgen wird eine 58-jährige Frau in Vandoeuvres (GE) mutmasslich von ihrem Ehemann erschossen.

Das sind vier Femizide in nur acht Tagen. Vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen als Femizid definiert sind Tötungen von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. «Die Opfer sind in der Regel Frauen, die Täter meist Männer. Diese töten ‹ihre› Ehefrauen, ‹ihre› Verlobten, ‹ihre› Exfreundinnen, weil sie sie nicht gehen lassen, sondern besitzen wollen», schreiben die zwei deutschen Journalistinnen Laura Backes und Margherita Bettoni im Buch «Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen.»

Keine offiziellen Zahlen

Offizielle Statistiken, wie viele Frauen in der Schweiz jährlich getötet werden, gibt es nicht. Das Bundesamt für Statistik (BfS) weist aktuell nur Gewaltstraftaten nach Geschlecht und im Bereich häusliche Gewalt aus. Das Motiv oder der Tathintergrund wird jedoch nicht erfasst.

Weil vom Bund auf die Schnelle nichts kommt, sprangen private Akteurinnen in die Bresche: Im September 2020 starteten die Journalistin Sylke Gruhnwald, die Wissenschaftlerin Nadia Brügger und die Grafikerin Pauline Martinet das Rechercheprojekt Stop Femizid.

Auf der gleichnamigen Webseite versuchen die drei Frauen jeden Femizid in der Schweiz oder an einer Schweizerin mit Ort und Zeit aufzulisten. Versuchen. Vollständig ist die Liste nicht, weil die drei Initiatorinnen keine Garantie liefern können, dass sie trotz Durchforsten von Polizeirapporten und Medienberichten von allen Femiziden erfahren.

23 Femizide seit Anfang Jahr

Trotzdem sprechen die Zahlen für sich. 23 Femizide in der Schweiz hat das Rechercheprojekt bislang aufgelistet. Bei zwei weiteren Fällen kam es zu Tötungen von Schweizerinnen im Ausland. Hinzu kommen acht versuchte Femizide.

Femizide und versuchte Femizide 2021

 

Zuhause ist es am gefährlichsten

Zahlen, die vom Bundesamt für Statistik (BfS) erhoben werden, sind jene zur häuslichen Gewalt. Im häuslichen Umfeld kommt es auch am häufigsten zu Femiziden. Doch nicht nur. Und genau diese Zahlen fehlen bislang.

2020 wurden 20’123 Straftaten im häuslichen Umfeld (Partnerschaft, ehemalige Partnerschaft, Eltern-Kind-Beziehung, restliche Familienbeziehung) vom BfS registriert. 28 dieser Straftaten endeten tödlich. 61 Mal kam es zu einem versuchten Tötungsdelikt.

Frauen werden nahezu viermal häufiger Opfer von versuchten und vollendeten Tötungsdelikten als Männer. Und das häusliche Umfeld ist am gefährlichsten: Dort enden Tötungsdelikte doppelt so oft tödlich als im ausserhäuslichen Bereich.

Die Sache beim Namen nennen

«Es braucht unbedingt präzisere Zahlen und zeitnahe Analysen zu Femiziden in der Schweiz», sagt Simone Eggler von Brava (ehemals Terres des Femmes). Und man müsse die Sache auch beim Namen nennen: «Wenn das Geschlecht bei einem Tötungsdelikt eine Rolle spielt, sollen auch die Behörden von einem Femizid sprechen. Bislang reden weder die Polizei noch der Bund von Femiziden. Tötungsdelikte werden in Polizeimeldungen immer noch als Beziehungsdelikte bezeichnet.»

Nur wenn man die Fälle genau untersuche, könne man in Zukunft auch gezielter dagegen vorgehen, so Eggler weiter. «Mithilfe dieser Analysen hätte man auch noch mehr datenbasiertes in der Hand, um aufzuzeigen, wie wichtig es ist, dass Beratungsangeboten und Schutzunterkünften vollständig öffentlich finanziert werden oder dass wir nationale Informationskampagnen in Angriff nehmen müssen.»

 

Der ganze Artikel mit Zahlen und Fakten auf watson.ch

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