
watson.ch – Als Social Entrepreneur will Mélanie Lutz das Geschäftliche mit einem sozialen Nutzen verbinden. Wie zermürbend das sein kann und welche Energie das erfordert, musste sie in einem der ärmsten Länder der Welt erfahren.
Junge Arbeitnehmende und Unternehmer:innen sind idealistischer geworden. Umfragen und Studien belegen, dass die Bedeutung des Lohns abnimmt, während etwa Work-Life-Balance oder eben höhere Ziele wichtiger werden. So auch bei Mélanie Lutz. Die französisch-schweizerische Doppelbürgerin wusste bereits früh, dass sie keine herkömmliche Berufskarriere machen wollte. Sie nutzte ihr Studium als Bauingenieurin an der HEPIA in Genf und ihre Berufserfahrung, um unter anderem in Nicaragua mit einer NGO soziale Bauprojekte zu unterstützen.
Nach ihrer humanitären Arbeitserfahrung in mehreren Ländern gründete die 32-Jährige das Startup Hurbanity, um Menschen ein menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen. Social Entrepreneurship lautet der Fachbegriff. Er beschreibt den Spagat zwischen unternehmerischem Denken und sozialem Mehrwert. Was das heisst, erzählt Mélanie im Interview.
Hast du schon immer Sinnhaftigkeit in deinem Tun gesucht?
Ja, schon seit ich 14 bin wollte ich im humanitären Bereich arbeiten. Ich habe meine berufliche Karriere danach ausgerichtet. Werte sind für mich wichtiger als alles andere. Und dadurch, dass ich in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen bin, habe ich auch diese Seite früh kennengelernt.
Du bist deinem Berufswunsch als Bauleiterin gefolgt und hast das FH-Studium zur Bauingenieurin absolviert. Wie war die Erfahrung in diesem männerlastigen Umfeld?
Wir waren im letzten Studienjahr gerade einmal drei Frauen unter 20 Studierenden in meiner Klasse. Und bei der Arbeit nach dem Studium waren wir sogar unter 130 Personen nur drei Frauen auf der Baustelle. Grundsätzlich sind die Männer froh, auch Frauen um sich zu haben bei der Arbeit. Dennoch gab es auch schwierige Situationen. Zum Beispiel wurde ich als Bauleiterin oft gefragt, wann denn mein Praktikum zu Ende sei. Also da war die Kompetenzfrage. Oder ich wurde schlicht ignoriert. Einerseits bin ich dem mit Humor begegnet, andererseits mit Taten. In Nicaragua zum Beispiel. Dort war es anfangs schwierig. Alles ist stramm hierarchisch. Man hat deshalb zwar meine Anweisungen befolgt, mich aber kaum gegrüsst. Doch einmal hatte ein Arbeiter ein Problem mit seinem gelben Arbeiterhelm. Ich gab ihm also meinen weissen, den eigentlich nur höher gestellte Mitarbeitende tragen. Ich hielt das für eine Selbstverständlichkeit. Für die Mitarbeitenden hingegen war das eine ausserordentliche Geste. Von da an wurde ich ganz anders respektiert.
Wie hast du die Arbeit in Nicaragua erlebt?
Nicaragua ist das zweitärmste Land hinter Haiti in Lateinamerika. In diesem Sinne haben diese zwei Jahre mein Leben verändert. Ich habe die dortigen Bauingenieure unterstützt, zum Beispiel beim Überblicken und Management von sozialen Wohnbauprojekten. Sie zeigten mir wiederum, wie man mauert. Ich kannte bis anhin nur die Arbeit mit Beton. Mit der Zeit habe ich auch Arbeiter weitergebildet. Mit relativ wenig Unterstützung konnten wir so am Bau von Gebäuden grosse Fortschritte erzielen. Diese Zeit hat aber auch meine Sicht auf humanitäre Arbeit verändert.
Wie?
Ich sah, wie unglaublich viel Zeit und Energie eine NGO aufwenden muss, um Geld aufzutreiben. Man muss immer wieder das Projekt anpassen, damit es den Geldgebern passt, kann sich kaum auf die Kernaufgaben konzentrieren. Es ist sehr zermürbend. Dies reduziert schliesslich die Wirkung und drückt auf die Innovation.
Das war also der Grund, warum du Hurbanity gegründet hast?
Ja, genau.