Lieber Fintech als Femtech – warum Investoren keine Frauen fördern

Fokus

elleXX – Samantha Taylor

Wer keine Periode hat, sieht auch ihr Geschäftspotenzial nicht. Ideen weiblicher Gründerinnen haben es bei männlichen Kapitalgebern besonders schwer. Lost in translation: Teil 2 von «Female Founders» zeigt, wie Gründerinnen und Investoren aneinander vorbeireden – und wie sie sich besser verstehen.

Wir müssen die Veränderung sein, die wir sehen wollen.

Belén Bolliger (36) hat gemeinsam mit Anna Mucha im Jahr 2020 OiOiOi gegründet.  Das Unternehmen bietet BioKleidung für Babys und Kinder im Abomodell an. Die Founders schliessen aktuell ihre erste Investitionsrunde ab.

Wir waren bisher selbst finanziert und schliessen gerade unsere erste Investitionsrunde ab. Obwohl sich die Start-up-Szene bemüht, sich Richtung Gender-Equality zu entwickeln, hinken wir in der Schweiz im internationalen Vergleich ernüchternd weit hinterher. Gründerinnen werden nach wie vor mit Vorurteilen konfrontiert, wovon die männlichen Kollegen wenig mitbekommen. Auch wir haben dies mit unserem Business erfahren. Das liegt einerseits am Geschäftsfeld: Unsere Zielgruppen sind Mütter und Väter. Es geht um Babys und Kinder. Mit dieser Ausgangslage wurde unser Business ungewollt immer wieder in eine Ecke gestellt, in die es nicht gehört. Es ist kein Projekt. Wir haben eine Vision: Wir wollen den Kinderkleidermarkt revolutionieren, indem wir die nachhaltigste Mietlösung auf dem Markt bieten. Es ist ein zeitgemässer und skalierbarer Service für die Eltern von heute.

Dads haben coole Start-ups, Moms Projekte

Auf der anderen Seite bekommen wir tatsächlich immer wieder mal die Frage nach der Vereinbarkeit gestellt. Hätten anstelle von uns zwei Männer gepitcht und gesagt: «Hey, wir sind Väter und haben festgestellt, dass es eine Lücke in Sachen Kinderkleider gibt. Da ist ein Markt, der danach schreit, bedient zu werden, und der nachhaltige und praktische Lösungen braucht.» Die Investor:innen würden sagen: «Wow, das sind tolle Dads mit einer coolen Idee.» Vereinbarkeit von Familie und Unternehmen wäre kein Thema. Der Fokus läge klar auf der Vision des Unternehmens. Das sollte bei Frauen nicht anders sein.

Damit sich dies ändert, braucht es mehr Diversität auf der Gründer:innen- und Investor:innenseite. Diese Vielfalt muss verstärkt und systematisch gefördert werden. Nur so wird das Start-up-Ökosystem inklusiver und attraktiver. Es braucht jetzt einen Push, damit wir langfristig eine Balance finden. Investor:innen müssen bemüht sein, für anstehende Investitionsrunden eine spannende Pipeline an female-founded Start-ups sicherzustellen. Gründerinnen hingegen sollten so viel wie möglich von bestehenden Angeboten und Netzwerken profitieren, um das Ökosystem zu beeinflussen. Wir müssen die Veränderung sein, die wir sehen wollen, und dürfen nicht einfach auf diese warten.

Ich spüre heute aber mehr Drive in der Female-Start-up-Szene und habe auch viele gute Begegnungen. Die Gründerinnen-Community wächst. Die Stimmung hat sich in den letzten zwei Jahren positiv verändert. Der Mindset unter den Gründerinnen ist heute geprägt von Optimismus und dem Willen, voranzukommen. Man trifft auf Unterstützung, Offenheit, Transparenz und Motivation. Auch die VC-Seite bewegt sich. Partner- und Analystenpositionen werden vermehrt mit weiblichen Experten besetzt. Das ist wichtig, um dem Similarity-Bias, sprich dem urmenschlichen Bedürfnis, mit ähnlichen Menschen und Gleichgesinnten zusammenzuspannen, entgegenzuwirken. Denn diesen gibt es durchaus noch.

 

Die fehlende Betroffenheit ist für uns eine Herausforderung. Damit geht oft ein mangelndes Interesse an Femcare und Femtech einher.

 

Elisabeth Dewey (49) hat im Jahr 2018 gemeinsam mit Nancy Saddington Organic Mondays gegründet. Ihr Start-up bietet nachhaltige, plastikfreie Menstruationsprodukte für Privatpersonen und Unternehmen im Abo an.

Die Idee für Organic Mondays ist über Jahre gewachsen. Meine Co-Founderin hat nach der Geburt erfahren, dass die handelsüblichen Binden Plastik enthalten, was der Gesundheit schadet. Gleichzeitig ist uns aufgefallen, dass sich Femcare in den letzten Jahren kaum weiterentwickelt hat. Die Regale in den Läden sehen aus wie vor 20 Jahren. Die selben Produkte, die selben Marken.

Im Kickstart-Programm und bei der Investor:innensuche lernten wir schnell, wie wichtig es ist, zu wissen, mit wem man spricht. Sassen uns Frauen gegenüber, waren die Fakten zum Plastik und die Auswirkung auf die Gesundheit unsere Hauptbotschaft. Das hat bewegt und schockiert.

Lost in Translation – Periodenprodukte sind keine Nische

Bei Männern mussten wir anders vorgehen. Wir haben unseren Pitch so angepasst, dass wir mit einem Beispiel aus ihrer Lebenswelt einstiegen. Wir hatten grundsätzlich viele Interessenten und gute Gespräche. Trotzdem war die fehlende Betroffenheit für uns eine Herausforderung. Damit ging oft ein mangelndes Interesse an Femcare und Femtech einher. So kommentierten Investoren beispielsweise, dass wir ein Nischenprodukt anbieten. Dabei nutzen 50 Prozent der Bevölkerung während rund der Hälfte ihres Lebens Binden oder Tampons. Ein anderer Investor hat uns einmal korrigiert, als wir uns als Femtech-Unternehmen vorstellten. Er sagte: «Ihr meint wohl Fintech, oder?» Das war im Jahr 2019!

Als Gründerin darf man solche Situationen nicht persönlich nehmen und muss einfach aus ihnen lernen. Wir haben uns gesagt: Hätten wir ein Medtech- oder Biotech-Unternehmen, müssten wir unserem Gegenüber auch vieles von Grund auf erklären. Das ist bei Femtech nicht anders. Für uns hiess das, dass wir Zahlen und Erklärungen liefern mussten – einerseits zum Markt, andererseits zur Periode. Was ist die Periode? Wie lange dauert sie? Wie viele Produkte braucht eine Frau?

Bewertungen von Start-ups kalkulieren Männer

Wir haben auch immer mal wieder die klassischen «Frauen-Fragen» gestellt bekommen: «Was hält Ihr Mann von Ihrer Idee und davon, dass Sie ein Start-up gründen? Wie werden Sie das mit der Familie regeln?» Damit das aufhört, braucht es Veränderungen in den Köpfen jedes Einzelnen und im System als Ganzes. Auf Investor:innenseite fehlen die jungen Frauen. Die Bereiche Research und Analyse sind in Männerhand. Das hat Folgen für die Entscheidungen und Bewertungen. Hier wäre ich für eine Quote. Es muss sichergestellt sein, dass genügend Frauen auf Investor:innenseite tätig sind und ihre Sicht einbringen. Wichtig finde ich auch, dass Pitches genderneutral werden. Natürlich geht das nicht bei allen Themen gleich gut. Ich bin aber überzeugt, dass so Raum für Veränderung entstehen kann. Wir sind alle Menschen, und wir alle haben unbewusste Vorurteile, die uns lenken und unsere Entscheidungen beeinflussen. Wir müssen Wege finden, diese Vorurteile zu umgehen oder auszuschalten.

Der Artikel von Samantha Taylor

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