Trinken bald nur noch «die Alten»? Alkoholfrei wird immer mehr zum Trend

Fokus

watson – Nicole Krättli

Die Gen Z trinkt weniger als die Millennials, die Millennials weniger als die Babyboomer. Kein Wunder also entwickelt sich «alkoholfrei» immer mehr zum Trend.

Freitagabend in einem GaultMillau-ausgezeichneten Restaurant in Zürich. Zum Dreigänger gibts hier nicht nur die übliche Wein-, sondern auf Wunsch auch eine hybride- oder gänzlich alkoholfreie Essensbegleitung.

Das Ganze wird auf der Karte mit «Stilvolle 0,0 %» angepriesen. Statt Prosecco zum Apéro gibts also Sparkling Tea aus Deutschland, statt Weisswein zur Vorspeise bekommen promillesensible Geniesserinnen Well Hirschbirne vom österreichischen Obsthof Retter ausgeschenkt und zum Hauptgang gibts Berliner Kolonne Null statt des obligaten Rotweins.

Rauschfrei: Generation Dry

Die Europäer trinken weniger Alkohol. Das hat eine Befragung des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung ergeben. Demnach ist der Alkoholkonsum seit Beginn der Pandemie in allen europäischen Ländern – mit Ausnahme von Irland und Grossbritannien – gesunken. Ähnliche Tendenzen lassen sich in den USA, Australien und Neuseeland beobachten.

 

«Gemeinsamer Alkoholkonsum steht immer weniger im Zentrum gesellschaftlicher Interaktion – zumindest bei den jüngeren Generationen»

 

Besonders spannend, ist die Kluft zwischen den Generationen. Die Gen Z trinkt 20 Prozent weniger als die Millennials, die Millennials zwölf Prozent weniger als die Babyboomer. «Seit Covid ist das Gesundheitsbewusstsein massiv gestiegen. Gemeinsamer Alkoholkonsum steht zudem immer weniger im Zentrum gesellschaftlicher Interaktion – zumindest bei den jüngeren Generationen», erklärt Pam Hügli, Co-Studiengangleiterin des CAS Brand Leadership HWZ und CEO von Serviceplan Suisse. Hinzukommt, dass Gesundheitstrends wie der Sober Oktober (nüchterner Oktober) oder Dry January (trockener Januar) an Beliebtheit gewinnen – Monate also, in denen gänzlich auf Alkohol verzichtet wird, um der Leber eine Auszeit zu gönnen.

Null Promille in allen Variationen

Diese Entwicklung bekommen auch Bars und Restaurants zu spüren. Einen ausgefallenen Drink, ja. Aber bitte alkoholfrei. Wo ein Bedürfnis, da ein hippes Start-up, um es zu befriedigen. Und so schiessen Low- und Non-Alkohol-Getränke wie Pilze aus dem Boden. Vorbei die Zeiten, in denen alkoholfrei automatisch Wasser, Coca-Cola oder Rimuss bedeutete. Längst gibt es neben alkoholfreiem Bier auch alkoholfreien Gin, Vermouth, Rum, Whisky, Likör, Wein und Schaumwein.

 

«Um sich auf dem schnell wachsenden Markt zu behaupten, müssen die Produkte jung, frisch, modern und trendig wirken.»

 

Die Vermarktung ist entscheidend

Denn was den hippen, veganen, nachhaltigen, lokalen 0-Prozent-Gin vom verpönten Rimuss unterscheidet, ist nicht in jedem Fall der Geschmack, sondern vor allem der Lifestyle, der damit assoziiert wird. «Es geht um die Geschichte hinter dem Produkt und um die Werte, die mit einem Getränk verkauft werden» erklärt Hügli. Und die Entwicklung endet nicht bei den Getränken. In Grossstädten wie London oder New York gibt es mittlerweile immer mehr Bars, die nicht nur ihr Mocktail-Angebot stark ausbauen, sondern gleich gänzlich auf Alkohol verzichten.

Trotzdem sieht Hügli noch einen weiten Weg, bis bei einem schönen Abendessen mit Freunden tatsächlich niemand mehr die Augenbraue hochzieht, wenn sich jemand für einen alkoholfreien Drink entscheidet oder Frauen umgehend gefragt werden, ob sie denn schwanger sind. «Während es bei der jungen, urbanen Bevölkerung mittlerweile völlig normal ist, keinen Alkohol zu trinken, gibt es immer noch eine Generation, in der man sich durchaus erklären muss, wenn man ausnahmsweise nicht mit Rotwein anstossen möchte. Doch das wird sich bald ändern», ist Hügli überzeugt.

Der Artikel von Nicole Krättli

illustration: tatiana spogis

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