Vera Aebi im Gespräch mit Isabella Biermann

Talk

«Trust the process». Nimm deine Verantwortung wahr.

Vertrau darauf, dass alles einen Sinn hat und tritt einen Kontroll-Schritt zurück. Lass den Dingen und Prozessen ihren Weg gehen. Sei dir gleichzeitig aber auch der Verantwortung bewusst, die du als Teil eines grösseren Ganzen hast.

Isa habe ich durch einen früheren Job bei einem Startup, das kreative Räume für Zusammenarbeit anbietet, als inspirierende und engagierte Arbeitskollegin kennen- und schätzen gelernt. Vorab zum Gespräch kamen mir aus dem Bauch heraus folgende Attribute zu ihr in den Sinn: Sprudelnd, echt, frisch und frei heraus, ehrlich, engagiert, authentisch, Powerfrau, begeisternd, kommunikativ, offen, aufgeschlossen, neugierig, zuverlässig, reflektiert, reflektierend, weltverbesserisch, passioniert, Begegnung auf Augenhöhe, unvoreingenommen. Jede Menge positiver Eigenschaften, die sich im Heldinnen-Gespräch wieder bestätigt haben. Ich schätze Isa als Mensch sehr und gleichzeitig verbindet uns auch unsere Passion für die Gestaltung sozio-kultureller Räume. Sie lebt das durch Stadtentwicklung & Urban Design, ich bei zukunftsweisenden Wohnformen & im Siedlungskontext.

Die Balance zwischen Vision (innerem Feuer folgen) und Tatkraft (Dinge auf den Boden bringen), zwischen klarer Ausrichtung und Fliessen lassen, zwischen authentischem & aufrichtigem Ich-Sein und verbindendem WIR, macht für mich Isabella’s Heldinnenkraft aus. Sie lebt klar und echt das, was ihr wichtig ist und setzt sich passioniert und mit Feuereifer auf verschiedenen Ebenen für einen (System-)Wandel ein.


Talk

 

Einmal Bern … und wieder retour. Liebe Isa, als wir uns kennengelernt haben hast du in Bern gewohnt. Seit ein paar Monaten wohnst du wieder dort. Dein Leben hat aber verschiedene andere Lebensmittelpunkte gesehen: Von Friedrichshafen, Madrid, Hamburg bis nach Kopenhagen. Letztere Station war eine Entscheidung quasi aus dem Nichts heraus. Was hat dich bewogen, nach Kopenhagen zu gehen?

An sich habe ich mich in diese Stadt schon 2013 verliebt, bei meinem ersten Besuch dort. Damals war es «einfach» ein Gefühl. Schon da wusste ich, dass ich unbedingt einmal dort leben möchte. Als ich mich dann mehr mit Stadtplanung beschäftigt habe, unter anderem mit Jan Gehl – ein dänischer Stadtplaner, der die Stadtentwicklung von Kopenhagen als Stadt, wie sie heute ist, massgeblich mitgeprägt hat, – habe ich noch einmal einen anderen Blick auf diese Stadt bekommen. Und hatte noch mehr Lust, dort zu wohnen.

Durch mein Masterstudium «Urban Design» war ich dann bereits recht nördlich, nämlich in Hamburg, zuhause. Eigentlich wollten wir (mein Partner und ich) nicht noch weiter in den Norden, des Klimas wegen. Auf unserer Liste von Städten, die uns zum Leben interessieren würden, ist dann aber doch Kopenhagen als eine von vier Städten wieder aufgetaucht.

 

Wie sollte eine Stadt denn sein, damit du dort gerne leben möchtest?

Das Gefühl, ob es mir in einer Stadt gefällt oder nicht, macht für mich enorm viel aus. Im Grunde genommen entsteht dieses Gefühl aus einer Mischung aus Urbanität und entsprechender Energie und gleichzeitig hoher Lebensqualität mit viel Grünräumen und überschaubaren Distanzen. Hamburg ist für mich ein gutes Beispiel für solch eine Stadt: Hamburg hat Grossstadtflair und urbanen Charakter und ist doch so gebaut, dass jede:r in 20 bis maximal 25 Minuten mit dem Fahrrad überall hinkommt.

Ausserdem sind wir beide Designer. Daher ist es uns ein grosses Bedürfnis, in einer Stadt auch ästhetisch abgeholt zu werden. Die nordischen Städte wie Kopenhagen setzen diesen ästhetischen Anspruch sehr gut um.

 

Und was hat den Ausschlag gegeben, dass ihr nach Kopenhagen gegangen seid? Hattet ihr ein Jobangebot oder eine Wohnung in Aussicht?

Keines von beidem. Letztlich haben wir das aus dem Bauch heraus entschieden, wie ich auch sonst oft auf mein Bauchgefühl höre. Ich habe unsere Wohnung gekündigt, ohne dass wir etwas anderes gehabt hätten. Genau der Druck, der dadurch entstanden ist, hat uns aber geholfen, die nächsten Schritte in die Wege zu leiten.

 

Das nenne ich mutig! Einfach mal drauflos den Schritt ins «openland» zu tun, ohne zu wissen, was als nächstes kommt. Ist dir da nicht in bestimmten Momenten das Herz in die Hosen gerutscht?

Und wie! Nachdem wir diesen Schritt getan hatten, hatte ich erstmal Panik. Um ins Land zu gelangen brauchten wir wegen Corona eine so genannte CPR Nummer, allerdings war diese nur persönlich vor Ort zu beantragen. Dazu kommt: diese Nummer bekommst du nur, wenn du einen Wohnsitz bzw. eine Adresse hast. Und für eine Wohnung wiederum musst du nachweisen, dass du einen Job hast, mit dem du die Miete bezahlen kannst. Ziemlich verzwickt also, wenn du weder das eine noch das andere hast.

 

Und wie kam es, dass es letztlich geklappt hat?

Da kam uns sicher eine grosse Portion Glück zugute. Gleichzeitig haben wir darauf vertraut, dass sich ein Weg finden wird. Wir haben glücklicherweise recht schnell mittels einer Facebook-Gruppe ‚Deutsche in Kopenhagen‘ ein Wohnungsangebot bekommen, noch dazu genau in meinem Lieblingsviertel in Kopenhagen, einer kleinen Fussgängerstrasse mit Kopfsteinpflaster.

 

Also Ende gut, alles gut?

Fast. Bevor wir nämlich unsere tolle Hochparterre-Wohnung in Kopenhagen beziehen konnten, wurde unsere Entscheidung nochmal auf die Probe gestellt: Alles war gepackt, unsere restlichen Sachen in Hamburg untergestellt. Und dann wurden einen Tag vor unserer Ausreise wegen Covid und Lock-Down auf einmal die Einreisebestimmungen nach Dänemark geändert. Wir wussten also, als wir losfuhren nicht, ob wir überhaupt über die Grenze kommen. Wir sind dann mit dem Zug los, hatten keine CPR-Nummer (da diese erst vor Ort beantragt werden kann) und das Resultat unseres Covid-Tests lag ebenfalls noch nicht vor. So standen wir an der Grenze und die Grenzpolizistin wollte CPR-Nummer und Covid-Test sehen. Beides hatten wir nicht. Wir haben schon damit gerechnet, wieder umdrehen zu müssen. Doch dann hat uns die Polizistin einfach Vertrauen geschenkt und gesagt: «Ok, ich glaube euch.».

 

[ «Trust the process» – es wird gut werden. ]

Das hat mir einmal mehr gezeigt, wie wahr doch die Weisheit ist, die mir eine Freundin einmal mit auf den Weg gegeben hat: «Trust the process». Dieser Spruch begleitet mich schon seit einiger Zeit und bestätigt sich immer wieder in meinem Leben. Den Glauben ins Laufende zu behalten und darauf zu vertrauen, dass sich die Lösung abzeichnen wird, auch wenn sie vielleicht gerade (noch) nicht sichtbar oder auch erst am Entstehen ist.

Wir wollen oft alles kontrollieren: unseren Körper, unsere Ernährung, unseren Schlaf, … Dabei würde es uns so gut tun, mal einen Schritt zurückzutreten und die Planungshoheit abzugeben – darauf vertrauen, dass die Dinge ihren Lauf zum Guten nehmen und schauen, wohin uns dieser Prozess führt. Das macht vieles leichter. Mein Leben ist so leichter geworden.

 

Auf LinkedIn verwendest du die Aussage: «When nothing is sure, everything is possible» von Margaret Drabble. Da kommt genau dieses Vertrauen zum Ausdruck, das du gerade beschrieben hast. Ebenso wie dein offener Geist, der sich auf Neues und Ungewohntes einlassen kann. Genau die passenden Kompetenzen und Fähigkeiten für das aktuelle Zeitgeschehen, würde ich sagen.

 

Und jetzt seid ihr wieder zurück in Bern. Was war der ausschlaggebende Grund, Kopenhagen den Rücken zu kehren und wieder in die Schweiz zu ziehen?

Den einen Grund gab es nicht, das war vielmehr ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren: Zum einen spielte die Jobthematik eine grosse Rolle: Ich hatte mich sehr tief mit den kapitalistischen Strukturen auseinandergesetzt und dabei wurde mir bewusst, dass ich nicht einfach irgendeinen Brotjob machen möchte. Dadurch war zunächst erst einmal gar nicht richtig klar, wo ich überhaupt guten Gewissens arbeiten kann und will. Ausserdem kamen wir in Kopenhagen zu Beginn von Covid-Zeiten und Lockdown an und Jobs wurden, wenn, dann eher an Einheimische vergeben. Dann bekam ich meinen jetzigen Job in Basel angeboten, der so vielem von dem entspricht, wofür ich mich einsetzen möchte und womit ich auch wirklich etwas bewirken kann.

Zum anderen war das Klima in Dänemark – das wetterbedingte und auch das politische, das nicht sonderlich weltoffen ist – nicht unbedingt unser Ding. Wir haben diesen Umzug nach Kopenhagen von Anfang an als «Projekt» verstanden und haben nichts gross geplant oder erwartet. Irgendwie hat sich alles dann gefügt.

 

Da ist er wieder, dein Leitstern: «Trust the process.»

Mir ist aufgefallen, dass Interkulturalität und Interdisziplinarität eigentlich bei allem mitschwingt, was du tust. Du sprichst sechs Sprachen, hast einen Bachelor of Arts in Communication und Cultural Management in Friedrichshafen und Madrid gemacht. Und einen Master of Sciences in Urban Design in Hamburg draufgesetzt. Inwiefern gibt es da eine Brücke – was verbindet diese beiden Disziplinen?

Auch wenn mein Bachelor in Kommunikations- und Kulturwissenschaften einen anderen Fokus hatte als der non-konsekutive Masterstudiengang «Urban Design» (Anm.: ein Master, der inhaltlich-fachlich nicht auf dem vorherigen Bachelor aufbaut, sondern sich ein neues Themenfeld erschliesst), so hat mir der Bachelor doch eine ideale Basis für das Masterstudium gelegt. In meinem stark kulturwissenschaftlichen Urban Design Studium wurde Stadt nach Lefebvreals als dynamischer sozialer Prozess verstanden. Der bebaute Raum (das Architektonische) ist nur ein Teil davon, macht aber nicht die Stadt als Ganzes aus. Die Stadt als solche wird von den unterschiedlichen Menschen, die in ihr wohnen, arbeiten und leben, ganz verschieden erfahren und wahrgenommen; jeweils aus der eigenen Perspektive. So ist meine Wahrnehmung einer Stadt nicht gleich deine Wahrnehmung davon. Da passt mein Bachelor mit seinem breiten Feld an kulturwissenschaftlichen Theorien natürlich eins zu eins ins Bild.

 

Du gestaltest also «sozio-kulturelle» Räume, getragen von Partizipation und Interaktion. Das schlägt dann wiederum die Brücke zu dem Kontext, in dem wir beide uns als Arbeitskolleginnen kennengelernt haben. Dort war es ja ebenfalls das Ziel, inspirierende Räume für gelingende Zusammenarbeit zu schaffen.

Was nimmst du aus diesem Studium als Key-Point mit?

Das Masterstudium hat meinen Blick auf die Welt verändert und meinen Blick auf das Systemische noch einmal zusätzlich geschärft. Die im Studium diskutierten und reflektierten feministischen und marxistischen Theorien waren augenöffnend für mich und haben mir vor Augen geführt, wie tiefgreifend uns bestimmte systemische Strukturen bestimmen und beeinflussen. Das hatte eine Auswirkung auf die Art, wie ich mich ernähre, auf mein Verhältnis zu Konsum und letztlich auch auf meine Einstellung zum Kapitalismus – ich stehe diesem nun noch kritischer gegenüber.

 

[ Die Ungleichheiten, die der Kapitalismus hervorbringt, liegen offen auf dem Tisch ]

Die Pandemie hat uns die Verquickungen des kapitalistischen Systems ja eigentlich sehr deutlich gezeigt, auf einmal traten die Ungleichheiten im System offen zu Tage. Vor diesem Hintergrund möchte ich erst recht nicht mehr wegsehen und durch mein Leben und meinen Konsum einen Unterschied machen. Als «weisse, privilegierte» Person sehe ich mich in der Verantwortung, meinen Teil beizutragen, damit sich Dinge ändern.

[ System zementieren oder zum Wandel beitragen. ]

Die Antwort war für mich klar. Wie bereits erwähnt, kann ich mir beispielsweise nicht mehr vorstellen, einen Job auszuüben, der rein kapitalistischer Natur ist, sprich bei dem es nur um die Akkumulation von Kapital geht – auf Kosten anderer (Lebewesen). Mit meiner jetzigen Tätigkeit bei der Global Infrastructure Basel Foundation kann ich zumindest einen kleinen Beitrag zu mehr sozialer und ökologischer Gleichheit leisten. So hoffe ich wirklich, nachhaltig und im besten Falle langfristig zur Verbesserung des Systems beizutragen.

Gleichzeitig erlebe ich aber immer wieder, dass es für viele Menschen eine zentrale Herausforderung ist – sich mit einem Job, der vielen statt wenigen dient, nicht gleichzeitig auch einen bewussten, zukunftstauglichen und nachhaltigen Lebensstil finanzieren zu können, weil diese Tätigkeiten oftmals im NGO- oder zivilgesellschaftlichen Sektor angesiedelt sind und dafür weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.

 

Die eigene Lebensgrundlage sichern zu können mit dem, was einem am Herzen liegt. Das habe ich jetzt schon bei einigen Heldinnen-Porträts als Knacknuss gehört.

Für die Sicherung der Lebensgrundlage spielt insbesondere die Ernährung eine grosse Rolle. Du bist bei der Initiative Bärenhunger in Bern engagiert, die hungrige Bernerinnen und Berner aus Produktion, Handel, Gastronomie, Politik, Verwaltung, Bildung und Forschung zusammenbringt und sich für eine genussvolle, innovative und nachhaltige Food-Stadt Bern einsetzt. Ausserdem hast du deine Masterarbeit zum Thema «How do we feed the city?» geschrieben. Warum just dieses Thema?

Durch die Auseinandersetzung mit unseren aktuellen Konsumstrukturen, was und wie wir produzieren, wurde mir bewusst, dass das Themenfeld Ernährung einer der grössten Treiber für unsere weltweiten Probleme ist: durch CO2-Ausstoss, Gülle-Produktion, (Massen-)Tierhaltung, Regenwaldabholzung für Tierfutterproduktion, Monopolstellung von einzelnen Firmen, und so weiter und so fort. Schon allein das Beispiel Monopolstellung zeigt, wie weitreichend der Einfluss unserer gesamten Nahrungsmittelproduktion ist: So hat Monsanto eine quasi Monopolstellung für Samen und Saatgut. Die «neuen» Samen sind robust gegen Mitesser gezüchtet, werden oft in Monokulturen angebaut und mit Pestiziden vollgespritzt: Das alles führt zu einer radikalen Komplexitätsreduktion der Organismen, die eigentlich genau zum Wachstum von Pflanzen beitragen. Die Qualität der Erde nimmt ab, die Organismen verlieren ihr Habitat; andere Lebewesen sterben auch aus, weil sie kein Futter mehr haben, es geht immer weiter.

Gleichzeitig ziehen immer mehr Menschen in die Städte, leben entrückt von Natur und der Anbindung zur landwirtschaftlichen Produktion und verwenden vermehrt Convenience-Produkte. Dieses Beispiel zeigt, dass es keine monokausalen Zusammenhänge gibt; es überlagern sich mehrere Phänomene. Das macht es so komplex und unglaublich interessant es zu untersuchen.

 

[ Auf den Spuren des Spargels. ]

Als dann im Jahr 2020, zu Beginn meiner Masterthesis, durch die Pandemie die «Spargelkrise» heraufbeschworen wurde, weil zur Spargelzeit die ausländischen Erntehelfer:innen nicht mehr kommen konnten, stand das Thema für meine Masterthesis fest. Diese Krise hat nämlich einmal mehr gezeigt, wie sehr unser Ernährungssystem – noch dazu ein so lokal-regional geprägtes wie das vom Spargel – von Ungleichheiten geprägt ist. Es hat sichtbar gemacht, dass viel von unserem Konsum auf Kosten anderer, auf Kosten der Natur und auf Kosten des Planeten stattfindet. Es hat paradoxe Gleichzeitigkeiten sichtbar gemacht wie, dass der Spargel (ein Gemüse, das sowieso nur einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht zur Verfügung steht) in der Pandemie um jeden Preis gerettet werden musste. Dafür wurden während des nationalen Lockdowns Erntehelfer:innen aus dem Ausland eingeflogen und ihre Gesundheit quasi aufs Spiel gesetzt – um den Spargel vor der Verrottung zu retten!

 

Du hast deine Thesis am Beispiel der Spargelproduktion aufgezogen. Jetzt sag mal, wo siehst du Parallelen vom Spargel zu deinem Leben?

Na, hoffentlich keine. Für mich ist Spargel ein Konsumgut, das eigentlich abgeschafft werden sollte. Spargel kann insgesamt innerhalb von 100 Jahren 3 mal 10 Jahre angebaut werden. Danach ist das Feld toxisch verseucht und kann nicht mehr verwendet werden. Spargel ist sehr pflegeintensiv und braucht Wärme, zum Teil werden daher die Felder von unten mit Heizsystemen erhitzt. Er besteht zu 96 Prozent aus Wasser, hat also keinen hohen Nährwert; kann uns nicht ernähren. Noch dazu ist es ein Elitegemüse: Spargel muss per Hand geerntet werden, das können aber nur schlecht bezahlte Arbeitskräfte tun, weil sich sonst niemand mehr Spargel leisten könnte. Und auf die Idee, weissen Spargel anzubauen, sind auch erst die Menschen gekommen. Natürlicherweise wächst er oberhalb der Erde und ist dann grün.

 

Ok, ok. Verstanden. Ich formuliere meine Frage um: Was für eine Pflanze entspricht dir dann?

Wenn schon, dann fühle ich mich eher verbunden mit Pilzen. Da gibt es by-the-way auch ein tolles Buch von Anna Tsing: «Der Pilz am Ende der Welt.» Pilze bilden nämlich durch ihr Myzel (Anm.: unterirdisches Zellgeflecht) die Basis jeglichen Lebens, verbinden durch ihr Geflecht ganze Wälder miteinander und schicken über diese Leitungen ganz vielen anderen Lebewesen Impulse und Nährstoffe. Manchmal ploppen sie irgendwo überirdisch mit ihren Fruchtkörpern auf, im Grunde genommen agieren sie aber im Untergrund. Auch ich sehe mich als Mensch, der andere (im Hintergrund) befähigen und bestärken möchte.

Und: Pilze sind weder Gemüse, noch lassen sie sich sonst wie einer Kategorie zuordnen. In gewisser Weise sind sie also In-Betweens – genauso sehe ich mich auch. Manchmal hadere ich damit, aber auf der anderen Seite ist genau das eine Qualität von mir: Ich kann Sichtweisen von aussen einbringen und kritisch hinterfragen, weil ich eben nicht Teil einer definierten Kategorie bin.

 

In dieser Beschreibung sehe ich dich auch absolut – du Pilzwesen. 😉

Gleichermassen treffen, meiner Ansicht nach, aber auch gewisse Spargel-itäten auf dich zu: Ich habe dich stets als sehr klar, aufrichtig und stringent erlebt – klar in der Linie, klare (Spargel-)Form. So wie Spargel ausserdem zielstrebig dem Licht entgegenstrebt, so bist auch du für mich eine Natur, die das Licht (und nicht den Schatten) sucht. Spargel wurzelt zudem tief, ist also keine oberflächliche Natur. Passt auch! Kein Wunder also, dass du «Heldin des Alltags» für mich bist.

Was verbindest du mit dem Begriff «Heldin»?

Ehrlich gesagt ist das für mich nicht mit so positiven Assoziationen verknüpft. Ich selbst möchte jedenfalls nicht als Heldin dastehen. Natürlich gibt es Menschen, die ich als solche bezeichnen würde, weil sie etwas greifbar «Heroisches» getan haben, wie beispielsweise jemand anderem das Leben retten. An sich ist Held:innentum aber eher ein soziales Konstrukt für mich, das lediglich sichtbar macht, welche Standards (wie gut und böse) gesellschaftlich gelten. Held:innentum hat damit etwas sehr Hierarchisches und hebt einige Menschen von anderen ab. Welche Heldentaten werden gesehen, welche nicht? Welche werden als solche ausgezeichnet und warum? Letztlich ist es vielmehr ein Ausdruck davon, dass wir gesellschaftlich gesehen bestimmte Taten werten, vielleicht sollte es aber mehr darum gehen, welche Qualitäten jede einzelne Person an sich ausmacht.

 

Super, das öffnet noch einmal eine ganz neue Dimension von Held:innen-Tum. Held:innen als soziale Konstrukte.

Und richtig: Ich möchte neue Standards setzen mit dieser Porträtreihe und Held:innen-Tum re-framen = die Held:innen-Bilder hinterfragen, die aktuell in unserer Gesellschaft kursieren (Promis, Sportstars, Social Media Influencer) und neue, inspirierende Heldinnen-Narrative schaffen von Frauen, die sich als Teil eines grösseren Ganzen verstehen und diesen Platz verantwortungsvoll wahrnehmen.

Was möchtest du den Frauen (den Menschen) da draussen jetzt noch mit auf ihren Weg geben?

Ich denke, es ist schon vieles gesagt. Die krassen Ungleichheiten in unserem System, in unserer Gesellschaft, auf unserer Welt, liegen auf der Hand.

Jede Person kann auf ihre eigene Art und Weise Verantwortung übernehmen, dass sich daran etwas ändert. Die einen fahren vielleicht weniger Auto und nutzen mehr das Velo. Andere ernähren sich vegan. Und wieder andere kaufen Dinge nicht mehr neu, sondern gebraucht, recycelt oder aus Second-Hand-Nutzung. Nicht jede:r muss in allem gleichermassen verantwortungsbewusst unterwegs sein. Auch ich bin nicht in allem konsequent. Kafi mag ich beispielsweise nicht mit Pflanzenmilch.

Zum Glück gibt es aber doch ganz viele unterschiedliche Facetten, sich verantwortungsbewusst zu verhalten. Und in jedem Schritt liegt das Potential, etwas zum Besseren hin zu ändern. Denn wir müssen es einfach besser machen als bisher; alles andere ist ignorant. Dafür braucht es den Schritt aus der eigenen Komfortzone heraus.

Die Frage ist, wie weit wir aus dieser individuellen Komfortzone heraustreten, um das grössere Gut zu unterstützen. Ein aktuelles Beispiel für diese Frage ist die momentane Situation rund um Covid. Jede:r muss Verantwortung übernehmen, damit wir diese Lage meistern können. Gleichermassen ist es wichtig, verschiedene Meinungen und Taten zuzulassen. Jeder verantwortungsvolle Schritt trägt dazu bei, dass sich etwas bessert.

Wir haben eine Verantwortung. Ich habe eine Verantwortung. Du hast eine Verantwortung.

Nimm sie wahr!

Danke, liebe Isa, dass du zum Start ins neue Jahr, das sicher viele Ungewissheiten und so einige Unplanbarkeiten mit sich bringen wird, so vertrauensvoll in die Zukunft blickst und uns für’s kommende Jahr den Leitstern «Trust the process» mit auf den Weg gibst.

Diese und weitere Heldinnen auf #lebelavieencouleurs

 

 

 

 

 

 

Sponsoring