SWONET Interview mit Selina Göldi – Autorin «Von Gänsen und beschwipsten Zwetschken»

Talk

Judith Barbara Shoukier im Gespräch mit Selina Göldi

Selina Göldi ist eine kreative Schafferin mit Geschäftssinn. Ausgewandert von der Ostschweiz in die Franche-Comté, hat sie sich ein wunderbares Refugium geschaffen, von wo aus sie ihren erfolgreichen Blog schreibt und sich mit kulinarischen Höhenflügen genauso beschäftigt wie mit durch Einfachheit bestechender Alltagsküche. Mit ihren Koch-Workshops in allerschönster Umgebung begeistert sie Anfängerinnen und Profiköche gleichermassen. Nun hat sie einen Bildband mit Rezepten und Anekdoten geschrieben, eine Liebeserklärung an das französische Landleben. Das Resultat kann sich sehen lassen!

SWONET: Du hast einen nicht alltäglichen beruflichen Weg eingeschlagen. Erzähl uns doch, wie es dazu gekommen ist.
Selina Göldi: Ich habe Wirtschaft studiert und war lange in der Beratung tätig, das war eigentlich etwas ungewöhnlich, denn in meiner Familie dachten alle, ich würde Fotografin werden. Mit sieben Jahren entdeckte ich Mamas Fotoapparat und das Fotografieren wurde zu einer meiner liebsten Tätigkeiten. Ich wollte aber lieber erst mal etwas ganz anderes machen, Fotografieren als Beruf konnte ich mir nämlich ehrlich gesagt nicht vorstellen, vor allem nicht die langweilige Studioarbeit. Die Studienzeit und die anschliessende Arbeit in der Beratung waren super spannend, und für mich, die einen grossen Teil der Kindheit auf dem Bauernhof der Grosseltern verbracht hatte, stets umgeben von Tieren und den zahlreichen Cousins und Cousinen, wie ein Ausflug in eine exotische Welt. Mein Mann und ich haben vor gut zehn Jahren ein kleines Haus in einem verschlafenen Dorf in der Franche-Comté gekauft und irgendwann hatte ich die Idee, so Erholungs-Koch-Erfahrungs-Wochenenden zu veranstalten, wohl geboren aus der Tatsache, dass wir es lieben, unsere Freunde hier zu bewirten und ihnen diese schöne Gegend zu zeigen. Es war schnell klar, dass ich das Leben als Beraterin und die Kochworkshops nicht unter einen Hut bringen würde und ich entschied mich, den Sprung zu wagen und mich selbständig zu machen.  Ich denke die Zeit in der Beratung kam mir sehr zugute, zum Beispiel habe ich gelernt, wie man aus einer Idee ein funktionierendes Konzept erarbeitet und es umsetzt.

 

Wie bist du dazu gekommen, kulinarische Workshops zu entwickeln?

Ich stamme nicht aus einer klassischen Beizerfamilie, aber Menschen zu bewirten, zu schauen, dass alle gut essen und trinken und es lustig haben ist wohl Teil unserer Familien-DNA. Die Familienfeste waren immer gross und laut, und schon mein Urgrossvater hatte in seinem späteren Leben ein kleines Bistrot in Bad Ragaz, das war ganz lustig, weil man dort auch gleich die Möbel kaufen konnte bei meiner Urgrossmutter, sozusagen eine Ur-Version des Concept Stores. Als Kind verbrachte ich mehrere Sommer auf der Alp, wo meine Mutter mit ihrem Bruder eine Wirtschaft führte. Wie man gut kocht und Gastgeberin ist, habe ich sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Ich liebte es stets, Soirées zu veranstalten, eine schöne Umgebung zu schaffen in der sich die Gäste wohl fühlen. Zusammen mit der Fotografie und dem Schreiben ist daraus ein Lifestyle-Blog entstanden, und die Rezepte einschliesslich dem schönen Leben mit Menschen zu teilen, war ein logischer Schritt. Die Gegend und dieses wunderbare kleine Haus sind dafür die perfekte Kulisse, auch habe ich hier Zugang zu natürlichen Zutaten und kenne meine Produzenten alle persönlich, das ist ein einmaliges Setting.

 

Wie kann ich mir einen Workshop bei dir vorstellen: Wird da wirklich durchgekocht und -gegessen?

Kochen, Essen und Trinken sind definitiv der rote Faden. Dazu kommen je nach Saison unterschiedliche Aktivitäten, z.B. Exkursionen zum Bauernmarkt oder Picknicks, Schnaps brennen oder Künstlerbesuche und Antiquitäten shoppen. Es gibt sowohl bei den eintägigen wie den dreitägigen Workshops auch immer eine Weindegustation in unserem privaten Gewölbekeller, bei dem wir die Weine unserer befreundeten Winzer vorstellen.

 

Was ist für dich Genuss?

Genuss hat sehr viel mit Grosszügigkeit zu tun, mit aus dem Vollen zu schöpfen. Grosszügigkeit mit seiner Umwelt, den Menschen, die einem umgeben, wie auch mit sich selbst. Wenn man ein Fest veranstaltet, gibt man das Beste, die besten Zutaten, das schönste Geschirr, auserlesene Weine, und man zieht sich anständig an, wobei das nicht zwangsläufig heisst, dass man dafür viel Geld ausgeben muss. Ein knausriges Dîner ist aber in jedem Fall für keinen ausser dem krankhaften Geizhals ein Genuss. Geniessen ist, wenn alle Sinne gleichsam angesprochen werden, etwas sehr Physisches. Der Geschmackssinn, selbstverständlich, doch es geht auch um die Konsistenz des gekochten Eis, die Temperatur des Weines, die Gespräche, die sich bei Tisch ergeben, die Stimmigkeit des Lichts, das sowohl Augen als auch Gläser funkeln lässt. Echte Gastfreundschaft bedeutet in diesem Sinne einen Rahmen zu setzen, in dem die Gäste zum Genuss kommen, der Genuss ist das Resultat und ergibt sich, wenn man alles richtig gemacht hat, von selbst. Das macht man aber selbstverständlich nicht jeden Tag, denn der Genuss lebt ja auch vom Kontrast und dafür braucht es die Alltagsküche im Gegensatz zur Festküche. Das finde ich sehr interessant, denn gerade früher gab es einen festen Rhythmus aus Festtagen als Abwechslung zum Alltag. Die Alltagsküche war damals relativ simpel, in der Franche-Comté zum Beispiel, und übrigens auch im Rheintal, wo ich herkomme, war Maisbrei die Basis für die Alltagsküche, Fleisch und Süssspeisen hingegen waren für die festliche Küche reserviert. Genuss bedeutet damit auch Mass halten und Verzicht. Festküche und Alltagsküche sind auf der praktischen Seite fest miteinander verbunden, nämlich bei der Resteverwertung. Grosszügigkeit bei Festlichkeiten heisst in der Regel auch, dass es Resten gibt, die werden bei mir aber sicher nicht weggeworfen. Damit entsteht eine Art Kreislauf aus Fest und Alltag, in dem alles seine Verwendung findet und nichts im Abfall landet.

 

Woher nimmst du die Ideen für deine Rezepte, was inspiriert dich?

Ich arbeite mit zwei unterschiedlichen Ansätzen. Einige meiner Rezepte sind von der Zutat, oder vom Produkt getrieben. Das kann ein Kraut sein oder ein Flussfisch, den mir der Nachbar vom Fischen bringt oder eine bisher noch nicht verwendete alte Gemüsesorte. Ich frage dann, wie man das kocht, oder wie die Grand-Mère das gekocht hat, versuche mir vorzustellen mit welchen anderen Zutaten es harmoniert und wie man es zubereiten könnte. Daraus entstehen manchmal Fiaskos aber auch ganz oft sehr schmackhafte Rezepte.

Der zweite Ansatz geht über die Literatur. Ich lese, was mir unter die Hände kommt, und vor allem Literatur aus dem 19. Jahrhundert. Dort wird erstaunlich viel gekocht, gegessen und es werden die viel besungenen Feste gefeiert. Ich recherchiere zu diesen literarischen Fundstücken, suche alte Rezepte und entwickle so eine zeitgenössische Variante des Gelesenen.

 

Was willst du deinen Teilnehmenden in den Workshops vermitteln?

Mein Brand heisst «L’Art de bien manger». Das sagt eigentlich schon alles, die Kunst des guten Essens. Das ist eben nicht nur gut essen, sondern alles was damit einhergeht. Es fängt an bei der sorgfältigen Auswahl der Zutaten. Ich lege sehr viel Wert auf eine naturnahe und respektvolle Produktion. Dazu gehört auch, dass ich konsequent saisonal koche. Ich sehe das nicht als Verzicht, beispielsweise ab Oktober keine Tomaten zu kaufen, sondern es bedeutet Freude und Wertschätzung, wenn dann tatsächlich Tomatensaison ist. Es gibt kaum etwas Köstlicheres als im Sommer in die erste, sonnengewärmte Tomate zu beissen.

Dann die Zusammenstellung der Menus, die Abstimmung der Geschmäcker und Noten, dazu gehört auch die Auswahl der Weine. Bei mir gibt es zu jedem Gang einen anderen Wein, denn der Wein soll die Geschmacksnoten des Gerichts hervorbringen und unterstützen. Zur Kunst des guten Essens gehört nicht zuletzt auch die Umgebung, in der wir essen, das Gedeck, der Raum, die Atmosphäre. Und wie gesagt eine gehörige Portion Grosszügigkeit. Ob sich das wirklich vermitteln lässt, bin ich mir übrigens gar nicht so sicher, denn «L’Art de bien manger» ist vielmehr eine Haltung als eine Anleitung. Ich probier’s aber trotzdem und nehme für mich auch immer wieder wunderbare Erlebnisse heraus, das ist ja das Schöne an meiner Berufung.

 

Du lebst seit Jahren in Frankreich. Kannst du dir vorstellen, wieder in die Schweiz zurückzukehren?

Zurzeit überhaupt nicht, doch weiss man naturgemäss nie, was die Zukunft bereit hält. Für jetzt habe ich mein Leben gefunden in Frankreich.

 

Wie übersteht man als Anbieterin von Workshops die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie?

Das Business war in dieser Zeit richtig schlecht bzw. inexistent. Es konnte ja niemand anreisen. Und meine Workshops online anzubieten, fand ich doof, da fehlte mir diese physische Komponente. Ich wurde oft gefragt, wie es denn jetzt weiter gehe, das wusste ich eigentlich selbst nicht recht, ausser dass der Weg vorwärts geht und Rückzug keine Option ist.

Um mich mental über Wasser zu halten habe ich zusammen mit meinem Mann ein Haus renoviert und im 2021 hatte ich dann das Riesenglück, ein Buch zu fotografieren und schreiben zu dürfen. Glücklicherweise sind wir jetzt über den Berg und mein Herzensprojekt kommt wieder ins Laufen

 

Im Februar 2021 hast du die Arbeit an deinem Kochbuch aufgenommen. Warum ein Kochbuch?

Seit ich das Schreiben, Fotografieren und Kochen zu meinem Beruf gemacht hatte, habe ich immer gewitzelt, ich schreibe ein Kochbuch bevor ich 40 bin, und wie so oft mit diesen Dingen ist das dann tatsächlich eingetreten. Das ist eigentlich ziemlich verrückt, weil wirklich ernst war das nie gemeint, man soll mir also sicher keine unvorsichtigen Bemerkungen zur Macht der Vorstellungskraft machen. Dass es ein Kochbuch wird, hat sich wohl vor allem aus meiner Tätigkeit ergeben, wobei es mir wichtig war, vor allem auch den «Vibe», das Lebensgefühl, zu vermitteln.

Was unterscheidet dein Kochbuch von anderen, was macht es so besonders?

Eigentlich, finde ich, ist es kein klassisches Kochbuch, sondern eher ein Bilderbuch für Erwachsene. Und wie ein gutes Essen, soll es schmackhaft sein, den Geist anregen und vor allem gut bekömmlich sein. In einer Zeit, in der sich die Weltuntergänge jagen und alles und jedes in die unendlichen Tiefen des moralischen Sumpfs diskutiert wird, wollte ich ein Gegenstück geben, etwas Leichtigkeit des Seins, oder eben «L’Art de bien manger». Wer möchte, darf die Rezepte nachkochen oder abwandeln oder ergänzen, wer möchte, darf die Geschichten lesen oder auch einfach nur die Bilder anschauen. Am meisten freut es mich, wenn mein Buch dem Betrachter einen kleinen Ausflug aus dem Alltag erlaubt.

 

Fifi begleitet die Leserin, den Leser durch das Buch durch amüsante Episoden aus ihrem kulinarischen Alltag. Wer ist Fifi?
Ich habe keine Ahnung. Sie war plötzlich da. Ich kenne auch den Erzähler oder die Erzählerin der Geschichten nicht. Alle diese Figuren sind, als ich mit dem Buch angefangen habe, aus dem Nichts aufgetaucht, sehr lebendig und gesprächig, und ich musste sozusagen nur noch aufschreiben.

 

Wie geht es weiter für dich und dein Business?

Über die letzten zwei ruhigen Jahre hatte ich viel Zeit, über die Art wie ich arbeite nachzudenken, und es wurde immer klarer, dass ich die Gäste gerne bei mir im Haus haben möchte. Bislang konnte ich keine Übernachtungsmöglichkeiten anbieten. Unser schönes Haus auf der alten Stadtmauer zum Fluss hin wurde, wie bei einem Kind, das aus den Kleidern wächst, zu klein. Nun endlich, nach langer Suche, haben wir unser Herzenshaus gefunden und werden im September 2023 die Türen für Gäste öffnen. Das geht mit viel Wehmut einher, und vom 20. bis zum 22. Oktober 2022 findet der letzte Workshop hier in Jonvelle statt. Da gehen wir mit den Gästen Schnaps brennen, und ich hoffe, es wird in allen Belangen ein gebührendes Abschiedsfest!

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Das Kochbuch «Von Gänsen und beschwipsten Zwetschken» von Selina Göldi ist direkt beim Verlag erhältlich: www.bellingsbooks.com

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Fotos: Cassandra Jackson-Baker

Interview: Judith Barbara Shoukier

Kontakt Selina Göldi:

hello@lespoissonchats.com

www.lespoissonchats.com

Instagram: @lespoissonchats

 

 

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